So lebt eine achtköpfige syrische Familie mit Sozialhilfe
In Wien tobt ein Streit um eine syrische Familie mit 4600 Euro Mindestsicherung pro Monat. profil war bei einer 8-köpfigen Familie, die ähnlich viel bekommt. Wie lebt sie?
Seit einem dreiviertel Jahr wohnen Abu Ahmad* und seine Frau, mit zwei Kindern im Hauptschulalter, zwei im Volksschulalter und zwei-jährigen Zwillingen in Wien. Sie bekommen beide Mindestsicherung, das sind 809 Euro pro Ehepartner, 312 Euro pro Kind. Das macht 3.490 insgesamt für die acht Personen. Der Vater ist vor drei Jahren aus Syrien geflohen und konnte seine Familie vor nach Österreich nachholen. So viele Kinder kommen vor, aber sind die Ausnahme.
Der Familiennachzug von hunderten Kindern nur nach Wien wurde zum Politikum. Weil Schulplätze fehlen, müssen Containerklassen aufgestellt werden. Es fehlen Wohnungen. Und nun wird auch über die Höhe der Mindestsicherung diskutiert, die Flüchtlingsfamilien zusteht. Der Fall einer neunköpfigen Familie, die monatlich 4600 Euro bekommt, lässt die Forderung nach drastischen Kürzungen laut werden. Lesen Sie dazu auch diesen Kommentar. Aber wie lebt eine achtköpfige Familie in Wien? Ein Besuch.
Eine ruhige Straße im 16. Wiener Gemeindebezirk, zweiter Stock, typisches Wiener Zinshaus mit Fenstern auf den Gang. Wir läuten an die Tür geht auf, ein kleines Mädchen steht da. „Ist Baba da?“ Sie schüttelt den Kopf. „Ist Mama da?“ Sie nickt und lässt uns rein, hinter ihr tauchen zwei kichernde Kleinkinder, Zwillinge, auf mit braunen Lockenköpfen.
Beim ersten Besuch im Frühling ist die Wohnung spärlich eingerichtet, ein Zimmer fast leer, im anderen Teppichboden und drei Sofas und im dritten Betten. Beim zweiten Mal kam ein Regal dazu, darauf sechs kleine Wellensittiche in drei Käfigen. Sie haben gerade Junge bekommen, sagt Abu Ahmad stolz, der mittlerweile nach Hause gekommen ist. Seine Frau verzieht leicht genervt das Gesicht. „Die Vögel machen mehr Lärm als die Kinder“, ruft sie ihrem Mann scherzend zu. Sie hat recht.
Während wir am Sofa sitzen und Kaffee trinken, laufen die Kinder zwischen Wohnzimmer und Badezimmer hin und her. Die ältere Schwester ist nach Hause gekommen, zuerst werden die Zwillinge Firas und Fatima geduscht, Haare gewaschen und gekämmt, dann die siebenjährige Hana. Ein Kind nach dem anderen kommt stolz zurück ins Wohnzimmer präsentiert sich. Abu Ahmad zeigt dazwischen ein Video her, ein Freund filmte ihn, als er seine Familie vom Flughafen abholte. Monate später ist er noch immer gerührt. „Da halte ich sie das erste Mal in den Armen,“ sagt er und deutet auf die Zwillinge.
Was zeigt uns diese Familie?
Es gibt ein Leben hinter der Zahl, hinter dem Shitstorm. Aber was zeigt sie uns noch? Für Menschen mit wenigen Qualifikationen ist der Anreiz arbeiten zu gehen relativ gering. Sie werden vermutlich für eine anstrengende körperliche Arbeit kaum mehr verdienen als die Summe, die sie als Mindestsicherung jetzt bekommen. Und was zeigt es uns noch? Diese Familie hat sich jahrelang nicht gesehen, lebt jetzt auf nicht allzu viel Platz wieder gemeinsam. Während wir auf dem Sofa sitzen, scherzen die Eheleute immer wieder miteinander, die Kinder kommen, erzählen kurz etwas, verschwinden wieder im Nebenzimmer. Es ist noch ein weiter Weg, aber er scheint an diesen Nachmittagen wirklich nicht unmöglich.
Abu Ahmad fand die Wohnung über einen Makler. Es ist für Syrer ohne Job sehr schwierig in Wien eine Wohnung zu finden, es kursieren einige Nummern und Namen in der Community. Sie vermitteln Wohnungen und verlangen dafür saftige Provisionen. Abu Ahmad ist froh, dass er diese Bleibe gefunden hat, mit den Nachbarn gebe es ein bisschen Kontakt „Grüß Gott oder Guten Morgen“, erzählt er. Sonst spricht er wenig deutsch, einen Satz kann er aber „Ausländer raus“ mit der Gigi D’Agostino Melodie. „Was wenn Kickl kommt?“, fragt er mich. Er verfolgt diese Nachrichten genau.
„Ich will wieder arbeiten, entweder arbeiten oder lernen, nur zu Hause, das geht nicht.“
Abu Ahmad
Deutschkurs oder Jobsuche
Aber wie schaut es aus mit Arbeit? In Raqqa in Syrien war er Mechaniker, Lastwagen waren seine Spezialität. Jetzt sitzt er im Deutschkurs, A1 noch immer. Er fügt leise hinzu. „Ich bin über vierzig, ich merke mir die Worte schlecht, es ist schwierig.“ Das AMS möchte, dass er zumindest ein bisschen deutsch lernt, erzählt er. „Ich will wieder arbeiten, entweder arbeiten oder lernen, nur zu Hause, das geht nicht.“ Er möchte wieder nach einer Arbeit suchen, ein Bekannter arbeitet in einer Kfz-Werkstatt, vielleicht ergibt sich dort etwas. Aber eine Sache ist dabei ziemlich sicher, er wird nicht ansatzweise so viel verdienen wie er jetzt Sozialhilfe bekommt.
Der große Sohn ist in der Schule, die Tochter auch. Sie gehen ein paar Straßen weiter in die Schule, derzeit in die Deutschklasse. Abu Ahmad holt einen Brief hervor. „Von der Polizei,“ sagt er nervös. Sein ältester Sohn ist Zeuge einer Rauferei geworden und muss aussagen. Er ist erleichtert, lässt sich auf das Sofa fallen. Abu Ahmad holt währenddessen einen zweiten Brief hervor. Eine Betriebskostennachzahlung, sie haben mehr verbraucht als die Vormieter. Er verzieht das Gesicht, räumt den Brief weg, darum kümmert er sich ein anderes Mal, meint er. Wie sie mit dem Geld auskommen, darüber spricht er kaum. Rein statistisch äußerte sich die Volkshilfe heute auf X (vormals Twitter): "6-köpfige Familie (Paar mit 4 Kindern) braucht laut Schuldenberatung 5.858 € monatlich für bescheidenen Lebensstil. (...)Von Saus & Braus kann keine Rede sein."
Was zeigt uns diese Familie? Es gibt ein Leben hinter der Zahl, hinter dem Shitstorm.
Alleine in Raqqa
Als er Raqqa verließ, war seine Frau schwanger, lebte allein im Haus mit den Kindern. Sie zeigt ein Foto, ein Innenhof, rundherum ein paar Zimmer, ebenerdig, sehr einfach. „Und schau die Blumen und das Gemüse“, das geht ihr ab. Raqqa war eine Hochburg des sogenannten Islamischen Staat und wurde dann von den kurdischen Kräften erobert. Wie war es ganz alleine dort? „Es gibt viele Räuber und Halunken. Ich habe mich oft gefürchtet.“ Die kurdischen Kräfte sehen sie nicht wirklich als Befreier an, sondern eher als zweite Besetzung.
Die Mutter der Familie setzt sich zu uns, schiebt mir ein arabisches Raffaello-Zuckerl zu, damit ich nicht vom Fleisch falle. Sie trägt ein lockeres Kopftuch, schaut kurz auf ihr Handy. Ihr Zwillingsbruder ist in Syrien, das macht ihr Sorgen. Er könnte von den Kurden rekrutiert werden, er geht ihr sehr ab. In Wien hat sie bei unserem ersten Besuch noch kaum etwas gesehen. Sie war am Markt, einmal zu Ramadan in der Moschee, das wars. Beim zweiten Besuch ist eine regelmäßige Strecke dazugekommen. Sie geht mit Hana in den Kindergarten, sie ist zwar schon sieben, sollte aber noch Deutsch lernen. Sie ist auch sehr klein für ihr Alter – vielleicht Mangelernährung wegen des Krieges – man weiß es nicht so genau. Sie bekomme jetzt Medikamente und Nahrungsergänzungen, sagt der Vater und streichelt ihr über die Schulter.
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.