Steiermark-Wahl: 5 Gründe, warum die grüne Mark jetzt blau ist
Schwarz ist in der Steiermark seit dem vergangenen Landtagswahl-Sonntag nur mehr das Kernöl. Überraschend war der FPÖ-Sieg für niemanden, alle Umfragen vor der Wahl prognostizierten den blauen Erfolg. Dass er allerdings so deutlich ausfallen würde und die ÖVP-SPÖ-Mehrheit im Landtag brechen würde, damit haben die wenigsten gerechnet. Fünf Thesen, wieso die FPÖ in der Steiermark so massiv zulegen konnte.
Das Leid mit dem Leitspital
Eine lange geplante Spitalfusion ließ ÖVP und SPÖ am Sonntag wie Patienten aussehen. Wer die Ergebnisse des blauen Erdrutschsieges analysiert, kommt am Projekt Leitspital Liezen kaum vorbei. In keinem anderen Bezirk konnten die Freiheitlichen stärker zulegen. Das Ausmaß des Widerstands aus der Bevölkerung überrumpelte die Volkspartei und die Sozialdemokraten gleichermaßen.
Für das neue Leitspital sollten drei kleinere Kliniken in Rottenmann, Bad Aussee und Schladming zu Gesundheitszentren zurückgestutzt werden. Das Ergebnis: Die FPÖ holte in Rottenmann satte 63 Prozent, ein Rekordplus von 35 Prozentpunkten.
Erschwerend kam hinzu, dass Noch-Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) vor seinem Wechsel an die Landesspitze von 2015 bis 2019 für das Gesundheitsressort und damit für die Spital-Reformpläne mitverantwortlich war.
Ich bin kein Experte in dem Bereich. Ich maße mir nicht an, zu sagen: Nein, das bauen wir nicht. Weil ich will nicht verantwortlich sein, wenn es dann Probleme gibt in der Gesundheitsversorgung.
Doch auch SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang hatte seine liebe Not, die Vorzüge der Gesundheitsreform zu verkaufen. Fünf Tage vor der Landtagswahl dilettierte er in der ORF-Elefantenrunde auf die Frage nach dem Leitspital: „Es ist mir ständig von den Experten der Kages erklärt worden: Es führt kein Weg vorbei an diesem Leitspital im Bezirk Liezen. Wenn wir das nicht bauen, ist die Gesundheitsversorgung gefährdet. Ich bin kein Experte in dem Bereich. Ich maße mir nicht an, zu sagen: Nein, das bauen wir nicht. Weil ich will nicht verantwortlich sein, wenn es dann Probleme gibt in der Gesundheitsversorgung.“
Rasend überzeugend klingt das nicht.
Dabei gibt es aus Expertensicht gute Gründe für die Fusion: Weniger Standorte hätten den Vorteil, dass dort Spezialistinnen und Spezialisten mehr Routine bekämen – weil sie jährlich mehr OPs durchführen würden.
Doch der Bevölkerung war die Durchschnittsversorgung in Wohnortnähe offenbar wichtiger als die in Aussicht gestellte Spitzenmedizin weiter weg.
Ob das Leitspital Liezen je gebaut wird, ist nach dem Ergebnis vom Sonntag stark zu bezweifeln.
Die Kraft am Land
Jahrzehntelang galt in Österreich ein politisches Grundgesetz: Am Land regiert die Bürgermeisterpartei ÖVP. Gegen Eindringlinge von außen half ein weit verästeltes Funktionärsnetz, das sich der Loyalität der Bevölkerung versicherte. In Zeiten der digitalen Kommunikation verliert dieser Wettbewerbsvorteil zunehmend an Bedeutung.
Fest steht: Bei der Steiermark-Wahl flüchtete die Landbevölkerung von Schwarz zu Blau. Eine erste vage Erklärung dafür liefert der sogenannte „Diploma Divide“: Unter Menschen mit Matura-Abschluss holte die FPÖ 20 Prozent, deutlich weniger als im Landesschnitt mit knapp 35. In Städten wie Graz konnte die FPÖ nur unterdurchschnittlich zulegen, ihren Siegeszug verdankt sie der Peripherie.
Doch was lässt die Landbevölkerung in Scharen zu einer populistischen Protestpartei überlaufen? Zu den Gründen will sich von der ÖVP niemand öffentlich erklären. Das Pauschalargument, dass Regierende weltweit abgestraft werden, ist zwar richtig, es kann aber nicht als alleinige Erklärung für die starken Wählerwanderungen herhalten.
Für seine Beliebtheit müssen wir noch etwas tun.
Der Frust der Erwerbstätigen
Ihren Wahlsieg hat die FPÖ vor allem der Generation X und den Millenials zu verdanken, also den Menschen zwischen 35 und 60, die voll im Arbeitsleben stehen. Die anderen Parteien müssen sich fragen, wieso 42 Prozent der Erwerbstätigen für die Freiheitlichen stimmten. Die ÖVP (20 Prozent) und die SPÖ (18 Prozent) wurden von dieser Gruppe abgestraft. Unter den Beschäftigten ohne Matura holte die FPÖ sogar eine absolute Mehrheit.
Meinungsforscher Christoph Hofinger vom Institut Foresight hat zwei Thesen für das Wahlverhalten der Erwerbstätigen: „Einerseits, weil sie nicht zu den Älteren gehören, bei denen es noch vergleichsweise viele Stammwähler von ÖVP und SPÖ gibt. Andererseits weil sie in der ‚Rush hour des Lebens‘ sind, das heißt Herausforderungen im Beruf spüren“, wie er im Nachwahl-Chat mit dem „Standard“ schrieb. Was er meint: die schlechten Prognosen des Arbeitsmarktes, das Gefühl, kaum Anerkennung zu erhalten und die – wie Hofinger es nennt – „Challenge in Mehrpersonen-Haushalten, die Familien durchzubringen“. Bei dieser Gruppe schlagen die Preissteigerungen bei Wohnen, Lebensmitteln und Krediten voll durch.
Ob Hausbau, Autokauf oder einfach Bier beim Dorfwirt: Das Gefühl, dass man für dieselbe Arbeitsleistung weniger bekommt, dürfte bei immer mehr Menschen verbreitet sein.
Mit dem Versuch, Drexler weg vom Intellektuellen hin zu einem, der tief in Wählerschichten im ländlichen Raum ausstrahlen kann, umzudeuten, ist er eigentlich sehr unauthentisch geworden.
Politischer Personalmangel
Juni 2022. Bei der Staffelübergabe an seinen Nachfolger spricht Alt-Landeshauptmann Hermann Schützenhofer (ÖVP) eine Schwäche von Christopher Drexler offen aus. „Er kann das Land führen, ist ein Stratege mit besten Verbindungen nach Wien. Für seine Beliebtheit müssen wir noch etwas tun“, sagte Schützenhofer damals. Gelungen scheint das bis zur Landtagswahl am vergangenen Sonntag nicht zu sein. Denn laut Wahltagsbefragung der Meinungsforschungsinstitute Foresight und ISA war das Wahlmotiv „Spitzenkandidat“ nur für sechs Prozent der steirischen ÖVP-Wählerinnen und Wähler ausschlaggebend. Auch bei den Vorzugsstimmen blieb Drexler deutlich hinter FPÖ-Frontmann Mario Kunasek zurück.
Ein Landeshauptmann-Bonus sieht anders aus.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der oberösterreichischen Landtagswahl 2021, der ersten Wahl nach der Übergabe von Altlandeshauptmann Josef Pühringer an Thomas Stelzer (beide ÖVP). Für die ÖVP-Wählerinnen und Wähler war die Frage des Spitzenkandidates damals mit rund 35 Prozent das Hauptmotiv.
Den besten Wert in der Steiermark erreichte bei diesem Wahlmotiv die SPÖ: elf Prozent gaben an, die SPÖ wegen ihres Spitzenkandidaten Anton Lang zu wählen. Die Rolle eines potenziellen „Landesvaters“ füllten aber weder Lang noch Drexler aus, meint die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle: „Mit dem Versuch, Drexler weg vom Intellektuellen hin zu einem, der tief in Wählerschichten im ländlichen Raum ausstrahlen kann, umzudeuten, ist er eigentlich sehr unauthentisch geworden. Das hat dann dazu geführt, dass im Endeffekt beides nicht mehr wirklich funktioniert hat“, sagt die Politikwissenschafterin.
Ein unpopulärer Landeshauptmann in Kombination mit einer ohnehin schon starken Anti-Establishment-Stimmung ergebn das Ergebnis von Sonntag.
SPÖ und ÖVP beim Autofahren nur auf dem Beifahrersitz
Bei der steirischen Landtagswahl hat die ÖVP auf das vergessen, was Kanzler Karl Nehammer in seinem Österreichplan schreibt: „Österreich ist nicht nur Autoland die Mobilität betreffend, sondern auch Autoland bei der Produktion“. Stattdessen haben ÖVP und SPÖ das Lenkrad der FPÖ überlassen. „Autofahren ist keine Schande, sondern eine Selbstverständlichkeit“, hat der FPÖ-Spitzenkandidat Mario Kunasek sein klares Bekenntnis zum Auto vor der Wahl zum Ausdruck gebracht. Auch in den Sozialen Medien wechselten die Freiheitlichen beim Thema Autofahren auf die Überholspur. So wurde etwa in einem dystopischen Video vermittelt, was der Bevölkerung unter der Verkehrspolitik der anderen Parteien drohe: Ein Individualverkehr, dargestellt ohne Auto, stattdessen mit Personen aller Altersgruppen, die sich zu Fuß fortbewegen – inklusive Babyschale.
Ein Blick auf die PKW-Dichte: Mit 621 Autos pro Tausend Einwohnerinnen und Einwohner liegt die Steiermark laut Daten der Statistik Austria über dem Österreichschnitt von 566 PKW. Dass auf drei Steirerinnen und Steirer zwei Autos kommen, macht deutlich, dass im ländlichen Raum große Teile der Bevölkerung schlichtweg darauf angewiesen sind.
Über das Autofahren haben Landeshauptmann Drexler (ÖVP) und Verkehrslandesrat Lang (SPÖ) im Intensivwahlkampf aber nur wenig gesprochen. Anders als die Freiheitlichen: „Das Autofahren wurde von der FPÖ stark in den Fokus gerückt und auch plakatiert: Wir sind die Autofahrerpartei. Dem kann man natürlich den Klimaschutz und den öffentlichen Verkehr entgegensetzen, aber im ländlichen Raum hat Kunasek damit sehr stark die Gefühle und auch die Bedürfnisse der Bevölkerung getroffen“, meint Politologin Stainer-Hämmerle.
Nebst Spitalsreform und Verkehrsthema setzten die Freiheitlichen freilich auch auf ihr Lieblingsthema Zuwanderung. Mit theoretischen Rechenspielen, wie viel eine Asylwerberfamilie im Extremfall an Sozialleistungen bekommen kann, fand Kunasek bei Boulevardmedien dankbare Abnehmer.
Der Bundespräsident, der in den ersten Analysen als Sündenbock für das ÖVP-Ergebnis herhalten musste, war in Wahrheit kein relevanter Faktor. Die meisten Wählerinnen und Wähler der Blauen hatten ihre Entscheidung bereits Wochen vor dem Wahltag getroffen. Und damit vor Alexander Van der Bellens Manöver, Kickl nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen.