Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Handy

Tatwaffe Handy: Wie gefährlich kann das eigene Smartphone werden?

Mehrere Jahre alte Chat-Nachrichten lösten die jüngste Regierungskrise aus - ist es zu leicht, an Handy-Daten zu kommen?

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Thomas Schmid war offenbar guter Dinge, als er im Oktober 2019 mit seiner Assistentin Kontakt aufnahm: "Ich habe heute alles gelöscht. Bei WhatsApp", schrieb er ihr. "Okay, habe ich gemerkt, weil auf einmal alles weg war von dir", antwortete sie. Darauf Schmid: "Genial".

Doch der damalige Chef der Verstaatlichtenholding ÖBAG hatte sich zu früh gefreut. Etwa einen Monat später fanden Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei einer Hausdurchsuchung an Schmids Privatadresse eine Festplatte mit vielen Tausend gespeicherten Handynachrichten. Der einstige Topmanager muss ein manischer Kommunikator gewesen sein. Es wird noch Monate oder gar Jahre dauern, bis die Staatsanwälte alle Chats durchforstet haben.

Bekanntlich reichten schon die bisherigen Fundstücke, um eine schwere Regierungskrise auszulösen. Thomas Schmid war (und ist vermutlich immer noch) ein großer Fan von Sebastian Kurz. Er wird jetzt damit leben müssen, dass er nicht nur die eigene Karriere, sondern auch die seines Lieblings-Bundeskanzlers versenkte. Schmids Tatwaffe: die Handy-Tastatur.

Falls im türkisen Kosmos alles so gelaufen ist, wie die Staatsanwaltschaft glaubt und die Chats zu bestätigen scheinen, war es ein Segen, dass die Machenschaften ans Licht kamen. Auch die gegenseitigen Abhängigkeiten in der Beziehung zwischen Politik und Boulevardmedien gehörten schon längst aufs Tapet - und lassen sich damit hoffentlich für alle Zeiten beenden. Was die Justiz da zusammentrug, ist sehr überzeugend. Über das Wie sollten wir allerdings bei Gelegenheit reden.

Den meisten stolzen Smartphone-Besitzern im Land dürfte bis vor Kurzem nicht klar gewesen sein, dass die Justiz relativ umstandslos auf mehrere Jahre alte Handy-Daten zugreifen und alles, was sie an Verdachtsmomenten findet, strafrechtlich verwerten darf. Um in Schwierigkeiten zu kommen, muss es nicht einmal das eigene Gerät sein, das durchsucht wurde. Es kann schon reichen, in der Chat-Sammlung eines anderen aufzutauchen. Mehr als das lässt sich Sebastian Kurz bisher ja auch nicht nachweisen. "Eigentlich kann man den Leuten nur empfehlen, wieder öfter zu telefonieren oder Briefe zu schreiben", meint Klaus Schwaighofer, Rechtswissenschafter an der Uni Innsbruck.

Die österreichische Strafprozessordnung (StPO) stammt in ihren wesentlichen Teilen aus dem Jahr 1975. Damals hatte nicht einmal jeder Haushalt ein Festnetztelefon. Auch die begnadetsten Tüftler konnten sich vor fast 50 Jahren nicht vorstellen, dass es eines Tages technische Wunderwerke wie Smartphones geben würde. Paragraf 110 StPO regelt die Sicherstellung von "Gegenständen" - worunter man sich allerdings, wie Juristen erklären, in den 1970er-Jahren eher Dinge wie ein blutverschmiertes Messer oder einen Aktenordner mit Geschäftsunterlagen vorstellte. Das Smartphone gilt nun ebenfalls schlicht als "Gegenstand". Für eine Sicherstellung reichen nicht näher definierte "Beweisgründe";ein dringender Verdacht ist nicht erforderlich.

"Auch E-Mails sind nicht durch das Briefgeheimnis geschützt"

Unter Juristen herrscht verbreitetes Unbehagen über die Gesetzeslage: "Es gibt ein deutliches Ungleichgewicht in der Behandlung der unterschiedlichen Kommunikationsmittel", meint etwa Klaus Schwaighofer. "Für die Beschlagnahme von Briefen und das Abhören eines Telefons wird der dringende Verdacht auf eine vorsätzlich begangene Straftat mit einem Strafausmaß von mehr als einem Jahr gefordert, und es ist eine richterliche Bewilligung nötig. Für die Sicherstellung eines Handys reicht eine Anordnung der Staatsanwaltschaft. Auch E-Mails sind nicht durch das Briefgeheimnis geschützt." Wenigstens für private Handys müsste es eine andere Regelung geben, fordert Schwaighofer.

Ingeborg Zerbes, stellvertretende Leiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, teilt die Kritik: "Die Technik ist über die Gesetze hinausgewachsen. Mit einem Handy bekommen die Strafverfolgungsbehörden unter Umständen das gesamte 'Logbuch' einer Person. Dafür sind die Hürden für eine Sicherstellung zu niedrig." Benjamin Kneihs, Professor im Fachbereich Verfassungs-und Verwaltungsrecht an der Uni Salzburg, merkt an, dass die Arbeit der Justiz durch den Zugriff auf Smartphones viel einfacher geworden sei. "Für die Sicherstellung und das Auslesen eines Handys gelten nicht die gleichen scharfen Anforderungen wie für das Abhören eines Telefons, obwohl die Ermittler mit einem Handy im Vorteil sind", sagt Kneihs. "Wenn Sie ein Telefon abhören, müssen Sie das Glück haben, genau den Zeitpunkt zu erwischen, in dem der Verdächtige etwas Belastendes sagt. Die Auswertung elektronischer Daten ist viel einfacher machbar."

Bei Thomas Schmid wurden die Datenträger im Zuge einer Hausdurchsuchung sichergestellt. Für eine solche Razzia braucht es eine richterliche Genehmigung - die wiederum nur bei einem begründeten Verdacht erteilt wird. So gesehen nahm die Staatsanwaltschaft im Fall Schmid sogar den beschwerlicheren Weg. Dafür war das sichergestellte Material so umfangreich, dass noch immer nicht klar ist, wo die Ermittlungen eines Tages enden werden. Nach den jetzt vermuteten Inseratendeals war nie gesucht worden, die verräterischen Chats waren ein Zufallsfund; Juristen nennen das "Beifang". Genauso verhielt es sich mit der verdächtigen Nachricht, die Harald Neumann, ehemaliger Chef des Glücksspielkonzerns Novomatic, an Finanzminister Gernot Blümel geschickt hatte - und die letztlich eine Hausdurchsuchung beim Finanzminister begründete.

Ist es wirklich im Sinne des Rechtsstaats, wenn Ermittler sich im Fundus eines Datenträgers bedienen können wie Pauschalurlauber am Hotelbuffet? Der Umgang mit Zufallsfunden auf Basis einer Telefonüberwachung ist ziemlich streng geregelt, nur mit Daten auf einem Handy ist alles erlaubt. "Da müsste man sich ebenfalls etwas überlegen", meint die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes. "Eine ähnliche Regelung wie beim Abhören des Telefons wäre wohl sinnvoll." Einen anderen Vorschlag brachte Rupert Wolff, Präsident der Rechtsanwaltskammer, vor ein paar Monaten in der "Wiener Zeitung" ein: "Man könnte bei der Strafzumessung ansetzen. Wird jemand in einem Strafverfahren, das aufgrund eines Zufallsfundes geführt wird, verurteilt, sollte das ein eigener Milderungsgrund sein."

In praktisch jedem Medienbeitrag zu den aktuellen Kalamitäten der ÖVP steht der Hinweis, dass selbstverständlich die Unschuldsvermutung gelte. Aber das hilft nicht viel, wenn der Schaden durch die öffentliche Schmach bereits angerichtet wurde. Als Verfassungsjurist beschleiche ihn dabei ein unangenehmes Gefühl, schreibt Benjamin Kneihs von der Uni Salzburg in einem Blog. "Die Europäische Menschenrechtskonvention verbürgt für jedermann und damit auch für die Mitglieder der Bundesregierung die Unschuldsvermutung, die nach gefestigter Rechtsprechung auch vor medialen Vorverurteilungen schützt."

"Wie kommen diese Menschen dazu, mit so etwas in der Öffentlichkeit zu stehen?"

Am Pranger stünden oft nicht nur die Verdächtigen, sondern auch gänzlich Unbeteiligte, kritisiert Kneihs. Als Beispiel nennt er die berühmt gewordenen Chats zwischen dem ehemaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter und dem derzeit suspendierten Sektionschef im Justizministerium Christian Pilnacek. Unter anderem hatten die zwei Herren Bosheiten über Kollegen und Kolleginnen in der Justiz ausgetauscht - und die gesamte Unterhaltung landete in den Medien. "Das war für die Betroffenen sehr unangenehm. Wie kommen diese Menschen dazu, mit so etwas in der Öffentlichkeit zu stehen?"

In nächster Zeit werde sich an der geltenden Gesetzeslage aber wohl nichts ändern, da sind sich die Kritiker einig. Die Sicherstellung und Auswertung elektronischer Geräte ausgerechnet jetzt zu erschweren, stünde wohl im Geruch einer Anlassgesetzgebung zum Schutz von Politikern. "Das ist der falsche Moment", sagt Ingeborg Zerbes. "Warten wir, bis sich der Sturm verzogen hat, und reden wir dann in Ruhe über eine Reform." Wie aufgeheizt die Stimmung sei, habe Justizministerin Alma Zadić vor ein paar Monaten gesehen, als sie versuchte, Durchsuchungen in Behörden neu zu regeln, um das Amtsgeheimnis zu schützen, erinnert Zerbes. "Das war ein berechtigtes Anliegen, aber es gab sofort einen Aufschrei in der Öffentlichkeit. Das wäre jetzt wohl noch ärger."

Wer Angst vor juristischen Problemen wegen seines Smartphones hat, möge diesem einfach weniger Geheimnisse anvertrauen, empfiehlt Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff. "Ich wundere mich bei all diesen Vorfällen, wie leichtfertig die betroffenen Personen mit dieser Technik umgegangen sind. Meine Empfehlung wäre: "Kaufen Sie sich ein altmodisches Nokia, und verwenden Sie es nur zum Telefonieren."

Rosemarie Schwaiger