Das Team Stronach ist am Ende. Nur sein Chef weiß das noch nicht
Wieder einmal bekam der Chef die ganze Aufmerksamkeit. Niemand fragte, wie es Ulla Weigerstorfer derzeit so geht. Die große Blonde war bekanntlich einmal Miss World gewesen. Danach wirkte sie in TV-Serien mit, moderierte eine Sportsendung im Radio, war Miteigentümerin eines Unternehmens und gründete nach dessen Insolvenz selbst eines. Klingt nach einem nicht ganz störungsfreien, aber abwechslungsreichen Berufsleben.
Am Dienstag vergangener Woche stand Weigerstorfer, elegant wie immer, in einer Dependance des Wiener Parlaments und tat eine geschlagene Stunde lang: nichts. Sie bewegte sich nicht, sie sagte nichts, sie verzog keine Miene. Wahrscheinlich hat sie geatmet, aber das ließ sich nicht verifizieren. Keiner beachtete sie, keiner wollte etwas von ihr wissen. Ein paar Meter rechts von ihr plauderte die Attraktion des Presse-Events, Frank Stronach, vor sich hin. Ulla Weigerstorfer musste nur mit ein paar Kollegen daneben stehen und durch ihre physische Präsenz den Beweis erbringen, dass es im Team Stronach noch lebendes Personal gibt.
Zu gewinnen gibt es im Team Stronach mit Sicherheit nichts mehr
Irgendwie stellt man sich das erniedrigend vor. Woran denkt man wohl in einer solchen Situation? Vielleicht tröstet sich die Ex-Miss damit, dass sie als Nationalratsabgeordnete noch eine Zeit lang einen gut bezahlten Job haben wird. Aber zu gewinnen gibt es im Team Stronach mit Sicherheit nichts mehr.
Das politische Projekt des exzentrischen Milliardärs nähert sich, jetzt aber wirklich, seinem wohlverdienten Ende. Stronachs Auftritt bei den „Sommergesprächen“ des ORF und die Pressekonferenz am Tag danach waren wohl die letzten Höhepunkte einer Seifenoper, die das Publikum lange gut unterhalten hat. Aber nun fällt einem beim besten Willen keine dramaturgische Wendung mehr ein, die der Story noch einmal einen Schub geben könnte. Frank Stronach selbst sieht das zwar anders und glaubt immer noch, dass seine Partei eines Tages den Bundeskanzler stellen werde. Abraham Lincoln habe ja auch mehrfach erfolglos versucht, US-Präsident zu werden, bevor es dann doch noch klappte, erklärte Stronach bei seinem jüngsten Auftritt im TV-Hauptabend. „Also man soll nie gleich aufgeben.“
In der Realität verfügt das Team Stronach nur noch über sieben Parlamentsabgeordnete. Die ÖVP hatte jüngst ihren Beutezug fortgesetzt und nach den Mandataren Marcus Franz und Georg Vetter auch noch Kathrin Nachbaur (ehemalige Vizeparteichefin) und Rouven Ertlschweiger (ehemaliger Parteisprecher) gekapert. Weitere Fahnenfluchten sind nicht ausgeschlossen. „Trage die Bürde mit Würde“, empfahl die scheidende Klubchefin Waltraud Dietrich jüngst ihrem Nachfolger Robert Lugar. Das klang nicht nach einem tollen Betriebsklima.
Die Partei hat ohnehin keine Wähler und keine Sympathisanten mehr. Was es noch gibt, sind Schaulustige
Die Pläne bei den bevorstehenden Urnengängen in Oberösterreich und Wien sind diffus: In Oberösterreich ist nicht einmal klar, ob es das Team Stronach noch gibt. Der bisherige Landeschef, Leo Steinbichler, will mit einer eigenen Liste antreten – und zwar mit huldvoller Genehmigung des Chefs. Für Wien existiert derzeit kein Kandidat, weder offiziell noch inoffiziell. Ganz klar Nein sagen wollte Stronach aber auch nicht.
Zum Glück ist das alles irrelevant. Die Partei hat ohnehin keine Wähler und keine Sympathisanten mehr. Was es noch gibt, sind Schaulustige. Stronachs Auftritt im ORF wurde von nicht weniger als 822.000 Zusehern verfolgt – ein Rekordwert für die Sommergespräche. Die Begeisterung ist leicht erklärt: Frank live funktioniert wie ein Unfall auf der Autobahn, den man sich ganz ohne schlechtes Gewissen anschauen kann. Der Verunfallte leidet ja nicht unter seiner misslichen Lage – im Gegenteil: Er genießt sie.
„Keine andere Branche deckt die Schwachstellen einer Person so gnadenlos auf wie die Spitzenpolitik. Frank Stronach kann bei diesem Experiment nur verlieren, der Mindesteinsatz ist seine Reputation als Unternehmer.“ Das schrieb profil im Sommer 2012. Und ganz ehrlich: Man musste keine geheimen Codes geknackt haben, um das vorherzusehen. Trotzdem wurden der neuen Partei damals sagenhafte Erfolgschancen prognostiziert. Auf über 20 Prozent kam Stronach zeitweilig in den Umfragen. Und so mancher Experte wäre heute wohl froh, wenn er ein paar einschlägige Zitate aus den Archiven tilgen könnte. „Mit etwas Glück könnte Stronach bei der nächsten Regierungsbildung Zünglein an der Waage sein“, glaubte etwa der Politologe Peter Filzmaier.
Nein, der Austro-Kanadier verfügt weder über Superkräfte noch über verborgene Talente
Frank Stronach redete schon damals, sorry, dummes Zeug. Sein Benehmen oszillierte – genau wie heute – zwischen angeborener Besserwisserei und liebevoll gepflegtem Altersstarrsinn. Die öffentlichen Auftritte waren kabarettreif, die Ideen fast ausnahmslos bizarr. Aber natürlich gab es, auf der anderen Seite, den Weltkonzern Magna, den Stronach aus dem Nichts aufgebaut hatte. Über dem Mann schwebte also der Generalverdacht, doch irgendwie genial zu sein – vielleicht auf eine Art, die normale Menschen nicht gleich kapieren.
Es ist ein ziemlich böser Treppenwitz, dass Stronach 25 Millionen Euro eigenes Geld investieren musste, um diesen Genieverdacht ultimativ zu entkräften. Nein, der Austro-Kanadier verfügt weder über Superkräfte noch über verborgene Talente. Das steht nun wirklich fest. Er hatte, so schwer das zu akzeptieren ist, als Unternehmer einfach unverschämtes Glück. Ein Forrest Gump der Autozulieferindustrie.
Immerhin finden sich in den rauchenden Trümmern des Politprojekts auch ein paar nützliche Erkenntnisse. Vielleicht brauchen wir sie irgendwann, wenn sich der nächste schrullige Milliardär anschickt, das Land zu retten.
Geld hilft grundsätzlich bei Parteigründungen, viel Geld hilft noch ein wenig mehr. Allerdings zieht die Existenz unerschöpflicher Finanzquellen allerlei Gefolgschaft an, die einem durchschlagenden Erfolg im Weg steht. Stronach war eine Zeit lang erste Adresse für Glücksritter und Menschen mit, sagen wir, diversen Brüchen in der Biografie. Allein der traurige Rest seiner aktuellen Parlamentsmannschaft liefert dafür ein beredtes Zeugnis. Leo Steinbichler etwa, noch immer Parlamentsabgeordneter, weiß frühmorgens wohl oft selber nicht, welche Meinung er aktuell zu haben hat. Der sogenannte Agrarrebell war Bauer und ÖVP-Gemeinderat. Dann ging er mit einem Gasthaus in Konkurs. Anschließend kandidierte er für die „Liste Fritz“ in Tirol, bevor er bei Stronach anheuerte und jetzt, wie erwähnt, auch noch eine eigene Liste gründen will. Mit solchem Personal ist es tatsächlich schwer, das Bundeskanzleramt zu erobern.
Vielleicht hat manch ein Wut- oder Frustbürger mittlerweile sogar erkannt, dass reines Protestwählen Risiken birgt
Wie sich ebenfalls zeigte, haben Wirtschaft und Politik sehr viel weniger gemeinsam, als gerne behauptet wird. Nach dem Bauchfleck des Magna-Gründers kann niemand mehr ernsthaft behaupten, dass Erfolge in der Wirtschaft per se zu höheren Ämtern in der Politik befähigen. Manchmal klappt der Umstieg, aber es kann auch böse schiefgehen. Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann wird das mit einer gewissen Häme registriert haben. Bekanntlich sägen aktuell zwei Herren aus dem gehobenen Management an seinem Sessel. Umgekehrt wäre es auch keine beruhigende Vorstellung, Werner Faymann am Steuer eines halbwegs wichtigen Unternehmens zu wissen.
Und vielleicht hat manch ein Wut- oder Frustbürger mittlerweile sogar erkannt, dass reines Protestwählen Risiken birgt. Das Team Stronach sitzt immer noch in drei Landesregierungen und – wenn es keine vorzogenen Neuwahlen gibt – auch noch drei Jahre lang im Parlament. Diesen Spaß bezahlt jetzt aber nicht mehr der Milliardär, sondern die Allgemeinheit.
Ulla Weigerstorfer und ihre Kollegen müssen uns das leider wert sein.