Der Suchende: Zum Tod von Karl Duffek
Es ist besonders schwierig, einen angemessenen Nachruf über jemanden zu schreiben, den man nicht nur sehr geschätzt hat, sondern mit dem man befreundet war. Aber als ich gebeten wurde, über Karl Duffek einen solchen Nachruf zu schreiben, konnte ich nur zusagen. Der allzu früh verstorbene Karl Duffek war nicht nur der langjährige Leiter des Karl-Renner-Instituts, der Parteiakademie der SPÖ. In dieser Funktion forderte er erfolgreich eine kritische Auseinandersetzung um die historische Persönlichkeit des zweifachen Staatsgründers und Namensgebers des Instituts ein. Ob seiner intellektuellen Redlichkeit war Duffek über Partei- und Landesgrenzen hinweg anerkannt und geschätzt. Und vor allem hat er auch Bücher und Musik, vor allem auch klassische, über alles geliebt. Sie waren unverzichtbarer Bestandteil seiner humanistischen Lebensauffassung.
Aber in seinem Leben und Wirken spiegelten sich die Widersprüchlichkeit eines Intellektuellen wider, der seine Intellektualität und Unabhängigkeit genauso bewahren wollte wie die Loyalität zur Partei. Das war eine ständige Zerreißprobe, zumal die Partei – so wie fast alle traditionellen Parteien – Grundsatzdebatten immer mehr scheute. Sie waren fixer Bestandteil der Politik unter Bruno Kreisky. Und auch Franz Vranitzky hat immer wieder neue Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens in die politischen Debatten eingebracht. Alfred Gusenbauer war und ist selbst ein Intellektueller, der aber den Spagat zwischen Politik und Intellektualität nicht schaffte, jedenfalls in der kurzen Zeit, in der er Bundeskanzler war. Nicht zufällig hatte Karl Duffek zu ihm ein besonderes Naheverhältnis. Aber all diese Persönlichkeiten konnten am langfristigen Trend der österreichischen, europäischen und internationalen Sozialdemokratie nichts ändern.
Der Widerspruch zwischen seiner absoluten Loyalität und seiner intellektuellen Redlichkeit hat ihm innerlich stark zu schaffen gemacht.
Karl Duffek hat immer wieder versucht, dagegenzuhalten. Aber die SPÖ hat es ihm nicht leicht gemacht. Gerade in letzter Zeit wurden ihm in seiner Funktion als Chef des Renner-Instituts immer wieder neue Aufgaben übertragen – bei geringerer Finanzausstattung –, die mit der eigentlichen Aufgabe des Instituts als intellektuelle „Kaderschmiede“ wenig zu tun hatten. Immer wieder hat er diese „Fremdbelastung“ zum Ausdruck gebracht, aber er wollte nie die Partei und ihre Mitglieder und Sympathisanten alleinlassen.
Dabei ging es ihm nicht um seine Karriere. In dieser Hinsicht hatte er ohnedies keine Illusionen. Er erwartete sich keinen Ruf der Partei. Aber der Widerspruch zwischen seiner absoluten Loyalität und seiner intellektuellen Redlichkeit hat ihm innerlich stark zu schaffen gemacht. Vielleicht ist es vermessen, zu sagen, dass er daran gescheitert ist, aber viele andere hätten schon längst das Handtuch geworfen. Er jedoch hat es aber immer wieder versucht, und das war bewundernswert.
Nun, in einer Zeit des extremen Pragmatismus und der politischen Kurzatmigkeit, die zum Populismus führen, sind Grundsätze und nach vorn gerichtete Werte wenig gefragt. Intellektuelle Debatten, die Grundsätze und neue gesellschaftliche Herausforderungen miteinander in Beziehung setzen, werden allzu oft als störend empfunden. Sie geben keine raschen und eindeutigen Antworten. Nicht die sorgfältige Suche nach Antworten wird geschätzt, sondern die wie aus der Pistole geschossenen „Lösungen“.
Sicher hat auch er geirrt und nicht für alles Antworten parat gehabt, aber er hätte auch der Partei viele Irrtümer erspart.
Karl Duffek aber war ein solcher Suchender, und hätte die Partei ihn und andere bewusst zur Suche nach Antworten eingeladen und auf seine kritischen Bemerkungen gehört, dann hätte man auch tragfähigere und überzeugendere Lösungen gefunden. Vor allem wäre die SPÖ den Versuchen eines bloßen Pragmatismus gegenüber widerstandsfähiger gewesen. Sicher hat auch er geirrt und nicht für alles Antworten parat gehabt, aber er hätte auch der Partei viele Irrtümer erspart. Aber noch ist Zeit, sein Lebenswerk aufzugreifen und fortzusetzen.
Der neue SPÖ-Vorsitzende hat sich diesbezüglich viel vorgenommen. Hoffentlich lassen ihm die Mühen des Alltags und die Querschüsse aus den Reihen des Koalitionspartners, aber auch aus den eigenen Reihen, genug Kraft. Die benötigt er, um die Widersprüche zwischen intellektueller Suche und der Notwendigkeit, rasche Antworten zu finden, zu überbrücken. Vermeiden beziehungsweise überwinden kann man sie ohnedies nie. Auch wenn es grotesk wäre, das, was Karl Duffek vorhatte, nach seinem Tod umzusetzen, es würde ihn trotzdem freuen und der Partei, aber auch dem Lande nützen. Und es gibt viele Menschen, die gerne seine inhaltliche Nachfolge antreten wollen, die SPÖ müsste sie nur einladen.
Hannes Swoboda war langjähriger Europapolitiker der SPÖ.