Studie: Häufung von Kurz-Erwähnungen nach Inseratenaffäre
Nach den mutmaßlichen geheimen Absprachen wurde Sebastian Kurz häufiger in der Berichterstattung von „OE24“ erwähnt, lautet das Fazit einer kürzlich erschienenen Studie der Universitäten Wien und Freiburg in der Schweiz.
Manchmal ist die Wissenschaft schneller als die Justiz. Im Herbst 2021 erschütterte ein Skandal rund um den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und einige seiner engsten Vertrauten die österreichische Politik. Noch laufen die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – Kurz hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Eine erste ernüchternde Einschätzung kommt nun jedoch vonseiten der Wissenschaft.
Kurz und Co. werden – kurz gesagt – verdächtigt, einen Deal mit mächtigen Boulevard-Medien und deren Machern geschlossen zu haben. In der Mediengruppe „Österreich“, zu der die gleichnamige Zeitung und das Onlinemedium „OE24“ gehören, sollten demnach politisch genehme – und teils manipulierte – Umfragen veröffentlicht werden. Darüber hinaus sollen – so der Verdacht – geheime Absprachen stattgefunden haben. Nach dem Motto: wohlwollende Berichterstattung im Gegenzug für staatlichen Werbegelder. Involviert soll etwa die Meinungsforscherin Sabine Beinschab gewesen sein – die Protokolle und alles zu ihrem Geständnis gibt es hier –, aber auch der damalige starke Mann im Finanzministerium, Ex-Generalsekretär Thomas Schmid, der nun Kronzeugenstatus anstrebt. Die Mediengruppe „Österreich“ und ihre Verantwortlichen haben sämtliche Vorwürfe immer zurückgewiesen.
Das sagt die Studie aus
Ein Team aus Wien und Freiburg in der Schweiz ging den Hinweisen auf potenzielle Medienkorruption wissenschaftlich nach. Die Wissenschafter untersuchten ganze 222.000 Nachrichtenartikel aus 18 österreichischen Medien, die im Zeitraum 2012-2021 erschienen waren. In einem am Montag veröffentlichten Paper mit dem Titel „The Austrian Political Advertisement Scandal: Patterns of ‚Journalism for Sale‘“ kommen die Studienautor:innen zum Schluss, dass das Ziel der Absprachen – sofern es diese gegeben hat – zumindest aus wissenschaftlicher Sicht erreicht worden wäre.
„Wir finden einen erheblichen Anstieg der Medienpräsenz des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers innerhalb des Nachrichtenkanals, der mutmaßlich Bestechungsgelder erhalten hat, sowie einen Rückgang der Gunst für Herausfordererkandidaten“, steht wörtlich in der Studie, übersetzt aus dem Englischen.
Das Forscherteam ermittelte die Veränderung der Sichtbarkeit und Tonalität in der Berichterstattung über Personen und Parteien. Ab dem Zeitraum der mutmaßlichen Absprachen wurde Sebastian Kurz demnach auf „OE24“ bis zu doppelt so oft erwähnt, als dies – verglichen mit anderen Medien – zu erwarten gewesen wäre, so die Studie. Kein anderer Politiker genoss eine solche Veränderung in der medialen Sichtbarkeit.
Die Studie wurde von den Universitäten selbst finanziert, einen externen Auftrag habe es nicht gegeben.
Über Sebastian Kurz berichtete „OE24“ häufiger, nicht aber zwangsläufig positiver. Verglichen mit anderen Medien wurde – gemäß Studie – über die politischen Konkurrenten von Kurz dafür tendenziell negativer berichtet.
Laut Studienautor Eberl weltweite Gefahr
Unter den Autoren der wissenschaftlichen Studie befindet sich Jakob-Moritz Eberl vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Er ist ebenfalls Mitglied der Österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES).
profil sprach mit Eberl über das Projekt: „Uns ging es darum, herauszufinden, ob es Muster in Berichterstattung gibt, die mit den Vorwürfen übereinstimmen“, sagt Eberl. Mittels maschineller Inhaltsanalyse und der „difference-in-differences“-Analysemethode sei ihnen gelungen, solche abweichenden Muster aufzuzeigen. Diese wissenschaftliche Herangehensweise könne auch in anderen Ländern oder Kontexten angewandt werden, meint Eberl. Die Problematik der Inserate sei nämlich nichts neues und nichts per se österreichisches. Auch in Spanien, Australien oder Israel habe es ähnliche Vorwürfe gegeben.
Eberl verweist auf die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten, denen Medien ausgesetzt sind, was sie anfälliger für politische und ökonomische Einflussnahme mache. Ein zentrales Problem sei die Abhängigkeit von Inseraten öffentlicher Stellen, die zu einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medien und Politik führen könnten.
Eberl plädiert für eine strengere Regulierung von öffentlichen Werbeausgaben. Denn: „Der bloße Verdacht auf Einflussnahme durch politische Akteure auf die Medienberichterstattung kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik und die freie Presse untergraben.“
Der Wahlforscher möchte jedoch auch klarstellen: „Wichtig ist, dass die Aussagen unserer Studie nicht als Beweis für Korruption interpretiert werden sollten. Die identifizierten Muster sollten aber zumindest kritische Fragen aufwerfen“, sagt Eberl und sieht die Muster als möglichen „Anlass, ein Umdenken in Bezug auf öffentliche Werbeausgaben zu thematisieren“.
Auch rund um die Gratiszeitung „Heute“ und um die „Kronen Zeitung“ wurden Ermittlungen eingeleitet (profil berichtete). Auch hier werden alle Vorwürfe bestritten. Analysen mit den Tageszeitungen „Heute“ und „Krone“ scheinen in der Studie separat auf. Das liege daran, dass von den Forschern nicht ausgeschlossen werden könne, dass es dort ebenfalls zu Einflussnahmen kam. Sie würden daher nicht ohne weiteres wie andere Medien als Teil der „Kontrollgruppe“ gesehen werden können. Die Ergebnisse für „OE24“ bleiben dennoch stabil. Das bedeutet, dass Kurz in „OE24“ auch im Vergleich zu „Heute“ und „Krone“ häufiger erwähnt wurde. Damit schließt Eberl einen reinen „Boulevardmedien-Effekt“ als Ursprung der Abweichung bei „OE24“ aus. Ein Urteil über mögliche Absprachen bei anderen Boulevardmedien könnten aus diesen Analysen allerdings nicht getroffen werden.
Eine profil-Anfrage an „OE24“ blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Strafrechtliche Folgen nach Studie
Ob tatsächlich illegale Handlungen oder strafrechtlich relevante politische Einflussnahmen vorlagen, lässt sich aus der wissenschaftlichen Studie nicht ableiten. Doch sie zeigt auffällige Muster in der Berichterstattung auf, die mit den strafrelevanten Vorwürfen korrespondieren könnten. Und mit politischen Vorwürfen sowieso.