System Kurz: Der nächste U-Ausschuss
Das ging schnell: Die Opposition bringt heute im Nationalrat einen Antrag auf Einsetzung eines neuen parlamentarischen Untersuchungsausschusses ein. Unmittelbarer Anlassfall ist die ÖVP-Inseratenaffäre, die am 6. Oktober zu Hausdurchsuchungen im engen Umfeld des zurückgetretenen ÖVP-Bundeskanzlers Sebastian Kurz führte (und in weiterer Folge zur Festnahme der Wiener Meinungsforscherin Sabine Beinschab wegen Verdunkelungsgefahr in Zusammenhang mit einer offenbar kurz vor den Razzien gesäuberten Festplatte).
Das 45-seitige Verlangen – getragen von den Abgeordneten Kai Jan Krainer (SPÖ), Stephanie Krisper (NEOS) und Christian Hafenecker (FPÖ) – geht allerdings weit über die eigentliche Inseratenaffäre hinaus. Es geht um das „System Kurz“ in seiner Gesamtheit. Der Untersuchungszeitraum deckt die Phase Dezember 2017 bis Oktober 2021 ab, reicht also von der ersten Kanzlerschaft von Sebastian Kurz bis zu dessen Rücktritt.
Der Untersuchungsgegenstand wurde wie folgt definiert: „Untersuchungsgegenstand ist das Gewähren von Vorteilen an mit der ÖVP verbundene natürliche und juristische Personen durch Organe des Bundes im Zeitraum von 18. Dezember 2017 bis 11. Oktober 2021 sowie diesbezügliche Vorbereitungshandlungen auf Grundlage und ab Beginn des ,Projekts Ballhausplatz‘ auf Betreiben eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses einer größeren Anzahl von in Organen des Bundes tätigen Personen, bestehend aus der ÖVP zuzurechnenden Mitgliedern der Bundesregierung, StaatssekretärInnen sowie MitarbeiterInnen ihrer politischen Büros, zu parteipolitischen Zwecken und die damit gegebenenfalls zusammenhängende Umgehung oder Verletzung gesetzlicher Bestimmungen sowie der dadurch dem Bund gegebenenfalls entstandene Schaden.“
„Projekt Ballhausplatz“ – das war die ÖVP-interne Chiffre für die Karriereplanung von Sebastian Kurz: Erst an die Parteispitze, dann an die Spitze des Kanzleramts. Und das mit ethisch fragwürdigen und womöglich auch strafrechtlich relevanten Methoden.
Die Opposition hat vier zentrale Beweisthemen definiert, die allesamt Brisanz versprechen (und teils auch bereits Thema im zu früh ausgelaufenen „Ibiza“-Ausschuss waren).
1. Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren
Hier sind die mutmaßlich mit Geld des Finanzministeriums erkauften Jubel-Umfragen für Sebastian Kurz in den Fellner-Medien (und damit verbundene Inseratendeals) erfasst, aber längst nicht nur. Die Abgeordneten wollen unter anderem auch Auskunft darüber, ob und in welchem Ausmaß weitere der ÖVP nahestehende Beratungs-, Kommunikations- und Eventagenturen im Zeitraum 2017 bis 2021 Aufträge aus Bundesmitteln erhalten haben (Auftragsvolumen: 40.000 Euro aufwärts).
2. Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes
Hier geht es (wieder) um Personalrochaden bei der Casinos Austria AG, die Auswahl von Organen der Staatsholding ÖBAG, aber auch um Vorgänge bei der Bundesimmobiliengesellschaft und das „Zusammenwirken mit ParteispenderInnen der ÖVP aus dem Immobiliensektor“.
3. Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit
Dieser Punkt hat eine Vorgeschichte im „Ibiza“-Ausschuss, wurde da aber nicht befriedigend abgehandelt. Konkret geht es um vermutete politische Einflussnahmen auf laufende Ermittlungsverfahren, insbesondere solche der WKStA. Und da steht der suspendierte Sektionschef des Justizministeriums Christian Pilnacek einmal mehr im Zentrum des Interesses. Auch er gilt als ein Teil des „Systems Kurz“. Und werden in Österreich Hausdurchsuchungen verpfiffen? War beispielsweise die Meinungsforscherin Sabine Beinschab vor einer nahenden Razzia gewarnt worden? Oder Thomas Schmid? Oder Hartwig Löger? Oder Gernot Blümel? Diese Fragen harren zunehmend drängend einer Antwort.
Start nicht vor Februar/März 2022
Abgesehen davon will die Opposition unter anderem Vorwürfe aufarbeiten, wonach der Vorsitzende des „Ibiza“-Ausschusses, ÖVP-Hardliner und -Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sich „mit Organen der Vollziehung abgesprochen hat, um die Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses zu behindern“.
Wie geht es weiter? Die ÖVP kann einen solchen Ausschuss nicht verhindern, sie kann ihn aber erschweren. Man erinnere sich an das Trara im Vorfeld des „Ibiza“-Ausschuss, in welchem auch die Grünen keine rühmliche Rolle spielten. Das Verlangen der Opposition wird in einem ersten Schritt dem Geschäftsordnungsausschuss des Parlaments zugewiesen, der es innerhalb von vier Wochen „in Verhandlung“ nehmen muss. Nach weiteren Wochen muss es seitens des Geschäftsordnungsausschusses einen Bericht dazu gehen, dann wandert das Ganze ins Plenum, ehe der Ausschuss als eingesetzt gilt. Das kann bis Dezember dauern. Die ersten Befragungen dürften nicht vor Ende Februar, Anfang März beginnen.
Hier finden Sie das durchaus aufschlussreiche Dokument zur Einsetzung des nächsten U-Ausschusses zum Download.