Steuerreform: Warum am Ende immer die Familien gewinnen

Steuerreform: Warum am Ende immer die Familien gewinnen

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Das Bier wird in Strömen fließen, besonders in Pubs und in verhaltensoriginelle Menschen mit grüner Kleidung. Der St. Patrick’s Day am 17. März ist ein feuchtfröhlicher Fixtermin im Partykalender, nicht nur für Iren. Der 17. März hätte auch ein Freudentag für die Regierung werden sollen, eine der raren Gelegenheiten, ausschließlich gute Neuigkeiten zu verkünden: Wohltaten! Endlich Steuerentlastung! Mehr Geld für alle! Doch der Kater scheint sich schon lange vor dem geplanten Freudentaumel einzustellen: „Glauben Sie ernsthaft, dass uns irgendjemand am Ende für die Steuerreform loben wird?“, grummelte Finanzminister Hans Jörg Schelling bereits jetzt vorbeugend. Und Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner grantelten sich vergangenen Donnerstag live durch das ORF-Bürgerform und schafften das seltene Kunststück, die ohnehin niedrigen Erwartungen an die Steuerreform noch tiefer zu schrauben.

So kann man einen lang geplanten Festtag mit Anlauf vermasseln.

Alle versprachen einen großen Wurf

Die Geschichte der Steuerreformen ist eine Geschichte verpasster Gelegenheiten. Zehn Finanzminister versuchten seit 1988, dem Jahr der letzten großen Steuerreform, ihr Glück. Unter ihnen fanden sich hemdsärmelige Handwerker (Prototyp Rudolf Edlinger), schillernde Großmäuler (Karl-Heinz Grasser), knochentrockene Rechenschieber (Wilhelm Molterer), energiegeladene Wonneproppen (Josef Pröll) und rasch abservierte Unglücksraben (Andreas Staribacher und Michael Spindelegger). Völlig konträre Politikertypen, ideologisch durch Welten getrennt – und dennoch erstaunlicherweise mit einem völlig identen Ziel: Sie alle versprachen einen großen Wurf, wollten das Steuersystem grundlegend reformieren, fairer machen, transparenter, einfacher. Die Steuern auf Arbeit gehören gesenkt, tönte es aus vielen Ministermündern. Und: Die Steuererklärung soll auf einen Bierdeckel passen! Derzeit werkt Hans Jörg Schelling im Finanzministerium, ein vor Selbstbewusstsein strotzender ehemaliger Manager, und will mit wilder Frische – erraten! – das Steuersystem „entlasten, entrümpeln, entbürokratisieren“.

Er wäre der Erste, dem das gelingt. Seit 1988 wurde das Steuersystem noch bei keiner Reform einfacher, im Gegenteil. Die oft versprochene „Entrümpelung“ sieht etwa bei den Steuerausnahmen so aus: 1988 reichten für deren Beschreibung schlappe 42.296 Wörter. 27 Jahre und 136 Novellen später ist allein das Spezialkonvolut der Texte für die Sondersteuersätze um 100 Prozent – auf 84.910 Wörter angeschwollen. Das ist der Umfang eines mittellangen Romans. Wenn dieses Muster fortgezeichnet wird, braucht es nur mehr wenige Entrümpelungsversuche, bis Wälzerlänge à la „Der Mann ohne Eigenschaften“ erreicht ist.

Das Messie-Syndrom

Jeder Messie kennt das Phänomen: Unzählige Anläufe scheitern, die Wohnung oder den Schreibtisch jetzt aber wirklich aufzuräumen. Irgendwann erreicht der unnütze Kram derart unüberschaubare Dimensionen, dass nur mehr Kapitulation möglich ist.

Das Messie-Syndrom stellt sich auch in Regierungen bei jedem Versuch ein, das Steuersystem grundlegend zu reformieren. 300 Steuergesetze mit Tausenden Paragrafen und 558 Sondersteuersätzen für 99 Berufe, 800 verschiedene Gruppen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz mit komplizierten Beitragsklassen – vor diesem über Jahrzehnte angesammelten Gerümpelberg wendete sich noch jeder Steuerreformer mit Schaudern ab. Der große Wurf gelang nie. Selbst Skurrilitäten wie die Steuerbegünstigung bei Tierfutter, für die selbst Feinspitze des Steuersystems nicht mehr eruieren können, was damit eigentlich bezweckt hätte werden sollen, landen nie im Müllcontainer.

Fraglos, eine grundlegende Systemumstellung brächte viel Geld: Denn der Wust an Ausnahmen, Begünstigungen und Sondertarifen im Steuer- und Sozialversicherungswesen führt allen Vorurteilen zum Trotz verblüffenderweise zu dem Effekt, dass alle Einkommensgruppen den fast identen Prozentsatz ihrer Gehälter an Steuern und Abgaben abzuliefern haben. Österreich hat im Grunde eine Flat-Tax – auf dem sehr hohen Niveau von fast 40 Prozent und mit enormem Verwaltungsaufwand. Umverteilt wird erst über ebenso umständliche und teure Sozialtransfers. Im Umkehrschluss: Hätte Österreich nicht das absurde System der Flat-Tax, könnte es sich getrost etliche Milliarden Euro an Sozialleistungen sparen.

Über den Konjunktiv kam noch kein Steuerreformversuch hinaus

Hätte, wäre, könnte: Über den Konjunktiv kam noch kein Steuerreformversuch hinaus. Wo beim Entrümpeln anfangen? Jede Steuerausnahme hat ihre Lobby – und sobald Beamte protestieren, Hoteliers aufheulen, Pensionisten poltern oder die Tierfreunde sich formieren, ist die vollmundig angekündigte Reform auch schon ad acta gelegt. Ganz wie bei den Messies, die zaghaft ein paar Zettel aus einem Chaoshaufen ziehen, schon damit meterhohe Stapel bedrohlich ins Wanken bringen – und ermattet aufgeben. Damit bleibt Plan B: Schnell einen Blumenstrauß kaufen und auf den Tisch stellen. Damit ist zwar nichts entrümpelt. Aber es sieht wenigstens ein bisschen hübscher aus.

Diesen Plan B beherrschen auch die Steuerreform-Messies in der Regierung: Für das Bohren der dicken Bretter fehlte stets die Ausdauer. Eine Systemumstellung klappte nie; um die beklagten hohen Steuern auf Arbeit zu senken, fehlte dann das Geld. Selbst bombastischen Anläufen zur Verwaltungsreform, in der angeblich Milliardenbeträge schlummern, folgten nur Minischritte: Der pompöse Verwaltungskonvent unter Schwarz-Blau produzierte 1128 Seiten mit Vorschlägen für eine billigere Verwaltung. Tatsächlich entsorgt wurden dann exakt das Ratten- und das Bazillenausscheidergesetz. Noch Fragen, warum die große Verwaltungsreform noch vielen Regierungen als theoretische Geldreserve dienen wird?

Blieb als letzter Ausweg, um vom mageren Ergebnis abzulenken, eine Behübschung: Millionen für die Familien. Mit diesem Minimalkonsens endete noch jeder Steuerreform-Anlauf. Last exit Familie!

Das ist kalkuliert: Wer wird es wagen, gegen Geld für Kinder zu protestieren? Breitenwirksam gedacht: Großzügig angekündigte Förderungen für Familien können einen Teil der Enttäuschung überdecken, dass von all den virtuell verschobenen und über Monate diskutierten Milliardenbeträgen wieder nur ein paar Euro für jeden bleiben. Getreu diesem Motto endete noch jede Steuerreform: „Der große Wurf stirbt in Schönheit. Die Regierung hat die Familien großzügig bedacht – auf Kosten aller anderen“, geißelte „Der Standard“ die Steuerreform des Jahres 1999. Bei der Steuerreform im Jahr 2004 unter Kanzler Wolfgang Schüssel und Finanzminister Karl-Heinz Grasser regnete es bis zu 220 Euro zusätzlich pro Kind und Jahr, 2009 schnürten Kanzler Werner Faymann und sein Vize Josef Pröll die nächste Steuerreform mit dem „großen Familienpaket“ (Pröll) aus 500 Millionen Euro für die Familien. Auch bei der strukturellen Steuerreform sind Faymann und Mitterlehner in so gut wie jedem Punkt uneinig, von der Reichensteuer bis zur Pensionsreform – nur dort nicht: Für Familien soll es mehr Geld geben, aller Wahrscheinlichkeit nach durch höhere Steuerabsetzbeträge für Kinderkosten.

Vom Babygeld bis zum Windelpaket

Das wird die SPÖ-Basis, die nach Millionärssteuern lechzt, kaum befrieden. Wichtiger: Das folgt keinerlei Logik, schon gar keiner finanziellen. Österreichs Familienpolitik ist schon jetzt sauteuer, aber weitgehend wirkungslos. Fast neun Milliarden Euro buttert der Staat jährlich in Familienleistungen; vom Babygeld bis zum Windelpaket gibt es einen Mischmasch aus 117 verschiedenen Förderungen – und dennoch dümpelt die Geburtenrate bei niedrigen 1,4 Kindern pro Frau dahin, und Nachwuchs steht auf der Liste der Armutsrisken ganz weit oben. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und gehört zum politischen Allgemeinwissen. Der seinerzeitige Familienminister Reinhold Mitterlehner urgierte im Jahr 2010 eine „Kehrtwende“ in der Familienpolitik.

2012 taten sich ausgerechnet Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer, die normalerweise komplett konträre Positionen vertreten, zusammen und wollten die Familien-Geldströme umlenken. Im Jahr 2014 schließlich verkündete Familienministerin Sophie Karmasin einen „Paradigmenwechsel“ in der Familienpolitik: Mehr Kindergärten und Ganztagsschulen, weniger Geld direkt an Familien. Seit Jahren pumpt Österreich 80 Prozent seiner Familienunterstützung in Zuschüsse, Absetzbeträge und andere monetäre Transfers, seit Jahren wird versprochen, das zu ändern. Nur im Finale von Steuerreformdiskussionen ist das Geschwätz von gestern stets vergessen: Da gelten plötzlich Steuervorteile für Familien als Problem Nummer eins. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat das Resultat in Zahlen bemessen: Im Jahr 2006 betrugen die familienpolitischen Aufwendungen 4400 Euro pro Kind – mittlerweile sind es 5233 Euro.

Und das Chaos in den Ecken? Das wird beim nächsten Mal aufgeräumt. Mit den Ländern wird ab 2016 über eine Neuaufteilung des Geldes verhandelt. Dann wird auch die ewige Wunderwaffe zur Gegenfinanzierung einer Steuerreform zum Einsatz kommen – die sagenumwobene Verwaltungsreform. Und der große Wurf gelingen. Ganz sicher.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin