Anschlag auf Taylor-Swift-Konzerte: Die Terroristen aus Ternitz
Schriftgröße
Für die Behörden ist er der Staatsfeind Nr. 1: Beran A., 19, geboren in Wien, wohnhaft in Ternitz. Derzeitiger Status: Untersuchungshäftling. Aufenthaltsort: Justizanstalt Wien-Josefstadt. Der Vorwurf der mittlerweile zuständigen Staatsanwaltschaft Wien: A. habe beabsichtigt, bei einem Konzert von Taylor Swift mit seinem Auto in die Menschenmenge vor dem Wiener Ernst-Happel-Stadion zu rasen und Fans mit Bomben und Stichwaffen zu attackieren. „Sein Plan war, möglichst viele Menschen vor dem Stadion zu töten“, sagte der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner. Wenige Tage vor der Tat soll sich Beran A. bei einem Freund erkundigt haben, wo man eine Zündschnur herbekommen kann. Das geht aus einer Zeugenvernehmung vor, die profil vorliegt. Auf die Frage, warum er eine Zündschnur brauche, sagte A.: "Du wirst davon hören!"
Für Anwalt Werner Tomanek ist Beran A. ein verwirrter junger Mann: Er habe nur „etwas angedacht“, die Ausführung eines Attentats sei „gar nicht möglich gewesen“. Er sei „ein rabiater Internet-Rambo“, so Tomanek: „Die angeblichen Anschlagpläne waren reine Hirngespinste.“
Ob es sich bei Beran A. um einen brandgefährlichen Terroristen oder einen unreifen Teenager handelt, wird ein Gericht zu klären haben. Fest steht: Die Polizei musste angesichts der Verdachtslage vergangene Woche – nur einen Tag vor dem ersten Taylor-Swift-Konzert – zugreifen. Für die neu aufgestellte DSN bedeuten die Festnahmen von A. und seinem mutmaßlichen Komplizen, Luca K., einen Erfolg. Im Umfeld der beiden konnten weitere fünft Verdächtige ausgeforscht werden, die beim Stadion beschäftigt waren. Funktioniert der Staatsschutz also wieder? Und sind die von der ÖVP geforderten Befugnisse für die DSN zur Überwachung von Messenger-Diensten tatsächlich notwendig?
Vergangene Woche recherchierten die Ermittler das Umfeld der mutmaßlichen Attentäter. Beran A. wurde bereits seit 2. August observiert. Am 3. August verbrachte der Komplize die Nacht bei seinem Freund, am 4. August wurden die beiden dabei beobachtet, wie sie um 1.40 Uhr eine „Probefahrt“ in einem Auto unternahmen. Dabei montierte der 19-Jährige ein Blaulicht auf das auf seine Mutter zugelassene Fahrzeug, schaltete ein Folgetonhorn ein und fuhr „durch eine Menschengruppe“. Verletzt wurde dabei niemand.
Omar Haijawi-Pirchner
Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) Omar Haijawi-Pirchner betonte in der Pressekonferenz, dass die Gefahr unmittelbar war. Der mutmaßliche Attentäter Beran A. soll den konkreten Plan gehabt haben, "möglichst viele Menschen vor dem Stadion zu töten".
Der 17-jährige Luca K. war am Mittwoch, dem 7. August, beim Ernst-Happel-Stadion festgenommen worden. Kurzfristig hatte er bei einer Gerüstbaufirma angeheuert, die die Bühne für die Swift-Konzerte errichtete. Die Firma hat den Auftrag eine Woche vor den Konzerten erhalten. Er soll offenbar direkt beim Bühnenbereich gearbeitet haben, das geht aus er Zeugenvernehmung hervor, die profil vorliegt. Zuvor hatte der 17-Jährige auch beim Rammstein-Konzert in Klagenfurt Mitte Juli gearbeitet.
Luca K. ist 2007 in Wiener Neustadt geboren und in Ternitz aufgewachsen. Seine Eltern sollen kroatische und kurdisch-alevitische Wurzeln haben, seine Mutter lebt zumindest in der zweiten Generation in Niederösterreich und arbeitet als Pflegerin.
Der 17-Jährige betrieb von Kind auf Sport, im Alter von sechs bis zehn
Jahren war er Stürmer eines niederösterreichischen Fußballvereins. „Er war einer der besseren Spieler und hatte eine gute Bindung zu seinen Mitspielern“, erfährt profil vom Vereinsvorstand: „Leider ist er als Kind den falschen Weg gegangen.“ Gemeint ist, dass er mit dem Fußball aufhörte und immer wieder „negativ“ aufgefallen sei, wie es in Ternitz heißt. Auch die Jugendbehörde soll auf ihn aufmerksam geworden sein. Ein Zeuge, der beide Burschen kennt, sagte bei der Einvernahme, Luca K. habe gewusst, dass ihn die Polizei suchen würde, weil er bei der "505er-Sache" dabei gewesen sein soll.
Sport betrieb Luca weiter. Bis zu seiner Verhaftung boxte er im alten Gebetsraum der ehemaligen Ternitzer Moschee Xhamia Nur in der Gfiederstraße. In dem orangefarbenen Gebäude in der Nähe des Bahnhofs trafen sich die in Ternitz lebenden albanischen Muslime bis vor einem Jahr zum Beten. 2020 stand das Gebäude zum Verkauf. Die laut Grundbuch jetzigen Eigentümer, ethnische Albaner, stammen aus Gostivar, jener Stadt in Nordmazedonien, aus der auch die Familie von Beran A. kommt.
Der albanische Kulturverein verlegte die Moschee Ende vergangenen Jahres weiter nördlich in die Ruedlstraße. Was sich seitdem in der Gfiederstraße abspielte, habe man nicht gewusst, sagt Vereinsobmann Dzemalj Sadiki: „Ich habe nichts von einem Sportraum oder einem Boxtreffen gehört. Von den beiden Burschen kenne ich nur Beran A. Sein Vater war Mitglied in der Moschee, ein anständiger Mann. Beran war hin und wieder mit ihm dort.“
Probleme des Verdächtigen mit der Familie
Über die Burschen kursieren widersprüchliche Informationen. Familienmitglieder behaupten, sie hätten sich seit ihrer Kindheit gekannt und seien enge Freunde. Beran A. soll laut seinem Anwalt Tomanek aber keine Freunde gehabt und völlig isoliert gelebt haben.
Luca K. absolvierte die polytechnische Schule und begann eine Lehre als Spannungstechniker. Wie ein gewöhnlicher Jugendlicher, findet sein Rechtsanwalt Nikolaus Rast. Im Gegensatz zum Hauptverdächtigen Beran A. habe Luca K. seine Lehre nicht abgebrochen. Von seiner Freundin habe er sich – entgegen der Darstellung des Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit Franz Ruf – nicht getrennt, sagt Rast.
Lucas Schwester erzählte der „Kronen Zeitung“, ihr Bruder wäre kein Islamist. Als Schüler hätte er gern den Religionsunterricht besucht und sich kirchliche Messen angehört. Einen Bart habe er sich nicht wachsen lassen.
Ein harmloser Bursch von nebenan ist K. allerdings nicht. Der 17-Jährige ist wegen schwerer Körperverletzung vorbestraft. In seinem Portemonnaie fanden Ermittler Sticker der Terrororganisation Islamischer Staat. Woher er sie hat? „Er weiß es nicht mehr. Manchmal bekommt man Broschüren oder Sticker in die Hand gedrückt, von denen man nicht einmal weiß, was sie sind, und vergisst dann wieder, dass sie existieren“, argumentiert sein Anwalt Rast.
Auf eine ähnliche These stützt sich auch dessen Kollege Tomanek: „Beran A. war höchstens ein salafistischer Sympathisant, mehr nicht.“ Auch A. bleibt bei seiner nunmehrigen Aussage, das Attentat nur geplant zu haben, um „cool“ sein zu wollen. Für seine auf einem Foto dokumentierte Pose mit Messern vor der Brust habe er sich vom Wiener Attentäter, der im November 2020 vier Menschen ermordete, inspirieren lassen. Auch Osama Bin Laden soll in Beran A.s Augen ein "Held" gewesen sein. Das erzählte er seinen Freunden.
Die Ternitzer Moschee der albanischen Muslime besuchte Beran A. mit seinem Vater nur selten. Stattdessen soll es ihn in die Räumlichkeiten des „Österreichisch-orientalischen Integrationsvereins“ gezogen haben. Sein Leben führte er streng nach islamischen Regeln. Den Kontakt zu „Ungläubigen“ hat er gemieden. Zu seiner Mutter soll der 19-Jährige ein schlechtes Verhältnis gehabt und kaum mit ihr gesprochen haben, da sie ihr Kopftuch nur profan gebunden hatte und nicht so, dass keine einzige Haarsträhne zu sehen ist, wie es die strengen Regeln im Islam vorschreiben. Mit seinem Vater arbeitete Beran A. im selben Betrieb, einer Metallverarbeitungsfirma in Ternitz. Dort galt er als Einzelgänger, aß zu Mittag allein am Tisch und pflegte kaum Kontakt zu Kollegen.
Politischer Streit um Staatsschutz
Abseits der polizeilichen Ermittlungen verschärfte sich vergangene Woche die politische Auseinandersetzung um die Befugnisse der DSN bei der Terrorbekämpfung. Tatsächlich ist die derzeitige rechtliche Situation bizarr. Zur Ausforschung terroristischer Vereinigungen dürfen die Behörden einen großen Lauschangriff auf Verdächtige starten und deren Telefone abhören. Dagegen ist es der DSN nicht erlaubt, Nachrichten mitzulesen, die sich mutmaßliche Terroristen über Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegram oder Signal schicken.
Auf Anfrage von profil hält die DSN fest: „Eine Erweiterung der Befugnisse für den Verfassungsschutz wäre von äußerster Relevanz. Die derzeit bestehenden Befugnisse bilden nicht mehr die technische Realität und Geschwindigkeit ab.“
Im April übermittelte ÖVP-Innenminister Gerhard Karner den Grünen einen Entwurf zur Änderung des Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetzes (SNG), das die Befugnisse der DSN regelt. Doch der Koalitionspartner zeigte weder besonderes Interesse noch übertriebene Eile. Zu groß war – und ist – die Skepsis, dass die Reform grundrechts-, datenschutz- und verfassungskonform sei.
Der Gesetzesentwurf zur Novellierung des SNG liegt profil vor. Konkret geht es um „Besondere Bestimmungen für die Ermittlungen“ beim „Verarbeiten
personenbezogener Daten auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes“. Bisher dürfen Ermittler bei der erweiterten Gefahrenerforschung laut SNG etwa Verdächtige observieren, verdeckte Ermittlungen führen und Handys lokalisieren. Laut dem Entwurf soll auch die „Überwachung von Nachrichten“ erlaubt sein, wenn dies „zur Vorbeugung eines verfassungsgefährdenden Angriffs, dessen Verwirklichung zumindest mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist“, erforderlich ist; weiters die „Überwachung von Nachrichten, die verschlüsselt gesendet, übermittelt oder empfangen werden, durch Einbringen eines Programms in ein Computersystem eines Betroffenen unter Einsatz technischer Mittel“. Vor der Überwachung von Nachrichten hat die DSN eine Bewilligung beim Bundesverwaltungsgericht zu beantragen und den Rechtsschutzbeauftragten beim Innenministerium mit der Angelegenheit zu befassen.
In der Praxis müssten die Ermittler das Handy eines Verdächtigen hacken und eine Spionagesoftware installieren, die präzise die inkriminierten Nachrichten ausliest. Fraglich ist, was mit sogenannten Zufallsfunden passiert, etwa wenn die Ermittler in einem Telegram-Chat eines Terrorverdächtigen Hinweise auf den Diebstahl eines Autos finden – eine Straftat, allerdings kein „verfassungsgefährdender Angriff“.
Allerdings steht die ÖVP mit ihrem Ansinnen ziemlich allein da. In der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am Dienstag verweigerten alle anderen Parteien ihre Unterstützung. Auch mit ihren Vorschlägen einer Verschärfung des Vereins- und Versammlungsrechts und einer Haftverlängerung für nicht-deradikalisierte Personen blitzte die ÖVP ab.
Verbindungen zum Wien-Attentäter?
Die derzeit zulässigen Überwachungsmaßnahmen wie verdeckte Ermittlungen greifen nach Ansicht der DSN bei radikalisierten Einzeltätern und autonom agierenden Kleinstgruppen nicht. Diese stellen derzeit die größte Gefahr in Österreich dar. Sie handeln entweder unter Steuerung durch eine Terrororganisation oder aus eigenem Antrieb ohne Auftrag aus dem Ausland.
Der Anschlag vom 2. November 2020 in Wien entspricht diesem Muster. Der Attentäter wurde erschossen. Im heurigen April wurden drei junge Männer wegen Mittäterschaft zu zweimal lebenslanger und einmal 20 Jahren Haft verurteilt. Als Beleg für die Notwendigkeit weiterer Befugnisse für den Staatsschutz eignet sich der Anschlag allerdings nicht. Wie eine Untersuchungskommission unter Leitung der Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes feststellte, lag das Versagen der Dienste „nicht an einem Mangel an Informationen, sondern an der mangelhaften Verwertung dieser Informationen“. Den Behörden war bekannt, dass der vorbestrafte Attentäter in der Slowakei Munition kaufen wollte und sich mit anderen Extremisten traf. Zudem besuchte er Moscheen mit radikalen Predigern, wie die Tewhid-Moschee in Wien-Meidling, die auch bei den jetzigen Ermittlungen gegen Beran A. und Luca K. eine Rolle spielen soll.
Das mutmaßliche Attentat auf die Wiener Pride-Parade am 17. Juni weist Parallelen zum jetzigen Fall auf. Wie vor dem Taylor-Swift-Konzert warnte ein ausländischer Dienst die DSN. Die Hinweise führten zur Festnahme dreier Verdächtiger mit tschetschenischen und bosnischen Wurzeln. Auf den Handys der drei fanden sich IS-Material und eine Anleitung zum Bau einer Bombe. Allerdings waren sie rasch wieder auf freiem Fuß. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft St. Pölten dauern an. Auch in der Causa jenes 16-Jährigen, der am 11. September 2023 einen Anschlag mit einem Kampfmesser im Wiener Hauptbahnhof durchführen wollte, kamen die Hinweise aus dem Ausland. Der Bursch machte im letzten Moment einen Rückzieher und verließ das Bahnhofsgelände. Tags darauf wurde er festgenommen. Nach Verbüßung einer Haftstrafe ist er mittlerweile wieder frei.
Wie Beran A. nannte er in seinen Einvernahmen den Wiener Attentäter als Vorbild.
Ein anderer Vorfall betraf einen mutmaßlichen Anschlag auf den Wiener Stephansdom. Vor Weihnachten vergangenen Jahres nahm die Polizei drei Mitglieder einer Dschihadistenzelle in einer Ottakringer Asylunterkunft fest. Der jüngste Terrorverdacht geht auf eine 14-Jährige aus Graz zurück, die im April einen Bombenanschlag in der steirischen Hauptstadt geplant haben soll und noch immer in U-Haft sitzt.
Dauerabhängigkeit vom Ausland
Die DSN nennt ihre mangelnden Überwachungsmöglichkeiten „einen sicherheitsbehördlichen blinden Fleck“. Strafrechtlerin Zerbes sieht „eine Dauerabhängigkeit von fremdstaatlichen Geheimdiensten“. In Deutschland ist die sogenannte „Quellen-TKÜ“ (Telekommunikationsüberwachung) „bei der Verfolgung schwerer Straftaten oder der Abwehr von Gefahren für hochwertige Rechtsgüter“, so das Wording des deutschen Bundeskriminalamts, erlaubt, sowohl den Polizeibehörden als auch den Nachrichtendiensten.
Wesentlich weiter greift die sogenannte (in Österreich nicht geplante) „Online-Durchsuchung“, bei der nicht nur Chatverläufe, sondern der gesamten Inhalt eines Handys oder einer Festplatte eines Verdächtigen mittels Spionagesoftware ausgelesen wird. Aus der Statistik des deutschen Bundesjustizamts geht hervor, dass im Jahr 2022 im Zuge einer Quellen-TKÜ Handys oder Computer 49 Mal gehackt wurden, Online-Durchsuchungen fanden sechs Mal statt. Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die Tätigkeit von Polizeibehörden. Wie oft das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz Handys anzapfte, ist nicht bekannt. Auch die DSN will von seiner Tätigkeit und seinen Mitarbeitern nur wenig preisgeben. Nur so viel: Seit ihrer Schaffung im Dezember 2021 sei „unter dem Aspekt ‚Qualität vor Quantität‘“ sehr viel neues Personal rekrutiert worden. Derzeit sucht die DSN etwa Referentinnen und Referenten für den Bereich Auswertung, für strategische Cyber-Analyse und für internationale Beziehungen – und unter dem Betreff „Traumjob: Spy-Hunter?“ Psychologen, die die Eignung der Bewerber ermitteln sollen.
Natalia Anders
ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.