Weniger Autos, mehr Radler: Diese Straßen will die Stadt Wien umbauen
In einer verbauten Metropole wie Wien ist der Platz zwischen den Häuserschluchten begrenzt. Entsprechend hitzig wird der Verteilungskampf um die Verkehrsflächen geführt. Radfahrer hätten gerne eigene, sichere Bikelanes, am liebsten in beide Richtungen. Für eingefleischte Autofahrer ist es dagegen undenkbar, auf Park- und Fahrstreifen zu verzichten.
Schon die Umgestaltung der Mariahilferstraße zu einer Begegnungszone versetzte die Stadtpolitik über Monate in Aufruhr. Bezirkspolitiker und Stadtplaner sind deshalb lieber zurückhaltend, wenn sie nach Plänen für verkehrsberuhigte Straßen gefragt werden.
Bei der Gumpendorferstraße und der Äußeren Mariahilferstraße, die derzeit noch Autofahrspuren in beide Richtungen haben, ist aber genau das geplant: Weniger Autos, mehr Grünflächen. Für beide Straßen startete die Stadt ein Bürgerbeteiligungsverfahren unter Anwohnern. Bei der „Gumpi“, wie die Straße von der lokalen Bevölkerung genannt wird, sind die Planungen bereits weit fortgeschritten.
Knapp 1400 Anwohner beteiligten sich an einer Befragung zu ihren Wünschen für eine neue „Gumpi“. Die Ergebnisse wurden dann im Sommer in Workshops weiter vertieft.
Die Zwischenergebnisse machen deutlich, wohin der Weg führt: „Eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs auf ein notwendiges Maß und Reduktion der gefahrenen Geschwindigkeiten“. Und: „Lokaler Lieferverkehr, Einsatzfahrzeuge, Zufahrt für Anrainer*innen sollen ihren Platz in der Gumpi haben.“ Von Durchfahrtsverkehr ist nichts mehr zu lesen. Das klingt ganz nach dem Konzept der Mariahilferstraße.
Auch die Zahl der Parkplätze soll „reduziert“ werden, „um Raum für Aufenthalt zu gewinnen sowie schattige Aufenthaltsorte für vielfältige Nutzungen“. Bisher gibt es auf der Gumpi bloß sieben Bäume - die Zahl soll anwachsen.
Was noch fehlt ist die Präsentation und Detailplanung. Ab April 2024 wird das Projekt ausgeschrieben, ab 2025 sollen die ersten Bau-Etappen umgesetzt werden.
Anruf bei SPÖ-Bezirksvorsteher Markus Rumelhart: Die Wünsche der Anrainer:innen hätten sich im letzten Jahrzehnt verändert. Heute haben die Begrünung des öffentlichen Raums, die Kühlung und das Klima eine ganz andere Dynamik und sind viel breiter bei den Menschen verankert, meint Rumelhart. Auch das Auto als Gegenpol, meint Rumelhart, spiele heute eine andere Rolle. Die Kfz-Anmeldungen würden im Bezirk zurückgehen und viele Jugendliche würden gar keinen Führerschein mehr machen: „Vor zehn Jahren war jeder Baum eine Herausforderung im Kampf im öffentlichen Raum.“
„Die Parkplätze sind da und dort nicht zu halten“
Wie viele Kfz-Parkplätze der neuen Gumpendorfer Straße dann schlussendlich weichen müssen, will Rumelhart noch nicht sagen. Er müsse auf begrenztem Platz neue E-Ladestationen, Ladezonen für Unternehmer, Scooter-Stellplätzen und Begrünung unterbringen. Die einzige Fläche, die als Manipulationsraum zur Verfügung stehe, sei oft der Parkplatz, sagt der Bezirksvorsteher. Rumelhart: „Die Parkplätze sind da und dort nicht zu halten.“
Dass die Lokale und Geschäfte unter der Umgestaltung leiden werden, glaubt Rumelhart nicht. Die Befürchtungen hätten sich in der Otto-Bauer-Gasse – die ebenfalls verkehrsberuhigt wurde – nicht bestätigt. Ganz autofrei wird auch die Gumpendorfer Straße am Ende des Prozesses kaum sein. Klar sei, so Rumelhart, dass die Buslinie 57A weiterhin fahren muss, es Lieferverkehr geben wird und auch Anrainer:innen eine Zufahrtsgenehmigung haben werden: „Das Auto komplett rausnehmen, wird nicht funktionieren.“
Ziel: 40 Prozent weniger Autoverkehr bis 2030
Wie hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2030 will die Stadt 40 Prozent weniger Autoverkehr haben. Denn im sogenannten Modal Split (also der Verkehrsmittelwahl) werden aktuell 26 Prozent der Wege in der Bundeshauptstadt mit dem Auto zurückgelegt. Das Ziel ist eine Reduktion auf 15 Prozent in den kommenden sieben Jahren. Nebenbei will man den PKW-Besitz verringern, von aktuell 320 Privat-PKWs auf 250 pro Tausend Einwohner.
Dafür wird es notwendig sein, dass man die verkehrsberuhigten Straßen mit den so genannten Supergrätzln (das Wiener Equivalent zu den Superblocks in Barcelona) kombiniert. Bisher wurde eines dieser verkehrsberuhigten Wohnquartiere (Stichwort: Umverteilung der Fläche) in Favoriten umgesetzt, mit einigen Startschwierigkeiten, wie Leth betont. Denn generell haben solche Prestigeprojekte, wie man sie jetzt vereinzelt in Wien sieht, relativ wenig Einfluss auf das Erreichen der Ziele. Da gäbe es andere Stellschrauben, meint der Verkehrsexperte. Zum Beispiel die Parkplatzbewirtschaftung. Die Rechnung sei hier recht einfach: Wenn gar nicht so viele und billige Parkplätze zur Verfügung stünden, würden die Menschen auch eher auf andere Verkehrsmittel umsteigen.
Die Wiener Offensive zur Straßenberuhigung ist nicht nur auf die gut situierten Innenstadtbezirke beschränkt. Das Zentrum des migrantisch geprägten Bezirks Rudolfheim-Fünfhaus, die Äußere Mariahilferstraße, soll ebenfalls verkehrsberuhigt werden. Anders als bei der Gumpendorfer Straße steht das Projekt noch ganz am Anfang. Die knapp zwei Kilometer lange Straße zwischen dem Gürtel und dem Technischen Museum ist zwar die Verlängerung der bekannten Shopping- und Fortgehmeile Innere Mariahilferstraße Richtung Westen, hat aber sonst wenig mit der Begegnungszone gemein. Bis jetzt. Nun soll die Äußere Mahü durch eine Neugestaltung „aus dem Dornröschenschlaf geweckt“ und zu einem „modernen und klimafitten Ort werden“, wie es in einer Aussendung der Stadt heißt.
„Phase der Priorisierung“
Aber was heißt das konkret? Wird die Äußere Mariahilferstraße autofrei? Und was passiert mit den Parkflächen? Die Möglichkeiten reichen von einem breiteren, baulich getrennten Radweg, weniger Autoverkehr bis hin zu mehr Platz zum Verweilen, erzählt Petra Permesser von der Mobilitätsagentur gegenüber profil. Sie verweist darauf, dass die Befragung der Anrainer:innen bis Ende September lief und die Wünsche erst ausgewertet werden müssen. Sie sammelt aber nicht mehr bloß Ideen, sagt Permesser, sondern sei „bereits in einer Phase der Priorisierung“.
Wenig Sorgen macht sie sich um die alteingesessenen Wirtschaftstreibenden in der Straße: neben der Befragung habe auch der Bezirksvorsteher das Gespräch gesucht - und zahlreiche Studien würden zeigen, dass die Bedeutung des Kfz-Verkehr im Einzelhandel oft überschätzt werde. Diese Argumentationslinie deutet darauf hin, dass es am Ende des Prozesses jedenfalls nicht mehr Fahrspuren und Parkplätze geben wird.
Bauprojekte schwer zu vergleichen
Zufrieden zeigt sich Permesser über die Rückmeldungen zum Projekt. Über 2000 Anwohner haben sich beteiligt. Wenn man das in Relation zu anderen Beteiligungsprojekten wie der Wiedner Hauptstraße (mit insgesamt 1900 Rückmeldungen), der Argentinier- oder Gumpendorfer Straße (mit jeweils 1200 Online-Rückmeldungen) setze, sei das ein guter Wert. Man sehe, so Permesser, dass es sich um eine Straße handelt, die intensiv genutzt werde. Vergleichen könne man die aktuellen Straßenprojekte nur schwer: Auf der Argentinierstraße gibt es im Vergleich zur Äußeren Mahü keine Straßenbahn, sie sei aber auch eine wichtige Radachse.
„Ehrliche Beteiligungsprojekte“ machen Sinn, sagt Ulrich Leth, Experte für Verkehrsplanung an der Technischen Universität Wien und Sprecher der Initiative „Platz für Wien“, wenn die Bürger:innen nach Zielen (mehr Aufenthaltsqualität, höhere Verkehrssicherheit, mehr Ruhe, mehr Grün) befragt werden. Von der Politik werden die Beteiligungsprojekte auch oft verwendet, so Leth, um die eigene politische Verantwortung für die Entscheidungen auf die Bürger:innen abzuwälzen. Ähnliche Erfahrungen hat man bei den Superblocks (eine Verkehrsberuhigung von Wohngebieten) in Barcelona gemacht, die Anfangs noch ohne Beteiligung von Anrainerinnen und Anrainern geplant wurden und einen massiven Widerstand hervorgerufen haben. Wie genau die Wünsche dann übernommen werden, obliege den Planungsbüros und den Behörden, so Leth.
Während nun einige Großbaustellen kurz vor der Realisierung stehen, ist es um andere Projekte still geworden. Verkehrsexperte Leth führt den Bereich um den Schwedenplatz (der Rückbau von einer Fahrspur stand im Raum), die dreispurige Hörlgasse im 9. Wiener Gemeindebezirk und die Diskussion um die Innere Stadt an. Für die die von der Stadtregierung forcierten Einfahrtsbeschränkungen braucht es noch das grüne Verkehrsministerium. Denn für eine Kontrolle mittels Videoüberwachung – nur Anwohner sollen zufahren dürfen - fehlt derzeit die gesetzliche Grundlage. Dass man statt einer Überwachung auch einfach weniger Parkplätze zur Verfügung stellen könnte und so zu einer Verkehrsreduktion beisteuern könnte, sei eine andere Geschichte, sagt Leth.