Terrorgefahr: Warum auch Niederösterreich ein Hotspot für Islamisten ist
Von Daniela Breščaković und Clemens Neuhold
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In Villach hat am Samstag ein 23-jähriger Flüchtling aus Syrien auf mehrere Passanten eingestochen und einen 14-jährigen Burschen getötet. Vier weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Ein syrischer Essenlieferant stoppte ihn, in dem er ihn mit seinem Fahrzeug rammte.
Ermittler gehen von einem eindeutig islamistischen Hintergrund aus. Der Syrer soll sich online auf TikTok radikalisiert und der Terrororganisation IS die Treue geschworen haben.
Am Samstag waren auch in München eine Mutter und ihre Tochter gestorben, nachdem ein 24-jähriger Afghane in eine Menschenmenge gerast war und 30 Personen teils schwer verletzte. Es wird ein islamistisches Motiv vermutet.
Die seit zwei Jahren wieder deutlich erhöhte Terrorgefahr hält die Staatsschützer allerorts auf Trab. Das zeigt auch ein Schlaglicht, das profil auf die islamitische Szene in Niederösterreich warf. Anlass ist die Gruppe, die hinter den Attentatsplänen auf das Taylor Swift-Konzert im August 2024 stehen soll. Bei den Recherchen stießen wir auf weitere, mögliche Islamisten-Netzwerke mit dutzenden Personen, gegen die Staatsanwälte und Landes-Verfassungsschutz ganz aktuell ermitteln. Welche Muster stecken dahinter?
Frühjahr 2014. Ein Regionalexpress verlässt den Wiener Westbahnhof in Richtung St. Pölten. Die Fahrt dauert eine Stunde. Unter den Reisenden: vier junge Männer. Zumindest einer von ihnen wird Jahre später in Wien als Terrorist verurteilt werden. Am Bahnhof in St. Pölten angekommen, gehen sie ein paar Minuten zu Fuß zu einer Wohnung. Ein Mann öffnet die Tür, in der Hand hält er einen Schlüssel. „Salam alaikum.“ – „Wa aleikum assalam, Brüder.“ Mehr Worte sind nicht nötig. Die Treffen sind Routine. Kurz darauf fahren sie in eine alte Lagerhalle, 20 Minuten von St. Pölten entfernt. Dort trainieren sie Kampftechniken, halten Vorträge, beten, gehen in der hügeligen Gegend wandern. Es ist einer der Rückzugsorte der islamistischen Szene. Niederösterreich, erinnert sich heute einer von ihnen, sei „von Anfang an ein Ort gewesen, an dem viele Glaubensbrüder zu Hause waren“. Er selbst zog damals noch im selben Jahr in den Dschihad nach Syrien und landete nach seiner Rückkehr für mehrere Jahre im Gefängnis.
Nahe bei Wien, bevölkerungsreich, verborgene Gemeinden
Ein Sprung in die Gegenwart zeigt: Niederösterreich ist bis heute einer der Hotspots für radikale Islamisten. Innerhalb nur eines Jahres wurde im Bundesland ein zweites IS-Netzwerk ausgehoben. Gegen ein drittes laufen die Ermittlungen noch im Verborgenen. Seit zehn Jahren gibt es immer wieder Razzien, Hausdurchsuchungen, Verhaftungswellen. Nicht nur in der Hauptstadt St. Pölten, sondern auch in Kleinstgemeinden. Warum Niederösterreich in den vergangenen Jahren zu einem islamistischen Hotspot wurde, liegt nur zum Teil an der Nähe zur Bundeshauptstadt und ihrer radikalen Szene. Über Social Media verbreitet sich die islamistische Ideologie auch ganz ohne Großstadtkern bis in die entlegensten Gemeinden des bevölkerungsreichen Niederösterreich – teils unbemerkter als in der Großstadt.
Das Netzwerk des Beran A.
Ein weltweites Schlaglicht auf Niederösterreich warf der Fall Beran A. Der mutmaßliche Planer hinter dem gescheiterten Attentat auf das Taylor-Swift-Konzert Anfang August 2024 in Wien wuchs im idyllischen Ternitz in einem Einfamilienhaus auf und radikalisierte sich online im Kinderzimmer. Aber nicht nur. Galt der heute 20-Jährige zunächst als zurückgezogener Eigenbrötler, stießen die Ermittler auf ein Netzwerk, das sich immer mehr verästelte. Dazu zählt nicht nur der Ternitzer Luca K. (17), der laut Ermittlern beim Swift-Attentat assistieren wollte und deswegen in Untersuchungshaft sitzt. Beran A. stand auch mit Hasan E. (20) aus Ebergassing im Austausch, der in Mekka (Saudi-Arabien) fünf Menschen erstochen haben soll und dort in Haft sitzt. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Oder mit dem 19-jährigen Mohammed A., der am Montag am Landesgericht in Wien zu 24 Monaten Haft verurteilt wurde, 18 davon auf Bewährung. Wegen der angerechneten U-Haft ist er frei. Der Iraker hatte im Zeitraum von August 2023 bis August 2024 brutale IS-Propaganda-Videos geteilt, darunter Hinrichtungen und einen Treueschwur auf den damaligen IS-Führer.
Wiener Moschee als Treffpunkt
Mohammed A. stammt ursprünglich aus dem Wiener Randbezirk Floridsdorf. Im Juni 2024 lernte er Beran A. in der Baitul-Mamur-Moschee kennen, einer bengalischen Gebetsstätte im 20. Bezirk, Wien-Brigittenau. Die Begegnung schien zunächst harmlos: Beran A. suchte eine Wohnung bei Wiener Wohnen und fragte Mohammed A. um Hilfe. Er wollte nach Wien ziehen. Eine Woche später telefonierten die beiden miteinander. Anfang August wurde Beran A. festgenommen. Laut profil-Informationen stand Mohammed A. nicht nur mit Beran A. in Verbindung, sondern auch mit Luca K. und Hasan E. Die jungen Männer sollen sich auch in der Moschee kennengelernt haben. Die Auswertung der beschlagnahmten Handys und Laptops legt immer weitere Querverbindungen offen – ein weitverzweigtes Netzwerk, das sich über mehrere Bundesländer erstreckt. Die Zahl der islamistischen Gefährder liegt aktuell im niedrigen dreistelligen Bereich, heißt es von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). 80 Prozent davon kommen aus der Ostregion.
Verurteilt
Der Iraker Mohammed A. stand mit Leuten in Kontakt, die ein Attentat auf das Taylor Swift-Konzert geplant haben sollen. Nur ein Beispiel für die vielen Querverbindungen in der Islamisten-Szene Niederösterreichs. Er wurde zu 24 Monaten teilbedingt verurteilt.
Der Rückfallstäter von St. Pölten
Wie profil erfuhr, führt die Staatsanwaltschaft Korneuburg akribische Ermittlungen gegen elf Jugendliche aus dem Donauraum durch, die unter islamistischem Terrorverdacht stehen. Mit weiteren Details hält sich die Behörde bedeckt.
Laut dem Chef des Landesamts für Verfassungsschutz, Roland Scherscher, stehen ganz aktuell auch in Neunkirchen und Wiener Neustadt bis zu 20 mutmaßliche Islamisten im Visier der Polizei. Auch hier gibt es vorerst keine weiteren Details aus ermittlungstechnischen Gründen.
Die „Zerschlagung“ eines „IS-Netzwerkes in Niederösterreich“ verkündete im Oktober 2024 Innenminister Gerhard Karner. Im Zentrum standen der heute 21-jährige „IS-Sprayer aus St. Pölten“, Bashkim B., und acht weitere Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren mit nordmazedonischem, tschetschenischem oder afghanischem Hintergrund. Der „Sprayer“ war bis 2023 bereits mehrere Jahre wegen IS-Schmierereien und Terrorunterstützung gesessen und hatte gleich nach seiner Haftentlassung im Sommer 2023 mehrere Teenager für den IS rekrutiert. Er fasste fünf weitere Jahre Haft aus. Laut DSN gibt es derzeit noch keine Hinweise auf Verbindungen zwischen diesem Netzwerk und der Gruppe um Beran A.
Radikalisierung offline und online
Fast untergegangen in diesem heißen August 2024 sind ein 16-Jähriger und 17-Jähriger, beide Konvertiten, die nur drei Wochen nach der Festnahme von Beran A. im Bezirk Tulln mit Videos und Fotos den IS verherrlichten. Sie müssen sich Ende Februar vor Gericht verantworten. Wie entstehen solche Netzwerke am Land und wie hierarchisch aufgebaut sind sie? Auf der Suche nach Identität und Sinn im Leben stoßen Jugendliche auf TikTok & Co. auf extremistische Inhalte von rechtsextrem bis islamistisch. Islamistische Influencer verstehen es besonders geschickt, ihre radikale Propaganda als normalen Islam zu transportieren. Dagegen haben Vertreter eines gemäßigten Islam erst gar keine Chance. Weil sie im Algorithmus untergehen würden. Im realen Leben zwischen Fußballplatz, Boxclub und Schulvorplatz bilden sich dann lose Netzwerke aus islamistisch aufgestachelten Gleichgesinnten. Man ist sich sympathisch, befreundet sich gegenseitig über Social Media und radikalisiert sich in Chatgruppen weiter.
Die radikale Version des Islam wird immer mehr zur einzigen Wahrheit und die Welt der „Ungläubigen“ zum Feindesland – gemäßigte Muslime inbegriffen. „Diese losen Netzwerke sind so gefährlich, weil es keine klaren Anführer gibt, an denen die gesamte Gruppe hängt und die man ausschalten könnte“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw, Islamismusforscher und Gründer der Deradikalisierungsstelle „Derad“. Er und seine Kollegen betreuen islamistische Gefährder und kennen auch die niederösterreichische Szene gut. „Wenn überhaupt, bilden sich Hierarchien um einzelne Jugendliche, die Macht ausüben wollen und sich in den Vordergrund spielen. Sie beginnen auf Basis von schnellen Internet-Recherchen andere zu maßregeln, welches Verhalten erlaubt (halal) oder verboten ist (haram). Oder sie verprügeln andere, wenn sie dagegen verstoßen“, sagt Diaw.
Diese losen Netzwerke sind so gefährlich, weil es keine klaren Anführer gibt, an denen die
gesamte Gruppe hängt und die man ausschalten könnte.
Moussa Al-Hassan Diaw, Experte für Deradikalisierung
Die Konvertitenwelle
Was auffällt: Es ist nicht in erster Linie die Ethnie, die diese Netzwerke verbindet, wie man es von tschetschenischen oder syrischen Banden kennt. Das stärkste Bindeglied ist die Ideologie des salafistischen Islam. So mischen sich Nachfahren der türkischen, bosnischen oder albanischen Gastarbeiter-Generation mit Flüchtlingskindern aus Afghanistan bis Syrien. Und verstärkt kommen auch Österreicher hinzu, die weder Migrationshintergrund noch familiären Bezug zum Islam hatten, bevor sie konvertierten und in extremistische Kreise abrutschten. Wie die Staatsanwaltschaft Korneuburg bestätigt, sollen sich unter den elf Personen, die unter islamistischem Terrorverdacht stehen, auch Konvertiten befinden. „In letzter Zeit gab es immer wieder auch Ermittlungen gegen Personen ohne Migrationshintergrund“, heißt es auch aus der Staatsanwaltschaft St. Pölten. Die islamistische Ideologie bietet Orientierungslosen eine glasklare Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß, selbst für autochthone Österreicher, deren Familien nichts mit dem Islam zu tun haben. Über Social Media oder radikalisierte muslimische Freunde ist sie außerdem so gut verfügbar wie früher nur neonazistische Ideologien. Ein ehemaliger Dschihadist verweist auf das besondere Ansehen, das Konvertiten in der Szene genießen.
„Ex-Christen“ als Teil der Propaganda
„Man ist so etwas wie der Shootingstar, wenn man als Österreicher ihre Ideologie annimmt“, sagt er im Gespräch mit profil. Er selbst konvertierte 2014 zum Islam und schloss sich dem IS an. Wer als Konvertit den Weg in den Dschihad wählte, dem wurden besondere Privilegien zuteil. „Es wurden einem besondere Frauen angeboten, wenn man in den Dschihad nach Syrien zieht. Und es wurde einem das Gefühl vermittelt: Du gehörst dazu, du glaubst an das Richtige“, erzählt er. Die Rekrutierung solcher Neuankömmlinge folgte einem bewährten Muster: Erst freundliche Aufnahme, dann intensive religiöse Schulungen – und schließlich die gezielte Ideologisierung. Auch die Sicherheitsbehörden sehen in radikalisierten Konvertiten eine wachsende Gefahr. Viele von ihnen suchen Halt in einer neuen Identität, radikalisieren sich besonders schnell und sind oft bereit, für ihre neue Überzeugung drastische Schritte zu gehen. Ermittler beobachten schon seit Jahren, dass Konvertiten in der islamistischen Szene nicht nur als Symbole für die Durchsetzung der eigenen Ideologie gelten, sondern auch gezielt für Propagandazwecke instrumentalisiert werden.
Wien-Attentäter als Vorbild
Beran A., der mutmaßliche Attentatsplaner auf das Taylor Swift-Konzert, nahm in seiner Kampfpose Anleihen beim Wien-Attentäter vom 2.11.2020 Kujtim F. - beide sind in Niederösterreich aufgewachsen.
Die Hilflosigkeit der Eltern
Eltern, deren Söhne konvertieren und sich plötzlich einen Bart wachsen lassen oder deren Töchter sich tief verschleiern, stehen dieser Entwicklung meist völlig ratlos gegenüber. Das gilt auch für säkulare Muslime, die ihre Kinder an radikale Einflüsterer verlieren. Aus einem nicht sonderlich religiösen nordmazedonischen Elternhaus stammte auch jener Niederösterreicher, der für so manchen Terror-Teenie zur Ikone wurde: Kujtim F. Am 2. November ermordete der in Mödling geborene und aufgewachsene 20-Jährige in der Wiener Innenstadt vier Menschen und wurde dann selbst von der Polizei erschossen. Beran A. übernahm seine martialische Pose auf seinem vermeintlichen Abschiedsbild vor dem gescheiterten Attentat aufs Swift-Konzert. Auch andere Terrorverdächtige nannten Kujtim F. seither in Vernehmungen immer wieder als Vorbild. Sein islamistisches Netzwerk spannt sich zwischen dem Wiener Bezirk Liesing und St. Pölten. Drei – teils amtsbekannte – Tschetschenen waren kurz nach dem Attentat in der niederösterreichischen Hauptstadt spektakulär verhaftet worden.
![Daniela Breščaković](https://image.profil.at/images/cfs_square_616/8758207/fotohermesbrescakovic.jpg)
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.
![Clemens Neuhold](https://image.profil.at/images/cfs_square_616/7162700/neuholdclemens.jpg)
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.