Politologin Stainer-Hämmerle: „Expertenregierung hat nicht viel Sinn“
Hat sich FPÖ-Chef Herbert Kickl verzockt?
Kathrin Stainer-Hämmerle
Ja, offensichtlich. Sonst wären ja die Gespräche geglückt. Wobei ich sagen muss, es ist schon schwer zu argumentieren für die ÖVP, dass sie das letzte Angebot der FPÖ ausgeschlagen haben. Am Ende wurde man sich beim Innenministerium nicht einig, sie wollten es beide und keiner konnte da nachgeben.
Wie geht es denn jetzt weiter?
Stainer-Hämmerle
Hier gibt es mehrere Szenarien. Die SPÖ spricht sich etwa für eine Expertenregierung aus. Dem kann ich nicht viel abgewinnen. Ich sehe da nicht viel Sinn dahinter, weil wenn es die Parteien nicht schaffen, eine Koalition zu bilden, warum sollten sie längerfristig eine stabile Mehrheit für ein paar Experten zusammenbringen? Und abgesehen davon: Welche Experten sollen sich das antun? Ich rechne damit, dass SPÖ und ÖVP versuchen zu verhandeln, mit der Stützung von Neos und Grünen, die ja das auch schon angekündigt haben, dass sie eine Koalition mit einem Mandat Überhang unterstützen würden.
Die letzte Expertenregierung – das Kabinett von Brigitte Bierlein – haben allerdings viele in positiver Erinnerung.
Stainer-Hämmerle
Beim Kabinett Bierlein war aber von Anfang an klar, dass es nur eine Übergangslösung sein wird. Und es wurde ja auch nicht erwartet, dass sie inhaltlich etwas umsetzen. Diese nostalgische Vorstellung ist meines Erachtens eine Fehlannahme, denn eine Regierung sollte prinzipiell gestalten und nicht verwalten.
Wenn es zu Neuwahlen kommt, dann müssten die Parteien jedenfalls ihre Spitzenkandidaten wechseln. Denn die handelnden Personen haben eine belastete Vorgeschichte miteinander und auch gegenüber der Bevölkerung, weil sie gescheitert sind.
Andererseits könnten sich die Parteien fein herausreden, wenn es um unpopuläre Entscheidungen gehen würde. Wenn es etwa um Sparmaßnahmen geht, etwa der Abschaffung des Klimabonus oder der Bildungskarenz.
Stainer-Hämmerle
Absolut. Nur braucht man dann am Ende trotzdem eine parlamentarische Mehrheit. Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich das antun soll. In einem Parteienumfeld betteln zu gehen, wo man ohnehin das Gefühl hat, keiner will miteinander zusammenarbeiten.
Ein weiteres Szenario wären Neuwahlen. Wären die Parteien bereit dafür?
Stainer-Hämmerle
Wenn es dazu kommt, dann müssten die Parteien jedenfalls ihre Spitzenkandidaten wechseln. Denn die handelnden Personen haben eine belastete Vorgeschichte miteinander und auch gegenüber der Bevölkerung, weil sie gescheitert sind. Da würden sich viele denken: „Warum sollen wir denen jetzt noch einmal den Auftrag geben?“ Insofern wäre es auch eine Chance für die Parteien, ihr Personal zu tauschen.
Der frühestmögliche Termin für Neuwahlen wäre Ende Mai. Reicht diese Zeit aus für einen Wechsel an der Spitze?
Stainer-Hämmerle
Nachdem es illusorisch ist, eine Partei aufzulösen und neu zu gründen, gelingt ein zumindest symbolischer Neustart am ehesten dann, wenn man das Personal an der Spitze tauscht, quasi einen Hoffnungsträger einsetzt. Ich erinnere an Sebastian Kurz, wobei ich nicht glaube, dass der zurückkommen wird.
Einen Obmannwechsel hat auch die ÖVP hinter sich. Dort sind viele enttäuscht, Beobachter werfen der Volkspartei vor, ihre Glaubwürdigkeit für nichts und wieder nichts über Bord geworfen zu haben. Stimmen Sie zu?
Stainer-Hämmerle
Ja, natürlich. Man verspricht zunächst, auf keinen Fall mit Kickl zu koalieren. Dann versucht man doch zueinander zu finden. Scheitert dann daran. Und ich weiß nicht, wie man das dritte Mal ohne Glaubwürdigkeitsverlust diese 180-Grad-Wende zurück zur SPÖ schaffen will.
Auch die FPÖ ist gescheitert. Denken Sie, dass die Freiheitlichen mit ihrer Opfer-Erzählung weiterhin punkten können?
Stainer-Hämmerle
Ich glaube schon, dass sich das bei einer größeren Gruppe in der österreichischen Bevölkerung verfestigt. Daran werden auch die gescheiterten Verhandlungen nichts ändern. Aber man hat auch gesehen, dass die österreichische Bevölkerung auch aufsteht, etwa durch Proteste auf der Straße und auf Social Media. Es wird womöglich noch mehr gegen Kickl mobilisiert werden.
Wird ihm das schaden?
Stainer-Hämmerle
Solange es dieses „dafür“ oder „dagegen“ gibt, wird Kickl weiterhin immer im Mittelpunkt stehen und ein relevanter Player bleiben. Es tut ihm eigentlich gut, wenn man gegen ihn mobilisiert. Die Frage wird sein, ob die anderen beiden Großparteien SPÖ und ÖVP eine andere Erzählung im Wahlkampf finden, als nur „wir müssen Kickl verhindern“.
Welche Spuren wird das Scheitern der Verhandlungen in der ÖVP nach sich ziehen?
Stainer-Hämmerle
Der Wirtschaftsflügel hat sich nicht durchgesetzt. Die ÖVP Niederösterreich, die ja als Machtbasis der ÖVP gilt, ist mit ihrer Strategie auch gescheitert. Und es gab auch schon davor Landeshauptleute, die appelliert haben, mit der SPÖ zu verhandeln. Hier wird es spannend sein zu beobachten, wer jetzt mehr Einfluss bekommt und wer auch an Einfluss verloren hat.
Wer wird denn von dieser Situation am meisten profitieren und wer weniger?
Stainer-Hämmerle
Das wird jetzt auch davon abhängen, welches Szenario eintritt. Ich glaube schon, dass es den Grünen eine Chance gibt, bei Neuwahlen besser abzuschneiden. Aber die stehen jetzt natürlich auch vor einem Generationswechsel, Werner Kogler hat ja bereits seinen Rückzug angekündigt. Es wird vor allem die Partei profitieren, die Platz zwei erreicht. Das könnte paradoxerweise trotz allem die ÖVP werden. Denn ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass die FPÖ etwaige Neuwahlen gewinnt.
Was macht das alles mit der Politikverdrossenheit im Land?
Stainer-Hämmerle
Wenn es zu Neuwahlen kommt, dann würde ich auf jeden Fall anraten, einen sehr sparsamen Wahlkampf zu führen. ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne sollten zudem versuchen, einen versöhnlichen Wahlkampf zu führen. Wenn man sagt, „es ist notwendig, uns noch einmal zu präsentieren“, aber nicht nur gegeneinander, dann werden das die Österreicherinnen und Österreich auch verstehen.