Kinder zwischen Müll und Gerümpel – haben die Behörden richtig reagiert?
Ein Ehepaar quält auf seinem Anwesen in der Oststeiermark etliche Tiere. Die Behörden gehen dem nach – doch um die dort lebenden Kinder kümmern sie sich nicht. Warum?
Es ist noch tiefer Winter, aber an diesem Dienstagvormittag im späten Jänner riecht es über St. Margarethen an der Raab nicht nur bereits nach Frühling, er ist auch schon zu hören. Die Bäume in dieser entlegenen Streusiedlung in der Oststeiermark weit abseits vom Ortskern sind noch nackt und die Gstetten braun, trotzdem überschlägt sich allerlei Vogelgezwitscher aus allen Richtungen. An der Weggabelung mit dem Holzkreuz ertönt ein Quietschen – es kommt vom Hof, der sich direkt hinter dem Marterl erstreckt; mehrere alte Gebäude mit offenen Holztüren, ein Stall, verpackte Heuballen, Zubauten, etliche Eingänge, die so verstellt sind, dass man schwer erfassen kann, was sich darin eigentlich befindet. Ums Haus herum baumeln Schaukeln, Kinderfahrräder liegen unter einer Veranda, ein schwarzer Citroën ohne Nummerntafeln parkt in der Einfahrt. An einer der Eingangstüren hängt ein Sackerl mit dem Logo des ÖAMTC, auf dem in Großbuchstaben „POST“ gekritzelt steht – daraus lugen Werbeprospekte und ungeöffnete Briefumschläge hervor. Vor einigen Monaten noch lebte hier ein deutsches Ehepaar mit vier Kindern, sie hielten Dutzende Tiere. Heute ist dieser Ort verlassen, er geistert dieser Tage jedoch durch die heimischen Medien, die „Kronen Zeitung“ nennt ihn „Horror-Hof“.
Im Jänner des Vorjahres poppte diese Adresse erstmals auf dem Radar der steirischen Behörden auf. Bei der Polizei flatterte eine anonyme Anzeige herein, sie hatte sich auf einen großflächigen Misthaufen auf dem Grund der deutschen Familie bezogen; Jauche und Sickersäfte traten aus ihm aus und vergifteten Boden und Wasser. Neben der Umweltgefährdung entdeckten die Behörden nach und nach aber auch noch weitere Missstände, etwa krasse Fälle von Tierquälerei, die das deutsche Paar zu verantworten hat: Die Beamten spürten insgesamt neun Hunde auf, manche von ihnen hielt das Ehepaar in finsteren Erdkellern; zwei Terrier in einer Hundebox eingepfercht, in der sie sich kaum bewegen konnten; eine Hündin mit offenen Wunden und einer Lähmung an den Hinterläufen.
Die Behörden fanden auch verletzte und abgemagerte Pferde, darunter ein früheres Dressurpferd. Dessen Hufe waren mit Steinen zusammengewachsen, es hatten sich eitrige Abszesse gebildet.
Insgesamt hielten die Eheleute 25 Gäule, die sie teilweise vor den Behörden versteckten. Manche von ihnen wurden nur durch Zufall entdeckt, etwa von einem Radfahrer, der auf einer entfernten Koppel ein geschwächtes Pferd gesichtet hatte und daraufhin die Polizei alarmierte – im Nachhinein stellte sich heraus, dass auch dieses Tier dem deutschen Paar gehörte.
Das Vieh wurde den deutschen Eheleuten teilweise behördlich abgenommen – die Kinder jedoch blieben. Sie sind mit ihnen mittlerweile nach Deutschland verzogen.
Dabei waren auch die vier Kinder gefährdet – es gab zumindest den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Die Kinder wohnten in einem „stark verwahrlosten Umfeld“, wie die Polizei sagt. „Sie lebten in Zimmern mit Müll, Schmutz und Gerümpel.“ Die sanitären und hygienischen Zustände, in denen die Minderjährigen leben mussten, waren „prekär“. Die Polizei berichtet von Ungeziefer in den Wohnräumlichkeiten.
Um das festzustellen, brauchte die zuständige Bezirkshauptmannschaft Weiz ein halbes Jahr – obwohl sie dort wegen der Umweltschäden und der Tierquälerei monatelang aus und ein ging und sah, wie es dort zuging. Bezirkshauptmann Heinz Schwarzbeck will nicht sagen, wie häufig die Bezirkshauptmannschaft mit ihren Veterinärmedizinern und anderem Personal am Hof war, gibt aber zu, dass es mehrfache und regelmäßige Begehungen gab. Man sei eben nicht wegen des Kindeswohls dort gewesen, sondern wegen anderer Sachverhalte. Erst als Mitarbeiter der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Weiz zu den Hunden im Keller gingen, sei schließlich auch die Wohnsituation der Kinder aufgefallen – also quasi durch Zufall.
Unweigerlich fragt man sich: Wieso hat sich niemand von den Beamten dafür interessiert, wie es eigentlich den vier Kindern ging, die hier im Dreck und zwischen gequälten Tieren lebten? Bezirkshauptmann Schwarzbeck sagt: „Es gab keine Hinweise darauf, dass es den Kindern nicht gut geht.“ Und das ist doch einigermaßen bemerkenswert.
Zumal diese Familie eigentlich unter besonderer Aufsicht der Bezirkshauptmannschaft Weiz stand. Zuvor schon hatte die Behörde Kontakt mit ihr und zwar aus einem ganz besonderen Grund: Zwei der vier minderjährigen Kinder, die beim deutschen Ehepaar wohnten, sind besonders schutzbedürftig, denn sie sind Pflegekinder. Sie wurden dem Paar in Deutschland zur Pflege übergeben, die deutschen Behörden hatten die Letztverantwortung, die Bezirkshauptmannschaft Weiz jedoch die sogenannte Pflegschaftsaufsicht über.
Rückendeckung aus Graz
Das bedeutet, dass sie ein Mal im Jahr Nachschau hielten, wie es der Familie geht, sagt Gudrun Weiszensteiner, Leiterin des Referats für Sozialarbeit der Bezirkshauptmannschaft Weiz. Dabei hatte man standardmäßig die Eindrücke vom Zustand der Kinder dokumentiert und diese an die deutschen Kollegen geschickt – so wie man es auch bei Pflegekindern getan hätte, die beispielsweise aus einem anderen österreichischen Bundesland in die Steiermark gezogen wären. Über den konkreten Fall möchte Weiszensteiner aus Gründen des Personen- und Datenschutzes nichts preisgeben, nur so viel: „Zum konkreten Fall selbst kann ich aufgrund der Verschwiegenheit nichts Näheres sagen. Allgemein ist es jedoch natürlich so, dass wenn im Rahmen einer Pflegeaufsicht etwas auffällt, hier jedenfalls eine Gefährdungsabklärung durchgeführt wird.“
Die Kinder gingen normal in die Schule, sagt Bezirkshauptmann Heinz Schwarzbeck. Von Schulen und auch von sonst keiner Stelle sei bezüglich der Kinder jemals etwas gemeldet worden. Wie alt sie sind und in welche Schulen sie gingen, das will er nicht sagen.
Dass Kinder aus einem derartigen Haushalt, in dem das Ungeziefer herumkriecht, adrett, sauber und lückenlos in der Schule auftauchen, dass sie dort auch niemandem etwas erzählt haben sollen von den Zuständen zu Hause, aber auch von den verletzten Tieren, ist möglich – aber war dem tatsächlich so?
Die Behörden auf Landesebene machen die Mauer und geben der Bezirkshauptmannschaft Weiz Rückendeckung. Die Bildungsdirektion Steiermark teilt mit, dass „bei den Kindern in der Schule nichts auffiel, Kontakt zur Mutter bestand ausführlich. Nach dem Umzug nach Deutschland bestätigte die neue Schule die Aufnahme der Kinder.“ Und auch die Abteilung 11, die als übergeordnete Stelle auf Landesebene für Soziales zuständig ist und die Landesrat Hannes Amesbauer (FPÖ) unterstellt ist, teilt mit: Es „wurde nie Gefahr im Verzug festgestellt“.
Wer sind die Pflegeeltern? Bürgermeister Johannes Karner (ÖVP) bezeichnet die Familie als „alternativ“ – was genau darunter zu verstehen ist, kann er nicht genau sagen. Staatsverweigerer oder gar religiöse Fanatiker seien sie allem Anschein nach aber nicht gewesen. „Schlampert halt“, sagt der Ortsvorsteher. Sie seien heillos überfordert gewesen mit den vielen Tieren, das sei eben nicht jedermanns Sache. Warum sie dennoch so daran festhielten, das könne er nicht sagen; wie sie sich ihr Leben finanzierten, auch nicht.
Es war jedenfalls nicht das erste Mal, dass das Ehepaar Tiere hielt. Es wohnte zuvor in Niederösterreich und war dem Vernehmen nach dort auf ähnliche Weise aufgefallen; laut der niederösterreichischen Polizeidirektion gab es 2022 mehrere Anzeigen wegen Tierhaltung.
Im selben Jahr jedenfalls, in dem sie die Anzeigen in Niederösterreich bekamen, kauften die deutschen Eheleute, er Jahrgang 1966, sie 1978, den Hof im oststeirischen St. Margarethen und berappten dafür 389.000 Euro. Im Ortskern von Sankt Margarethen, dort, wo man auf den Billa mit dem großen Parkplatz stolz ist, auf die Apotheke und auf den Dorfwirten, der dienstags geschlossen hat, waren sie nicht oft zu sehen, sagen die Gäste der Bäckerei Hofer und auch jene des Kabarettcafés Hartis.
Keine Konsequenzen
Die deutschen Behörden jedenfalls seien über alles, was in Österreich passiert ist, informiert worden, heißt es aus der Bezirkshauptmannschaft Weiz. Aus „Gründen der Verschwiegenheit“ wolle man jedoch nicht sagen, wann genau die zuständigen Behörden in Deutschland vom Verdacht der Kindeswohlgefährdung erfahren haben. Es sei geschehen, versichert Gudrun Weiszensteiner, Leiterin des Referats für Sozialarbeit.
Die Familie sei jedenfalls nach Deutschland zurückgezogen, das war der Letztstand der Informationen vergangenen Herbst, so Weiszensteiner. Sie hatte das Land verlassen, noch bevor die Prüfung des Kindeswohls abgeschlossen wurde – das bedeutet auch, dass offiziell nicht feststeht, ob die Kinder tatsächlich auch gefährdet waren. Ob und welche Konsequenzen das auf die Pflegeelternschaft des Paares haben wird, ist völlig unklar.
Auf eine Anfrage beim Jugendamt in jenem Gebiet in Deutschland, wo die Pflegeeltern laut profil-Informationen zuletzt ihre Adresse angegeben hatten, kam lediglich eine Standard-meldung, dass es zu Einzelfällen keinerlei Auskunft gibt. Eine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Wien ging ebenfalls ins Leere; man äußere sich grundsätzlich nicht zu konkreten Fällen, wie ein Sprecher festhält.
Haben die österreichischen Behörden alles getan, um die Kinder ausreichend zu schützen – nicht nur die leiblichen Kinder des Paares, sondern auch die Kinder, die zur Pflege übergeben wurden, damit sie es besser haben als in ihren ursprünglichen Familien?
Ist der Fall aus St. Margarethen ein Hinweis auf einen strukturellen Missstand der Jugendwohlfahrt? Landesweit fällt auf, dass es immer wieder krasse Fälle von Vernachlässigung und Fehleinschätzungen gibt; da war etwa ein Mädchen im Waldviertel, Tochter von Evangelikalen, dessen Eltern Schulmedizin ablehnten und das deshalb an einer leicht behandelbaren chronischen Krankheit 2019 starb. Oder das Kind in der Hundebox, oder der Jugendliche, der kürzlich von der Jugendhilfe auf die Straße gesetzt wurde.
Wie es grundsätzlich um die Kinder- und Jugendhilfe bestellt ist, ist wenig erforscht, es gibt landesweit kaum Zahlen zum Bereich Sozialarbeit, auch nicht, wie viele Kinder in Pflege sind beispielsweise und wie viele in betreuten Wohngemeinschaften. Über diesen so wichtigen Bereich fehlen die grundlegendsten Informationen.
Zwar beschwichtigen alle Stellen, dass die Familie aus dem oststeirischen St. Margarethen vorab unauffällig war – um zu bemerken, dass da womöglich etwas nicht ganz stimmt, mussten die Behördenmitarbeiter aber erst selbst im Dreck stehen, in dem die Kinder lebten. Konsequenzen wird dies jedenfalls keine haben, die Familie ist weg, die Behörden in Österreich müssen sich daher damit nicht weiter beschäftigen.