Gesundheitsreform

Die Ärztin, die übers Smartphone behandelt

Gesundheitsminister Johannes Rauch will die digitale Medizin stark ausbauen. Wird das virtuelle Wartezimmer zur Realität? Und was bedeutet die Telemedizin für Patientinnen und Patienten?

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Die Virenwelle, die das ganze Land erfasst hat, zwingt viele Menschen zum Abwägen: Bleiben sie mit Fieber im Bett – oder statten sie ihrer Hausärztin lieber gleich einen Besuch ab? Geht es nach Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) soll in nicht ganz so ferner Zukunft beides möglich sein: Im Bett bleiben und gleichzeitig den Arzt konsultieren – mit dem Smartphone. Rauch hat seine groß angekündigte digitale Gesundheitsstrategie (die komplette eHealth-Strategie soll bis 2030 umgesetzt sein), die im Zuge der kürzlich fixierten Gesundheitsreform beschlossen wurde, so definiert: „Digital vor ambulant, vor stationär“. Das klingt logisch und konsequent – aber was bedeutet das jetzt schon für Patientinnen und Patienten? profil begleitet Sie in vier Schritten durch das virtuelle Wartezimmer. 

1. Von der Gesundheitshotline „1450“ zum Ärzte-Videocall

Das Problem der Gesundheitshotline „1450“ sei, hört man von Experten, dass sie seit der Pandemie in der Bevölkerung als „Corona-Telefon“ bekannt sei. Doch die Nummer kann viel mehr, als viele Patienten wissen. Aktuell steht nach dem Checken der Symptome eine Empfehlung („Gehen Sie zum Kinderarzt“; „Gehen Sie in die Ambulanz“; „Warten Sie auf morgen“). In Zukunft (das Gesundheitsministerium rechnet damit, dass die Umsetzung bis Ende 2026 erfolgt) soll aus der „reinen Lotsenfunktion“, wie es die ÖGK nennt, eine Web- und App-basierte Gesundheitsberatung werden. „1450 wird eine wesentliche Rolle spielen“, sagt Alexander Degelsegger-Marquéz von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), die den Prozess der eHealth-Strategie begleitet, weil das Telefon „super niederschwellig“ sei. Im Oktober 2023 gab es laut Sozialversicherung österreichweit rund 70.000 Anrufe bei „1450“ – und davon waren 22.000 durchgeführte Gesundheitsberatungen (der Spitzenwert während der Pandemie war im November 2021 mit 2,1 Millionen Anrufen; der Oktober 2022 hatte noch 262.000 Anrufe). Was bedeutet der Ausbau von „1450“ konkret für Patientinnen und Patienten? Im Anschluss an die Erstberatung (die durch geschulte Gesundheits- und Krankenpflegepersonal durchgeführt wird) wird man via Videocall in ein virtuelles Wartezimmer verbunden und mit einer diensthabenden Ärztin oder einem Arzt verbunden (die ÖGK bietet diesbezüglich das Tool „visit-e“ zur Videokonsultation an). Diese können etwa eine Medikamentenverordnung durchführen. Identifizieren müssen sich Patienten dann nur noch mit einer E-Card mit NFC-Funktion, die ans Smartphone gehalten wird. Für die Patient:innen bleibt dann nur noch der Gang zur Apotheke. 

2. Gesundheitsdaten und Röntgenbilder in der ELGA

Ein Bild, das Gesundheitsminister Rauch gern bedient, ist, dass Menschen noch immer mit Röntgenbildern zwischen Diagnosezentren, Spezialisten oder Krankenhäusern hin- und herlaufen müssen. „Für Patient:innen macht es dann Sinn, wenn ich alle relevanten Daten auf einem Platz habe – zum Beispiel Facharztbefunde, Erinnerungsfunktion für Vorsorgeuntersuchungen, Eltern-Kind-Pass, oder Impfdaten mit einer möglichen Reminder-Funktion“, meint Degelsegger-Marquéz zu profil. Wann die ELGA mit allen Funktionen zur Verfügung stehen wird, darauf wollte sich das Gesundheitsressort auf profil-Anfrage nicht festlegen. Eine Sprecherin Rauchs nannte vage einen Zeitraum von fünf Jahren. 

Bilddaten wie vom Röntgen, CT und MRT können seit Kurzem bereits in die elektronische Gesundheitsakte integriert werden, zwischen manchen Instituten und Krankenanstalten passiert der Austausch auch schon jetzt. Bis auch Wahlärzte Zugriffe auf das Datenmaterial haben werden, wird es aber noch dauern – bis 1. Jänner 2026. Das heißt, bis die Röntgenbilder zwischen einem Röntgeninstitut und einem Orthopäden ausgetauscht werden können, wird es noch mindestens zwei Jahre dauern; hierfür müssen auch erst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Dann sollte niemand mehr mit den riesigen Kuverts herumlaufen müssen. 

3. Telemonitoring für chronisch Kranke 

Im Bereich des Telemonitoring gibt es bereits technische Lösungen für Diabetes- und Herz-Patienten. Über Apps wie „MySugr“ oder „DiabCare“ lassen sich Blutzuckerwerte aufzeichnen und verlaufend darstellen. Ziel ist es, dass die elektronische Gesundheitsakte in Zukunft auch bei chronisch kranken Menschen zu einer umfassenden Hilfe wird, meint Degelsegger-Marquéz. Für Diabetes-Patienten würde das bedeuten, dass das System erkennt, wenn der Patient länger nicht bei einer spezifischen Untersuchung war. Analoge Prozesse nur digital abzubilden, meint Degelsegger-Marquéz, sei nicht das Ziel. 

Teilweise ist das Telemonitoring schon in der Regelversorgung angekommen: Für herzkranke Patienten und Menschen mit erhöhten Herzinfarktrisiko, die auf eine Operation warten oder bereits aus dem Spital entlassen wurden, ist die sogenannte „LifeVest“ im Einsatz. Das Alarmsystem kann hier bereits zentral protokolliert und bis hin zum Spezialisten ausgelöst werden. 

Ein Pilotprojekt gibt es auch im Feld der Teledermatologie in der Steiermark. In den Bezirken Liezen und Leibnitz können Hausärzt:innen für dermatologische Fragen Fachärzte hinzuziehen, indem sie zum Beispiel Fotos von auffälligen Hautstellen übermitteln. Das Projekt wurde laut ÖGK bereits zur Ausweitung in anderen Bundesländern empfohlen. 

4. Reha mit Videoanleitung

Früher hat man nach einer Reha einen Zettel mit Übungen bekommen, in Zukunft könnte man die Anweisungen über eine App bekommen. Der Vorteil? Spielerischer Zugang und Motivationsmöglichkeiten wie bei so genannten Serious Games, also Videospielen, die nicht der reinen Unterhaltung dienen. Die Telerehabilitation kommt aus dem Fitness- und Wellnessbereich - denn da sind bereits unzählige App-Lösungen für alle möglichen Problemstellungen auf dem Markt. In Zukunft könnte auch die klassische Rehabilitation – nach einem etwaigen stationären Aufenthalt - über App-Lösungen mit Videoanleitung passieren; sei es für Turnübungen, Muskelaufbau oder Gelenkigkeit. Heißt: Eine Brücke von Reha zur Telekonsultation, in der Patienten entweder in einem eins zu eins Setting oder mit mehreren Patienten Übungen machen und Therapeuten die Ausführung gleich kontrollieren können. Ein Pilotprojekt namens „RehaApp“ gibt es dazu bereits von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), die sich vor allem an Herz-Kreislauf-Patient:innen wendet und die nachhaltige Einhaltung des erlernten Lebensstils nach einem Aufenthalt in einem Rehazentrum im Fokus hat. Heißt: Bewegung, Aufgabe des Rauchens, Kontrolle anderer Risikofaktoren. 

Dass die Telerehabilitation nicht für jede Zielgruppe geeignet sein kann, liege auf der Hand. Es gehe darum, meint Degelsegger-Marquéz, dass die Digitalisierung nicht zur Exklusion führe und Menschen, die nicht mitkönnen oder wollen, trotzdem den gleichen niederschwelligen Zugang zu Gesundheitssystem haben: „Digital vor ambulant, vor stationär heißt nicht, dass es digital sein muss.“

Die digitalen Dienste sollen eine Erleichterung für jene sein, die sie nutzen wollen.

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.