Statt Hans Peter Doskozil (links) wurde doch Andreas Babler (rechts) SPÖ-Chef, wie Michaela Grubesa (mitte) verspätet bekannt gab.
SPÖ-Entscheidung

Streit um Stimmen: Der rettende Fehler der SPÖ

Die SPÖ-Wahlkommission ist für das rote Debakel verantwortlich. Doch das Gremium war bereits seit Jahren in der Bredouille.

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Microsoft Excel ist ein mächtiges Programm. Mit einem Mausklick lassen sich Zahlenreihen addieren, vom niedrigsten bis zum höchsten Wert sortieren oder in Balken-, Torten- und anderen Diagrammen darstellen. Wer sich besser mit Excel auskennt, kann auch komplizierte mathematische Operationen damit durchführen und Zusammenhänge zwischen Datensätze überprüfen.

Man kann mit Microsoft Excel auch für ziemliches Chaos sorgen. Das hat die SPÖ am Bundesparteitag am 3. Juni und in den Tagen danach gemerkt. Wegen einer falschen Eingabeformel wurde in Linz Hans Peter Doskozil irrtümlich zum Parteichef gekürt. Dabei hatte sein Kontrahent Andreas Babler tatsächlich mehr Stimmen erhalten. Die Vorsitzende der verantwortlichen Wahlkommission, Michaela Grubesa, trat zurück, ihre Nachfolgerin Klaudia Frieben erklärte wortreich, wie es dazu kommen konnte – und warum sie und die übrigen Mitglieder dennoch gute Arbeit leisten würden. Was Frieben unerwähnt ließ: In dem Gremium kriselt es seit Jahren. Die Gräben, die die Partei lähmten, stellten auch die Kommission vor die Zerreißprobe.

Es gibt destruktive Kräfte in der SPÖ. Ich kenne sie. Sie torpedieren die Einigkeit.

Pamela Rendi-Wagner

spürte als Parteichefin schon 2020 Spannungen in der SPÖ und ihrer Wahlkommission.

Manipulationsverdacht

Schon im Frühjahr 2020 quälte eine Mitgliederbefragung die Wahlkommission. Pamela Rendi-Wagner stellte sich damals allein der Basis zur Wahl. Danach zählte die hauseigene EDV-Tochter die Online-Stimmen aus, eine externe Firma jene, die per Post abgegeben worden waren. Die Wahlkommission sollte das Resultat per Beschluss lediglich bestätigen.

Doch als das Anfang Mai passieren sollte, drohten fünf Mitglieder – darunter die spätere Vorsitzende Grubesa und andere Vertreter des Doskozil-Lagers – an, die Zustimmung zu verweigern. Sie wollten zumindest stichprobenartigen Einblick in die Datensätze. Der eigentliche Grund: Sowohl die Wahlbeteiligung mit fast 43 Prozent der damals 160.000 Mitglieder als auch die Zustimmung für Rendi-Wagner mit 72 Prozent waren überraschend hoch ausgefallen. „Es gibt destruktive Kräfte in der SPÖ. Ich kenne sie. Sie torpedieren die Einigkeit“, sagte Rendi-Wagner in der ORF-Pressestunde, statt einen Befreiungsschlag zu feiern. Es folgte eine notarielle Beglaubigung des Ergebnisses.

In die Wahlkommission kehrte Ruhe ein, fürs Erste. Im Juni 2021 wurde sie wie bei jedem ordentlichen Bundesparteitags neu gewählt – so sieht es das Statut der Partei auch vor. Manche Mitglieder kamen neu hinzu, manche schieden aus, andere blieben. Zu Letzteren zählten Harry Kopietz, der dem Gremium bereits seit über zehn Jahren vorsaß, Grubesa, die zu seiner Stellvertreterin aufstieg, und Frieben.

Das Vertrauen ineinander war nicht immer gegeben.

Klaudia Frieben

spricht für eine teils uneinige Wahlkommission.

Am Ende der heurigen Mitgliederbefragung brachen die Gräben wieder auf. Auch diesmal konnten die Mitglieder – insgesamt 148.000 – online oder per Brief abstimmen. Am 11. Mai, einen Tag nach Ende der Einsendefrist, trat der 74-jährige Harry Kopietz überraschend zurück. Offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Der ehemalige Landesparteisekretär der Wiener SPÖ unterstützte Rendi-Wagner und war das mit Abstand erfahrenste Mitglied der Kommission.

Im Hintergrund tobte ein Streit über die Einbeziehung eines externen IT-Experten, auf den vor allem Grubesa drängte. Anlass waren Medienberichte über mögliche Sicherheitslücken bei der Mitgliederbefragung. Grubesa schuf per Umlaufbeschluss Tatsachen. 14 von 19 Kommissionsmitgliedern hätten ihrem Vorgehen per Mail zugestimmt, behauptete sie. Kopietz sprach sich dagegen aus und habe deswegen entnervt hingeschmissen, lautet eine alternative Version für seinen Rückzug. Seine Nachfolgerin an der Spitze der Kommission wurde: Grubesa.

Der damalige Bundesgeschäftsführer und Kopietz-Vertraute Christian Deutsch legte ein Rechtsgutachten vor, wonach die Anonymität der Mitgliederbefragung durch Grubesas Vorschlag gefährdet sei. Nicht 14, sondern nur vier Kommissionsmitglieder hätten ihrem Umlaufbeschluss zugestimmt, wurde in der Parteizentrale spekuliert. Laut profil-Recherchen stand sogar im Raum, die Beschlüsse der Wahlkommission durch das Präsidium oder den Vorstand der Partei auszuhebeln. Damit wäre die Mitgliederbefragung in die Luft geflogen.

„Natürlich haben wir innerparteilichen Konflikte auch in der Kommission gespürt“, sagt deren nunmehrige Leiterin Frieben. „Das Vertrauen ineinander war nicht immer gegeben.“ Die mühsamen Diskussionen wären vor allem zwischen jenen fünf Mitgliedern, die 2020 das Ergebnis nicht bestätigt wollten, und dem Rest verlaufen, sagt sie. Grubesa war für profil nicht zu erreichen.

Korrektes Protokoll

Die gespaltene Kommission sollte nun am Parteitag ein einigendes Ergebnis herbeiführen. Die wohl umstrittenste Wahl der SPÖ-Geschichte beginnt um 13 Uhr, als sich die 602 Delegierten an den elf Wahlschlangen anstellten. Bevor sie zur Urne kommen, wird ihre Delegiertenkarte von einem Mitglied der Wahlkommission eingescannt und ein Teil abgerissen. Nachdem die letzte Stimme abgegeben ist, zählt die Belegschaft jedes Tisches die dortige Urne aus. Nach einer Kontrolle werden die Stimmen protokolliert und das Protokoll zu einem EDV-Mitarbeiter der Parteizentrale gebracht. Er überträgt die Zahlen in eine Excel-Tabelle.

Dabei passieren zwei „Eingabefehler“: Beide Kandidaten erhalten jeweils eine Stimme zu wenig. „Die Stimmen waren immer da“, erklärte das Frieben am Dienstag in einer Pressekonferenz. Gemeint ist: Die Partei hat die Stimmzettel, sie wurden auch korrekt gezählt und protokolliert. Nur die Übertragung ins Excel-Sheet hatte nicht fehlerfrei geklappt. Wo das Missgeschick genau passierte, würde sich in der Datei rekonstruieren lassen. Doch trotz mehrfacher Nachfrage war die Partei aber nicht bereit, diese der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Klar ist: Zwei Stimmen gingen bei der Übertragung verloren – eine für Babler, eine für Doskozil.

Streichfähig

Wäre es bei den Übertragungsfehlern geblieben, wäre Babler schon am Samstag Parteichef geworden. Doch es geschieht der GAU, der Größte Anzunehmende Unfall. Die Formel für die Berechnung des Ergebnisses ist falsch. Die Stimmen für Andreas Babler werden Hans Peter Doskozil zugeordnet – und umgekehrt. Hintergrund dürfte sein, dass es sich um die erste Kampfabstimmung in der Geschichte der Bundes-SPÖ handelte. Bisher zählte man auf den Parteitagen nur die Summe der Streichungen. Je höher sie, desto niedriger die Zustimmung. Weil das Excel-File nicht umprogrammiert wurde, zählte in Linz jede Stimme für einen Kandidaten am Ende gegen ihn.

Dabei war das Problem der Partei eigentlich bekannt: Als beim Landesparteitag 2018 ein Nachfolger für den damaligen Wiener Parteichef Michael Häupl gesucht wurde, nutzte man dieselbe Formel. Allerdings wurde berücksichtigt, dass sie berechnet, wie viele Personen nicht für Andreas Schieder und wie viele nicht für Michael Ludwig gestimmt hatten. Fünf Jahre später fehlte dieses Wissen am Bundesparteitag.

Schließlich passiert noch ein letzter Fehler – er rettet die die SPÖ vor dem falschen Vorsitzenden. Bei der Übertragung des Ergebnisses aus dem Excel-File auf die Powerpoint-Folie, auf der Hans Peter Doskozil als Sieger vorgestellt wird, passiert abermals ein Zahlensturz: Auf der Leinwand im Sitzungsaal war zu lesen, Doskozil habe 316, Babler 279 Stimmen von 596 gültigen Wahlkarten erhalten. Die Diskrepanz von einer Stimme fällt unter anderem ORF-Journalist Martin Thür auf, der bei Grubesa nachfragt.

Grubesa ruft in der SPÖ-Parteizentrale an, um anzuregen, das Ergebnis noch einmal zu überprüfen. Zwei Mitarbeiter der Löwelstraße erledigen das am Montag, zwei Tage nach dem Parteitag – und ohne Wahlkommission. Schon bei der Durchsicht der Protokolle bemerken sie, dass am verkündeten Resultat mehr falsch war als nur eine einzelne Stimme.

Am Dienstag kommt die Wahlkommission zusammen, um das Ergebnis noch einmal zu überprüfen. Im Zuge der Sitzung tritt Grubesa zurück, Frieben folgt ihr nach. Über drei Stunden tagt das Gremium, danach tritt Frieben vor die Presse. „Es war nicht immer einfach“, sagt die neue Sprecherin der Walhkommission. „Aber bei der Neuauszählung haben wir dann alle an einem Strang gezogen.“

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.