Zu diesem Zeitpunkt sah A. noch nicht so aus, wie er es heute tut. „Er hat sich mit den Jahren optisch sehr stark verändert und isoliert“, sagt eine damalige Klassenkollegin zu profil. Viel habe man von A. nicht mehr mitbekommen. Jeden Freitag soll er in die albanische Moschee in der Gfiederstraße in Ternitz zum Gebet gegangen sein. Dort sind die Türen am Donnerstagnachmittag verschlossen. Am 25. Juli hatte A. seinen Job in einem Edelstahlwerk in Ternitz gekündigt, bei dem er eine kaufmännische Lehre absolvierte. Die innere Radikalisierung, die er durchmachte, zeigte sich am äußeren Erscheinungsbild. Er trug einen Bart und krempelte seine Hose nach Art frommer Muslime über die Fußknöchel. Vor einigen Wochen nahm A. ein Video auf, in dem er der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Treue schwor, und lud es auf eine Plattform hoch. Damit brachte er die Terrorbekämpfer auf seine Spur. Denn die Plattform wird von einem US-Nachrichtendienst überwacht, der in Österreich Alarm schlug. Auch die Messenger-Nachrichten von A. soll der Dienst in der Folge angezapft haben.
Vieles deutet darauf hin, dass es sich dabei um die National Security Agency (NSA) handelt, die auf die weltweite Überwachung elektronischer Kommunikation spezialisiert ist. Die NSA ist kein ziviler Dienst, sondern untersteht dem US-Verteidigungsministerium. Offenbar informierten die NSA-Agenten Verbindungsleute im Heeresnachrichtenamt (HNaA), dem Auslandsdienst des Bundesheeres. Auch ein zweiter ausländischer Dienst soll Informationen an das HNaA geliefert haben. Die Hinweise waren allerdings vage. Das Nachrichtenamt und mutmaßlich auch das über hohe IT-Kompetenz verfügende Heeresabwehramt sollen auf Basis der Informationen A.s Identität aufgeklärt haben und gaben die Informationen an die DSN weiter, die ihrerseits von einem zivilen ausländischen Dienst, mutmaßlich dem FBI, einen Hinweis erhalten hatte. Glaubte man zunächst an einen möglichen Einzeltäter, gingen die Ermittler bald von einem islamistischen Netzwerk aus. Dass ein Anschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte geplant war, wurde erst wenige Tage vor dem Zugriff in Ternitz klar.
Der zweite Festgenommene, der 17-jährige Luca K., ist seit Jahren mit A. befreundet. Bei der Festnahme fanden Polizisten in K.s Brieftasche IS-Propagandamaterial. K. hat türkisch-kroatische Wurzeln und ist für die Behörden kein Unbekannter. Vergangene Woche veröffentlichte die Wiener Polizei Fotos von Verdächtigen, die an einer Schlägerei zwischen tschetschenischen und syrischen Gruppierungen beteiligt gewesen sein sollen. Auf einem ist K. zu erkennen. Auch in der Justiz ist er bekannt. Laut profil-Informationen wurde K. im heurigen März vom Straflandesgericht Wien wegen schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Im Dezember 2023 hatte er einem Mann im oberösterreichischen Pasching einen Faustschlag gegen die Schläfe versetzt. Ein Jahr lang absolvierte K. eine Lehre für Metalltechnik. Zuletzt arbeitete für eine Facility-Firma, die im Ernst-Happel-Stadion Arbeiten für die Swift-Konzerte verrichtete. Am Mittwoch hielt er sich deswegen vor und im Stadion auf, wo er festgenommen wurde. Bei seiner Einvernahme leugnete Luca K. eine Beteiligung an den geplanten Attentaten.
Als dritten möglichen Beteiligten identifizierten die Ermittler einen 15-jährigen Burschen mit türkischen Wurzeln. Dieser gilt nicht als tatverdächtig, sondern wurde als Zeuge vernommen. In seiner Aussage soll er Vorwürfe gegen Beran A. bestätigt haben.
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt gegen A. und K. nun wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation. Vor allem soll geklärt werden, wie sich Beran A. radikalisierte. Genannt werden in Ermittlerkreisen eine Moschee in Meidling und eine in Wiener Neustadt. In erster Linie dürfte die Radikalisierung aber über das Internet erfolgt sein. A. soll auf einschlägigen Foren des Islamischen Staates unterwegs gewesen sein, dem er in seinem Bekennervideo, das die NSA auf seine Spur brachte, die Treue schwor. Das tat auch Kujtim F., der den Wiener Terroranschlag vom November 2020 verübte und vier Menschen tötete. Er war damals 20 Jahre alt und wurde am Tatort von der Polizei erschossen. Wie Beran A. war auch F. in Österreich geboren und hatte nordmazedonische Wurzeln. Die Radikalisierungsgeschichte des erschossenen Attentäters durchlief aber noch viele Stationen im „echten Leben“: ein Versuch, zum Islamischen Staat in Nordsyrien auszureisen; die Zeit im Gefängnis; Auslandsaufenthalte zum Waffenkauf; radikale Moscheen, die er über Jahre besuchte. Für ihn war die Propaganda im Netz ein Radikalisierungsturbo. Doch für viele „TikTok-Dschihadisten“ ist sie das Fundament. Gemeint ist damit eine Generation an potenziellen Terroristen, die immer jünger, digitaler und radikaler wird.
TikTok und Islamismus
Musste man sich vor wenigen Jahren noch auf versteckte Plattformen verirren, um an Hinrichtungsvideos des IS zu gelangen, genügen heute ein paar Sekunden TikTok im Kinderzimmer oder am Schulklo. Verharrt man beim Swipen („Wischen“) über fünf Sekunden auf einem Video mit islamistischen Inhalten, sorgt der Algorithmus dafür, dass weitere einschlägige Videos folgen. Auch Telegram, YouTube oder Instagram tragen zur Radikalisierung bei. Doch der TikTok-Algorithmus ist für Jugendliche der Brandbeschleuniger schlechthin. 70 Prozent der zwei Millionen Nutzer in Österreich sind zwischen 14 und 24 Jahre alt.
Längst tappen nicht mehr nur Burschen in die radikale Falle. Im Frühjahr soll eine erst 14-Jährige in Graz einen Anschlag geplant haben, nachdem sie sich online radikalisiert hatte. Ebenfalls ins Muster passt ein 16-Jähriger, der 2023 in letzter Sekunde von einem Anschlag auf den Westbahnhof absah. „Wie sind Sie auf den IS gekommen?“, fragte ihn der Richter. „Social Media“, antwortete der Verdächtige kurz und bündig. Auch jene jungen Männer, denen 2023 Anschlagspläne auf die Regenbogenparade vorgeworfen wurden (was sich nicht erhärten ließ), radikalisierten sich online. Ermittler sprachen von „einem klaren Trend zur Radikalisierung im und über den digitalen Raum“. Jugendliche seien „für diese Art der extremistischen Propaganda besonders anfällig“. Laut Omar Haijawi-Pirchner konsumieren schon Zehnjährige diese Inhalte.
Das Perfide an TikTok ist die Größe des ganz legalen Einfallstors. Dort tummeln sich Hunderte islamistische Influencer, die Jugendlichen auf Orientierungssuche Tipps für ihr alltägliches Leben geben. Sie erklären, was im Islam „haram“ (verboten) oder „halal“ (erlaubt) ist, von der Wahl der Zahnpasta bis zur Frage, ob man Frauen die Hand reichen soll. Sie geben Jugendlichen das Gefühl der Zugehörigkeit, Stärke und universalen Verbundenheit mit der „Umma“, der weltweiten Gemeinschaft der Muslime. „Plötzlich war alles mit Bedeutung aufgeladen“, solche Sätze bekommen Experten für Deradikalisierung zu hören.
Stellten vor wenigen Jahren bärtige Imame das Gros der „Influencer-Preacher“, treten nun die coolen Jungs an ihre Stelle: muskelbepackt, mit Hoodies und gestylter Frisur. Strafrechtliche Aussagen im Netz, die als Verhetzung oder Aufruf zur Gewalt gedeutet werden können, umschiffen Islamisten, um nicht gesperrt zu werden. Doch von ihren Milieus aus kann es Ableger in Live-Chats, zu radikaleren Sites oder in nicht öffentliche Chats auf Telegram und ähnlichen Plattformen geben. So werden aus Islamisten schnell Terroristen, beobachten Ermittler immer wieder.
Überwachungswünsche
Und sie wünschen sich mehr Überwachungsmöglichkeiten – wie auch ihr oberster Vorgesetzter, Innenminister Gerhard Karner: „Terroristen kommunizieren nicht mit Briefen, daher braucht es zeitgemäßes Handwerkszeug für die Polizei.“ Am Donnerstag schickte die ÖVP Christopher Drexler, Landeshauptmann aus der Steiermark und Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Herbst, vor, um die Grünen heftig zu kritisieren. „Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung ernst und handeln Sie für die Sicherheit in unserem Land, Frau Bundesministerin!“, schrieb er in einem Brief an Justizministerin Alma Zadić. „Anderenfalls wird weiterhin das Leben von unschuldigen Menschen gefährdet!“
Die Volkspartei fordert schon länger eine Gesetzesänderung, um Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram überwachen zu können, seit der Verfassungsgerichtshof eine Regelung der schwarz-blauen Regierung gekippt hat. Eine eigene Software sollte die Online-Kommunikation von Verdächtigen überwachen. Eine Maßnahme, die potenziell ein gravierender Eingriff in die Privatsphäre von Unbeteiligten gewesen wäre, argumentierte das Höchstgericht. Seitdem versucht die Volkspartei, eine andere rechtliche Möglichkeit zu finden. Die Grünen sind skeptisch, zeigen sich aber prinzipiell offen und spielen den Ball an die ÖVP zurück. Sie soll einen Gesetzesvorschlag vorlegen, der rechtlich und technisch umsetzbar sei.
Unmittelbar nach der Absage der Konzerte begannen die Parteien, das versuchte Attentat zu instrumentalisieren. So twitterte der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp: „Auf der ganzen Welt kann Taylor Swift spielen, nur bei uns nicht! Nur weil wir dieses IS-Gesindel dank der unkontrollierten Willkommenskultur in unserem Land haben!“ Der Innenminister wollte da in seiner Pressekonferenz Donnerstagvormittag nicht nachstehen: „Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passieren hätte können, wenn das alte BVT jetzt die Verantwortung getragen hätte.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Vorgänger der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, sei „von meinem Vorgänger Herbert Kickl zertrümmert worden und war völlig isoliert“. Eine inoffizielle, nicht besonders subtile Warnung vor einem freiheitlichen Sieg am 29. September. Innenministerium, DSN und die Wiener Polizei hatten nach der Festnahme der Terrorverdächtigen keine Bedenken gegen die Durchführung der Konzerte. Die Absage sei, so heißt es aus Polizeikreisen, vor allem auf Wunsch der amerikanischen Veranstalter und des Managements von Taylor Swift erfolgt. Die für August geplanten vier Konzerte der englischen Kultband Coldplay sollen wie geplant im Happel-Stadion stattfinden. Der 19-jährige Beran A. hat laut seiner Anwältin sein Geständnis mittlerweile widerrufen. Er habe bloß „cool“ sein wollen.
Anmerkung: Dieser Artikel wird laufend aktualisiert.