Staatsschutz fordert Strafen für Fake News
Wer einen Nachrichtendienstler zum Hintergrundgespräch treffen will, muss nicht nur Handy und Laptop abgeben; selbst die digitale Sportuhr wird vor dem Treffen von einem Beamten abgenommen und in einem Safe beim Eingang der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) verwahrt.
Immerhin ein Block und ein Kugelschreiber sind hier, in der DSN-Zentrale im Dritten Wiener Gemeindebezirk, erlaubt. In einem Besprechungsraum ohne Fenster, mit dunkelbraunen Ledersesseln, nimmt ein DSN-Experte Platz, der hauptberuflich die Verbreitung von Desinformation in Österreich analysiert.
Welche Verschwörungsmythen sind in Österreich besonders virulent, wer verbreitet sie – und was tut die DSN dagegen? Der Experte erklärt es nüchtern. Und stellt eine Forderung an die Politik: Die Verbreitung von Fake News soll unter Strafe gestellt werden. (Hinweis: Am Ende des Artikels finden Sie eine Ergänzung mit der Reaktion des Innenministeriums auf den profil-Bericht, der Wunsch nach einem Fake-News-Paragrafen wurde offenbar zurückgezogen.)
Es kann zu Synergien zwischen nicht-staatlichen und staatlichen Akteuren kommen, die Desinformation verbreiten.
Verschwörungs-Influencer
„Zu den Hauptakteuren, die Desinformation verbreiten, zählen einerseits Staaten. Sie versuchen zu destabilisieren und das System zu lähmen. Auf der anderen Seite gibt es nicht-staatliche Akteure wie Verschwörungs-Influencer, deren Ziel es ist, die eigene Gruppe im Land zu vergrößern und ihre Idee zu manifestieren. Es kann auch zu Synergien zwischen nicht-staatlichen und staatlichen Akteuren kommen“, sagt der Forensiker aus der Abteilung Gefahrenforschung.
Informationskriege haben eine lange Tradition, alle globalen Player bedienen sich solcher Methoden. Der DSN-Experte nennt als Akteure „etwa Russland, China, aber auch Staaten wie die Türkei im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen“.
Die gängigsten Mythen
Der Dauerbrenner unter den Verschwörungsmythen ist laut DSN der sogenannte „Great Reset“. Dabei geht es unter anderem um die Behauptungen, dass Eliten eine Weltregierung anstreben und einen Bevölkerungsaustausch durchführen wollen. Auch Falschmeldungen zu Impfschäden seien noch immer weit verbreitet. Bei der niederösterreichischen Landtagswahl machte sich dieser Effekt bemerkbar, der FPÖ-Erfolg dürfte den Verwerfungen während Corona geschuldet gewesen sein.
Der DSN-Experte hat aber auch einen positiven Befund: „Der Anteil, der in der Bevölkerung mit solchen Theorien in Verbindung kommt, ist nach einem Peak während Corona derzeit wieder schrumpfend. Die Player der Corona-Demos haben es nicht geschafft, dass ihnen eine große Zahl an Menschen folgt. Die Resilienz in der Bevölkerung ist grundsätzlich hoch.“
Fake News aus Oberösterreich
Das russlandfreundliche Portal AUF1 mit Sitz in Linz fällt regelmäßig mit irren Verschwörungsmythen und Falschinfos auf. Im AUF1-Shop können sich verängstigte Leser für den Weltuntergang vorbereiten: Dort werden Notstromaggregate und Dosennahrung verkauft.
Propaganda-Portal mit Problemen
Das bekommt auch das rechtsextreme Verschwörungsportal AUF1 aus Österreich zu spüren. Die Website entwickelte sich in den Corona-Jahren zur Speerspitze der Maßnahmengegner und setzte zahlreiche Falschinformationen ab. „Nach meinen Schätzungen haben sich in den letzten Monaten rund 50.000 Nutzer im deutschen Sprachraum von Telegram abgemeldet. Weil sie glauben ‚Corona ist vorbei‘..!!!“, schrieb AUF1-Gründer Stefan Magnet Ende Juni in seinem Telegram-Kanal. „Sie glauben: alles wieder gut! Dabei läuft alles auf Hochtouren. Beim nächsten Ausnahmezustand spritzt man den Menschen keine Gen-Substanzen, aber man enteignet sie, man zerstört jede unabhängige Lebensgrundlage“, versucht Magnet seinen Fans zu vermitteln: Die Apokalypse geht weiter.
Laut den Beobachtungen des deutschen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) erreichten die Postings von AUF1 am Höhepunkt der Corona-Pandemie vor zwei Jahren im Schnitt noch 200.000 Impressionen. Nun sind es weniger als die Hälfte. Immer noch viel, aber eben sehr viel weniger.
Unter dem Verbot russischer Staatsmedien hat die Einflusssphäre Russlands sicher gelitten. Russland setzt seither auf Ausweichstrategien. Sie suchen sich Alternativmedien und bitten sie, ihre Narrative zu verbreiten.
Russische Strategien
Die Europäische Union hat in Reaktion auf den Ukraine-Krieg russische Staatsmedien in Europa verboten. Zuvor hatten Medien wie „Russia Today“ oder „Sputnik“ auf Deutsch jede Menge Desinformation verbreitet. Bevorzugt fokussierten sich die Staatsmedien auf polarisierende Themen wie Asyl oder Impfen – es ging ihnen um die Destabilisierung westlicher Demokratien.
Besonders abgesehen haben es die russischen Desinformanten auf große Volkswirtschaften wie Deutschland. Österreich ist beim Infokrieg bestenfalls mitgemeint.
Das Verbot der staatlichen Propagandamedien dürfte für Russland jedenfalls schmerzlich gewesen sein. Darunter habe „die Einflusssphäre Russlands sicher gelitten“, analysiert der DSN-Experte. Russland setze seither auf Ausweichstrategien: „Sie suchen sich Alternativmedien und bitten sie, ihre Narrative zu verbreiten.“
Ob damit etwa AUF1 gemeint ist? Der Nachrichtendienstler schweigt.
Drittel der Bevölkerung ist anfällig
Auch zur Frage, wie viele Menschen in Österreich den kruden Thesen von Magnet und russischen glauben, hält sich der DSN-Forensiker bedeckt. Laut dem Kommunikationswissenschafter Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien ist etwa ein Drittel der Bevölkerung für Verschwörungsmythen empfänglich. Er warnt: „Die Desinformation hat schon gewonnen, wenn man etwas nicht mit Sicherheit ausschließen kann, wenn also Zweifel entstehen.“
Gesetz gegen Fake News?
Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und ihr Chef Omar Haijawi-Pirchner (Bild) wollen künftig strafrechtlich gegen die Verbreiter von Desinformation vorgehen.
Paragraf gegen Desinformation
Was also tun? Aus Sicht der DSN ist die Sache klar. Im Gespräch mit profil fordert der Staatsschutz erstmals, Fake News unter Strafe zu stellen. Das Argument: „Desinformation ist ein gängiges ‚Werkzeug‘ zur Einflussnahme und durch die Nicht-Strafbarkeit fehlt die Handhabe zu Gegenmaßnahmen. Ein Paragraph könnte hier starke primärpräventive Erfolge verzeichnen, da die Streuung dieser Narrative verhindert werden kann und somit auch eine Beeinflussung der Bevölkerung. Akteurinnen und Akteure können so für ihre Desinformation und vor allem den daraus resultierenden Konsequenzen zur Verantwortung gezogen werden. Wichtig ist, dass der Paragraph auch eindeutig darauf eingeht, dass die Konsequenzen, welche aus Desinformation resultieren, im Speziellen gefährlich sein können.“ Als Beispiel führt die DSN den Sturm auf das Kapitol in den USA an, dem die Falschbehauptung vorangegangen war, die US-Präsidentschaftswahl 2020 sei manipuliert worden.
Die Forderung ist heikel. Ein Fake-News-Paragraf wäre ein mächtiges Instrument für die Ermittlungsbehörden und könnte im Extremfall die Meinungsfreiheit beschneiden. Kritik an dem Paragrafen baut die DSN vor: „Natürlich schließen wir mit einem Paragraphen nicht die russischen Trollfabriken, aber können so gegen die in Österreich ansässigen Individuen, welche im Zweifelsfall viel mehr direkten Einfluss durch ihre Desinformation ausüben, aktive Maßnahmen einleiten.“
Als Fake News strafbar waren
Einen Tatbestand, wie ihn sich die DSN wünscht, gab es in Österreich bereits. Die „Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte“ war laut Paragraf 276 des Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Der Tatbestand wurde 2015 abgeschafft, weil es davor über ein Jahrzehnt zur keiner Verurteilung mehr gekommen war.
Das war allerdings vor Corona – und dem Ukraine-Krieg.
Ergänzung
Dieser profil-Artikel löste kritische Reaktionen aus, weil die Forderung eines Fake-News-Paragrafen umstritten ist. Die Chronologie: Von der Pressestelle der DSN wurden profil zunächst alle im Artikel angeführten Zitate schriftlich freigegeben. Die Aussagen des DSN-Beamten waren also autorisiert. Darunter auch die Idee eines eigenen Paragrafen gegen Fake News. In Reaktion auf den profil-Artikel ruderte das Innenministerium zurück: Seitens der DSN gebe es doch "keine Forderung, Fake News unter Strafe zu stellen". Auf Anfrage des "Standard" präzisierte der DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner seine Position: Es gehe darum, Falschnachrichten im Netz besser überwachen zu können. Derzeit sei es nicht möglich, Fake News im Vorfeld zu untersuchen, da es keinen Paragrafen im Strafrecht gebe, der der DSN eine solche Verfolgung ermögliche. Eine Bestrafung wolle man aber definitiv nicht, da es "schwer mit der freien Meinungsäußerung" in Einklang zu bringen sei, sagt Haijawi-Pirchner. Welche Gesetzesänderung dem DSN-Chef konkret vorschwebt, geht aus diesem Statement nicht hervor.