Staatlich geförderte Fakes: Das Transkript von Rutters Impfgegner-Event
Verschwörungstheoretiker Martin Rutter erhielt Förderzusagen vom Land Niederösterreich. Dafür will er bei Events über „Impfschäden“ aufklären. Beim ersten Termin am Sonntag wurden wildeste Falschmeldungen verbreitet, etwa dass Geimpften ein Chip eingepflanzt worden sei.
Der drahtige Mann auf der Bühne ist amtsbekannt. Am vergangenen Sonntag steht Martin Rutter, 41, in einem abgedunkelten Seminarraum im Bundessportzentrum Südstadt unweit von Wien. Er spricht über seine Lieblingsthemen, die ihn einfach nicht loslassen: Corona, die Impfung und das, was sie aus Rutters Sicht alles angerichtet hat. Rutter, der in den Pandemiejahren zum Gesicht der Corona-Demos wurde, dessen Aufrufen zum Protest Zehntausende folgten, hat an Zugkraft verloren. Zu seinem Vortrag in der Südstadt reisen bloß 30 Leute an.
Hinter Rutter hängt eine Leinwand von der Decke, auf die er eine Statistik zur Kindersterblichkeit in Europa projizieren lässt. Seine Schlussfolgerung, wonach die Impfung für mehr tote Kinder verantwortlich sei, zählt zum Standardrepertoire der Corona-Skeptiker und wurde widerlegt.
Die Veranstaltung, zu der sich bloß ein kleines Grüppchen eingefunden hat, würde an sich keine Erwähnung verdienen, würde da nicht noch etwas auf den Folien von Rutter stehen: „Gefördert von der NÖ-Landesregierung.“
Ist es wirklich wahr, dass einer der bekanntesten Coronaleugner des Landes nun von dem „System“ gefördert wird, das er in seinem Telegram-Kanal so lautstark ablehnt? Und dass ein Event mit öffentlichen Geldern bedacht wird, bei dem behauptet wird, dass jedem Geimpften eine IP-Adresse eingepflanzt worden sei?
24 Vereine
Es ist wahr. Wie profil am Mittwoch online aufdeckte, bekamen Rutters Vereine für Impfopfer eine Förderzusage vom Land Niederösterreich – neben Rutters Hauptverein mit Sitz in Klagenfurt hat er laut profil-Recherchen in Niederösterreich mindestens 24 gleichlautende Vereine in jedem Bezirk und jeder Statutarstadt angemeldet. Die Vereine mit Sitz in Niederösterreich können – anders als der Hauptverein in Klagenfurt – Gelder aus dem 31,3 Millionen schweren „Hilfsfonds für Corona-Folgen“ beantragen, den die Freiheitlichen letztes Jahr zur Koalitionsbedingung gemacht hatten.
Der Fördertopf hatte schon bei seiner Errichtung für Entrüstung gesorgt: Ein Teil des Geldes wird verwendet, um Strafen aufgrund aufgehobener Covid-Maßnahmen zurückzuzahlen. Insgesamt wurden erst 3,5 Millionen Euro abgerufen. Im Dezember des Vorjahres betonte die FPÖ auf Anfrage des „Standard“ dennoch: „Wir gehen davon aus, dass die gesamte Summe ausgeschöpft wird, da jetzt verstärkt auch Vereinsförderungen beantragt werden.“
Impfgegner Rutter gründete am 28. September 2023 zumindest 24 „Vereine für Impfopfer“, die sich nur durch den jeweiligen Bezirk im Namen unterscheiden. Sie alle geben als Sitz einen Co-Working-Space in St. Pölten an, in allen sitzen Rutter und dieselbe zweite Person – Britta B. – im Vorstand. Die vielen Vereine könnten einen Zweck haben: Jeder Verein kann über den Covid-Fonds maximal drei Projekte einreichen, die jeweils mit bis zu 5000 Euro an niederösterreichischem Steuergeld gefördert werden können. Mit seinen 24 Vereinen könnte Rutter folglich bis zu 360.000 Euro erhalten.
Als Gegenleistung für die in Aussicht gestellten Landesgelder will Rutter mit einem „Impfschäden-erfahrenen Arzt“ und einem „engagierten Rechtsanwalt“ durch das Bundesland tingeln und Vorträge halten.
profil liegt ein Mitschnitt des ersten Events dieser Serie vom vergangenen Sonntag vor.
Neuroroboter in Niederösterreich
Neben Rutter trug auch Allgemeinmediziner Wolfgang K. in Maria Enzersdorf vor. Der Arzt nennt sich selbst „Ganzheitsmediziner“ und gibt öffentlich an, „esoterische Medizin“ bei Ruediger Dahlke gelernt zu haben. Dahlke ist der Ansicht, dass kranke Körper durch kranke Seelen entstehen, dass Unfallopfer ihre Unfälle unterbewusst hervorgerufen haben und dass sich Menschen durch Licht ernähren können. Bereits 2013 wurde er für seine abstrusen Ansichten mit dem Negativpreis „Goldenes Brett vorm Kopf“ ausgezeichnet. Sein Schüler Wolfgang K. ist als Arzt offenbar zumindest der Homöopathie treu geblieben – und verbreitete bei der Veranstaltung in Maria Enzersdorf für Rutter Falschinformationen zur Corona-Impfung.
Der Mediziner behauptete auf offener Bühne unter dem Logo des Landes Niederösterreich etwa, dass die Impfstoffe des Herstellers Moderna „Neuroroboter“ enthalten würden, „die von außen aktiviert werden können, zum Beispiel über 5G“. Jeder Geimpfte habe so „eine IP-Adresse erhalten“, die Menschheit werde „in Batterien für eine digitale künstliche Intelligenz umgewandelt“.
Angehörigen [wurde] ein gratis Begräbnis oder eine bestimmte Geldsumme angeboten, wenn sie mit der Coronadiagnose einverstanden waren.
Ein Mediziner verbreitete wildeste Falschinformationen
auf der Veranstaltung, die sich Martin Rutter vom Land Niederösterreich fördern lassen möchte
Es sind die wildesten Verschwörungstheorien, die in dem Seminarraum zur Sprache kommen. Das Publikum, mehrheitlich Menschen jenseits der 40, lauscht gebannt. Dr. K. setzt zu seiner nächsten Behauptung an, die er von seinem Skript liest, das vor ihm auf einem Tisch liegt: Die Staaten hätten die Zahl der Corona-Toten künstlich in die Höhe getrieben, so der praktizierende Wahlarzt K.: „Angehörigen [wurde] ein gratis Begräbnis oder eine bestimmte Geldsumme angeboten, wenn sie mit der Coronadiagnose einverstanden waren.“ Und: Als Folge der Impfung gegen das Coronavirus seien Totgeburten und Missbildungen angestiegen.
All diese Behauptungen sind falsch: Die Inhaltsstoffe aller in Österreich zugelassenen Covid-Impfstoffe sind bekannt und öffentlich einsehbar. „Neuroroboter“ finden sich nicht darin. Seriöse Berichte über finanzielle Angebote, die die Zahl der Covid-Toten erhöhen sollten, gibt es keine. Und in Österreich ist die Zahl der Totgeburten pro 1000 Einwohner von 3,8 zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 sogar auf 3,4 im Jahr 2022 gesunken.
Auf der Rutters Bühne schlugen dem Mediziner für seine Falschbehauptungen keine Widersprüche entgegen, im Gegenteil: Am Ende seines rund halbstündigen Vortrags gab es Dank „für den sachlichen Zugang“.
Es ist ein sonderbarer Nachmittag. Um viel Geld hat das Land Niederösterreich ab 2021 eine Impfkampagne lanciert, ein Impfbus tourte durch alle Bezirke. Nun will dasselbe Bundesland eine Truppe fördern, die ihre Kritik an der Impfung nicht sachlich vorbringt, sondern die irrsten Theorien verbreitet?
Spätfolgen
Der Vortrag des Mediziners dürfte ein politisches – und möglicherweise auch disziplinarrechtliches – Nachspiel haben.
Dass dieser Verein völlig unhaltbare, unwissenschaftliche und faktenwidrige Informationen verbreitet, war mit einer kleinen Vorab-Recherche leicht zu erkennen.
Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne)
fordert, die finanzielle Zusage an Rutters Vereine rückgängig zu machen.
profil konfrontierte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) mit den Recherchen. Der Ressortchef kündigte eine Disziplinaranzeige bei der Ärztekammer gegen den Allgemeinmediziner an. Rauch hält es zudem für „unverantwortlich“, dass das Land Niederösterreich Rutters Vereine unterstützt: „Dass dieser Verein völlig unhaltbare, unwissenschaftliche und faktenwidrige Informationen verbreitet, war mit einer kleinen Vorab-Recherche leicht zu erkennen. Ich muss deshalb davon ausgehen, dass die Förderung von FPÖ-Landesrat Luisser in vollem Bewusstsein dieser Tatsache zugesagt wurde“, so Rauch. Der Grüne appelliert deshalb an Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), sie solle nun die finanzielle Zusage an Rutters Vereine rückgängig machen.
Das könnte tatsächlich passieren, wie es auch aus dem Büro von Landesrat Christoph Luisser heißt: „Wenn es den Tatsachen entspricht, dass der Förderwerber das Projekt, das er eingereicht hat, nicht nach den Förderkriterien umsetzt, wird dieses Projekt selbstverständlich nicht gefördert.“ Laut Landesrat haben Rutters Vereine bisher fünf Anträge eingebracht – insgesamt beträgt die maximal mögliche Förderhöhe derzeit folglich 25.000 Euro. Diese sei aber „im Lichte der veranlassten neuerlichen Überprüfung der näheren Umstände, des Zustandekommens der Zusage, als vorläufig anzusehen“, betont das Büro des FPÖ-Landesrats.
Luisser lässt die Förderzusage an Rutters Vereine nun überprüfen. „Wenn es den Tatsachen entspricht, dass der Förderwerber das Projekt, das er eingereicht hat, nicht nach den Förderkriterien umsetzt, wird dieses Projekt selbstverständlich nicht gefördert“, heißt es aus seinem Büro.
Luisser, der die Förderzusage nach Bekanntwerden zunächst verteidigt hatte, putzt sich nun bei Rutter ab: Die Veranstaltungen stünden in keinerlei Verbindung zum Land Niederösterreich, das Büro des Landesrates habe keine Information zu deren Inhalt.
Mehr Verschwörung, weniger Ideologie
Das Land hätte ohne großen Aufwand die Historie Rutters recherchieren können. Rutter ist ein politisches Chamäleon. Seine politische Karriere begann er bei den Grünen, er wechselte dann zum BZÖ Kärnten, saß bis 2017 für das Team Stronach im Kärntner Landtag und sympathisiert jetzt immer öfter mit der FPÖ von Herbert Kickl. Auf seinen Online-Plattformen findet sich eine Ansammlung der wirrsten Verschwörungstheorien: Chemtrails, Weltdiktatur, „gesteuerte Massenmigration“ und so weiter.
Was sich bei Rutter durchzieht, sind die Warnungen vor bösen Hintergrundmächten und deren vermeintlichen Plänen. Dabei changiert er zwischen strukturellem und teils recht manifestem Antisemitismus.
Bernhard Weidinger
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)
„Bei Martin Rutter stehen die Verschwörungstheorien im Vordergrund, jedenfalls stärker als eine klare Ideologie“, sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), der sich ausführlich mit den Corona-Maßnahmenkritikern beschäftigt hat: „Was sich durchzieht, sind die Warnungen vor bösen Hintergrundmächten und deren vermeintlichen Plänen. Dabei changiert er zwischen strukturellem und teils recht manifestem Antisemitismus.“
Auf seiner Website gibt Rutters Impfopfer-Verein vor, bei angeblichen Impfschäden zu helfen, verbreitet vor allem aber Verschwörungserzählungen. Ein Kernstück ist etwa ein virtuelles „Impfopfer-Archiv“, in dem mehr als 40.000 völlig ungeprüfte angebliche Komplikationen der Impfung gegen Covid-19 angeführt werden. Sie alle stammen aus einer Telegram-Gruppe, die von großteils anonymen Nutzerinnen und Nutzern befüllt wird.
Die Schilderungen reichen von 91-Jährigen, die Monate nach der Impfung „plötzlich verstorben“ seien, über Jugendliche, die wegen einem Impfschaden 14 Mal erfolgreich reanimiert worden sein sollen, bis zu impfinduzierten Akne-Ausbrüchen und Wachstumsstopps bei Teenagern. Es findet sich in den Zehntausenden Einträgen kaum ein Problem, für das die Impfung nicht verantwortlich gemacht wird. Besonders wilde Beispiele drucken Rutter und Co. aus und stellen sie als mobile „Impfopfer-Galerie“ in größeren Städten aus.
Für die Förderzusage war das alles offenbar kein Ausschlusskriterium. Ob das Geld wirklich fließt? profil wird berichten.
Rutter ließ eine Anfrage von profil großteils unbeantwortet. Er kündigte aber an, die Veranstaltungen in Niederösterreich abzuhalten – und will sie „dank“ der medialen Berichterstattung auf ganz Österreich ausweiten.
In Reaktion auf die profil-Enthüllung geht Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) deutlich auf Distanz zu dem Event: „Was Niederösterreich sicher nicht unterstützt, sind Veranstaltungen in denen Verschwörungstheorien verbreitet werden.“
Der Coronafonds solle vielmehr Menschen „helfen, die auch heute noch an den Folgen einer schweren Corona-Erkrankung leiden“, etwa Long-Covid-Patienten. Sie erwarte sich, dass jede Auszahlung auf „Herz und Nieren“ überprüft werde: „Sie können sich darauf verlassen, dass in Niederösterreich kein einziger Förder-Euro fließt, wenn etwas nicht passt.“
Anmerkung: Das Statement von Mikl-Leitner wurde 26. April um 15:36 Uhr ergänzt.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.