SPÖ

Streit um SPÖ-Vorsitz: Andis sozialistische Welt

Vor 20 Jahren war Andreas Babler Marxist, Bundesheer-Gegner und bedauerte den Untergang Jugoslawiens. Und heute?

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Mit Andreas Babler, 50, würde die SPÖ den am weitesten links positionierten Vorsitzenden der jüngeren Parteigeschichte erhalten. Politisch geprägt wurde er bei der Sozialistischen Jugend (SJ) Niederösterreich, die zu Bablers Zeiten von den so genannten „Stamokaplern“ dominiert wurde. „Stamokap“ steht für „staatsmonopolistischer Kapitalismus“. Diese von Lenin vertretene Theorie besagt vereinfacht, dass über die Verschmelzung der Wirtschaft mit dem Staat und der folgenden Überwindung dieses Systems der Weg in den Sozialismus geebnet wird. In sozialdemokratischen Parteien versteht man unter Stamokaplern landläufig marxistisch-leninistisch orientierte Genossen – die sich meist im Parteinachwuchs finden.

Der heutige Bürgermeister von Traiskirchen hing den linksradikalen Idealen überraschend lange nach. Im Dezember 2002 hielt er bei einem SJ-Seminar im niederösterreichischen Rotheau einen Workshop zum Thema „Warum trotzdem Marx“ ab. Nach Bablers Vortrag folgte ein Referat zur „Einführung in die marxistische Philosophie“. Nachzulesen ist dies in einer, in der Nationalbibliothek aufliegenden Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 über Stamokap-Strömungen in der SJ, die profil einsah. Autor ist Martin Müller, heute Mitarbeiter der SPÖ-Kinderfreunde. Diesem schilderte Babler in Interviews seine Erlebnisse als Stamokapler in der Sozialistischen Jugend.

Auf Anfrage von profil, wie er Marx heute sehe, schreibt Babler: „Karl Marx’ Texte liefern bis heute eine scharfe Analyse der kapitalistischen Wirtschaft und wichtige Denkanstöße für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.“ Und weiter: „Die Idee einer Gesellschaft, in der Klassengegensätze überwunden, alle Lebensbereiche demokratisch gestaltet und der Ertrag der Arbeit gerecht verteilt ist, findet sich in allen Parteiprogrammen der Sozialdemokratie seit 1889, so auch im aktuellen Parteiprogramm von 2018.“ 

Die niederösterreichische Landesgruppe, deren Sekretär Babler 1995 wurde, galt als eine der radikalsten innerhalb der SJ. 1994 agitierte sie offen gegen den Beitritt Österreichs zur EU (damals: EG). 1996 wurde Babler Verbandssekretär der gesamten SJ. In einer SJ-Broschüre aus demselben Jahr wird der Sozialismus als „vollendetste Form der Demokratie“ bezeichnet. 1998 wird Babler erneut zum Verbandssekretär bestellt. Der Stamokap wird zur vorherrschenden Doktrin in der SJ.

Tribunal gegen Bundesregierung

Die SJ-Mitglieder waren glühende Verehrer Jugoslawiens und seines sozialistischen Vielvölkersystems, auch Babler. Die Balkankriege in den 1990-er Jahren und den Zerfall Jugoslawiens empfanden sie als Katastrophe – und ergriffen Partei. Als im Krieg um den Kosovo die NATO im März 1999 militärische Einrichtungen und die Infrastruktur Jugoslawiens bombardierte, organisierte die SJ eine Protestbewegung. Am 17. April 1999 fand am Wiener Heldenplatz eine Großdemonstration gegen die NATO und den Westen statt. Als Hauptredner trat Andreas Babler auf, der – nach eigenen Angaben in der oben erwähnten Diplomarbeit – nicht nur das Militärbündnis, sondern auch die Regierung des neutralen Österreichs attackierte, da diese zu wenig gegen die NATO-Luftangriffe protestiere. Es gebe „eine österreichische Mitverantwortung an der absichtlichen Zerschlagung Jugoslawiens durch den westlichen Imperialismus“. Wenn die SPÖ „ein Europa der Bomben“ unterstütze, sei sie „nicht wählbar“.  Ausschnitte der Rede wurden sogar im jugoslawischen Staatsfernsehen gezeigt.

Das gescheiterte Friedensabkommen von Rambouillet vom Februar 1999, dem als einziger der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević nicht zustimmte, bezeichnete Babler in seiner Rede als „unzumutbar“. Nur einen Monat nach Bablers Rede wurde Milošević vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Völkermords angeklagt. Im Dezember 1999 inszenierten Babler und Genossen ihrerseits ein symbolisches „Wiener Tribunal“. Die Bundesregierung um Kanzler Viktor Klima und Außenminister Wolfgang Schüssel wurde schuldig gesprochen, da sie „Mitverantwortung“ für den „NATO-Angriffskrieg“ trage. Der Völkermord und die Kriegsverbrechen durch Milošević und seine Schergen – wie etwa in Srebrenica im Jahr 1995 mit 8000 Ermordeten – wurden von Bablers „Tribunal“ nicht verurteilt.

Auf Anfrage von profil erklärt Babler heute, „die Verantwortung von Milošević für zahlreiche Kriegsverbrechen in den Jugoslawien-Kriegen“ sei „eindeutig geklärt“. Die Forschung „rund um den Kriegsverbrecher-Prozess“ habe auch „viele neue Erkenntnisse“ gebracht. Als Balkanvorsitzender der Sozialistische-Jugend-Internationale habe er sich damals als einer der ersten im Kosovo engagiert und versucht, „Dialoge zu organisieren“.

Jugoslawien-Nostalgie

Die Nostalgie für Jugoslawien und die Sowjetunion unter früheren Vertretern der SJ hält bis heute an. So musste der Schwechater SPÖ-Vorsitzende David Stockinger, ein alter Bekannter von Babler, in der Vorwoche zurücktreten. Zuvor war ein Foto publik geworden, das Stockinger in einer Uniform des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zeigte, der für tausendfachen Mord und Folter verantwortlich war. In einem Antrag an den Verbandstag der SJ im Jänner 2013 wird der „Zusammenbruch der Sowjetunion“ explizit bedauert. Denn damit sei „der erste Versuch, die Menschheit aus dem Elend, welches der Kapitalismus generiert, zu befreien, … vorläufig gescheitert“.

Unter jenen SPÖ-Abgeordneten, die Ende März die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat boykottierten, fanden sich viele Vertreter der SPÖ-NÖ. Andreas Babler verurteilt den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mittlerweile klar und gesteht der Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung und Waffenlieferungen zu. In früheren Stellungnahmen hatte er eher diffus pazifistisch formuliert. Militärisches lehnt Babler ab, obwohl er selbst seinen Grundwehrdienst ableistete. 2011 forderte er – damals schon als Stadtrat in Traiskirchen – die Abschaffung des Bundesheeres. Als Bürgermeister dürfte er seine Meinung geändert haben. Im August 2017 bauten 40 Pioniere des Bundesheeres eine Notbehelfsbrücke über den Wiener Neustädter Kanal in Traiskirchen. Bürgermeister Babler bezeichnete die neue Brücke als „cool“.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.