Terrorprozess: Genese eines Extremisten
Eine klare Novembernacht und eine Razzia mit 900 Einsatzkräften. Jetzt, ein Jahr danach, mündet der Vorgang in einen Terror-Prozess: Es geht darin um Kriegsverbrechen in der syrischen Provinz Aleppo, um Erschießungen von Zivilisten, um Enthauptungen, um versklavte Frauen, die erstochen wurden, als sie nicht mehr gebraucht wurden. Und um all das, was die IS-Terrormiliz sonst noch den Menschen antut. In diesem Fall in Gestalt eines jungen Österreichers, eines Syrienheimkehrers. Das glaubt jedenfalls die Staatsanwaltschaft.
Es gibt einen Kronzeugen: ein ehemaliger Kämpfer der Freien Syrischen Armee, der zur selben Zeit am selben Ort war wie einer der Angeklagten, der Funksprüche aufgefangen und Gespräche mitgehört haben soll. Ein Österreicher tschetschenischer Herkunft, der höchstwahrscheinlich höchst gefährdet ist.
Und dann ist da der 34-jährige Mirsad O, besser bekannt unter seinem Predigernamen "Ebu Tejma“, der junge Leute dazu angestiftet haben soll, in den Kampf nach Syrien zu ziehen. Ihm wird vorgeworfen, mit seiner extremistischen Auslegung von Koran und Sunna Dutzende Jugendliche verführt, mit seiner paranoiden Sicht auf die Welt des Westens und auf alle anderen Muslime, die nicht seine Lehre teilen, den Hass genährt und die Jugendlichen geradezu angefixt zu haben, der apokalyptischen Weltsicht der IS-Terror-Miliz zu folgen.
Und dann sind da trostlose Mütter und abgearbeitete Väter, die einst als Gastarbeiter ins Land gekommen waren. Gestandenen Männern laufen Tränen über die Wangen, wenn die Rede auf "Ebu Tejma“ kommt. Sie sagen, sie haben ihre Kinder an Mirsad O. verloren. Irgendwann seien die Söhne nicht mehr heimgekommen. Sie hätten in der Moschee übernachtet, sich einen Bart wachsen lassen und nur noch gebetet. Und Kampfsport betrieben. Sie hätten aufgehört, jung zu sein. Auch Mädchen wurden angelockt wie die beiden als "Postergirls“ bekannt gewordenen Wiener Schülerinnen. Fast jeder Jugendliche, der in den vergangenen Jahren nach Syrien gegangen ist, hatte vorher in irgendeiner Form mit Mirsad O. Kontakt gehabt. Die betroffenen Eltern gehen nicht gern an die Öffentlichkeit. So groß ist das Gefühl der Schande, dass sie ihre Kinder nicht beschützen konnten. So kommen ihre Geschichten in den Gerichtsakten nicht vor. Der eine oder andere wird beim Prozess, der unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Frühjahr im Landesgericht Graz stattfinden wird, im Publikum sitzen.
Wie kam es dazu?
Zugriff in letzter Minute
Im Morgengrauen des 28. November 2014 war ein Trupp maskierter Einsatzkräfte in einem Wiener Gemeindebau die Treppen hochgestürmt und hatte Mirsad O. verhaftet. Seine Frau war hochschwanger und fünf Kinder weinten und schrien vor Angst. Der Zugriff sei in letzter Minute erfolgt, heißt es. Der Prediger mit serbischem Pass hätte bereits seine Ausreise nach Syrien vorbereitet.
Ein Jahr danach: In der "Altun Alem-Moschee“ in der Wiener Leopoldstadt, einem kleinen Kellerlokal, in dem Mirsad O. jahrelang gepredigt hatte, kommen zum Freitagsgebet noch immer viele Jugendliche, auch Kinder sind darunter, kaum zehn Jahre alt und erwachsene Männer, zusammen. Viele tragen Vollbart, die Oberlippe rasiert, weite Hosen, die über den Knöcheln enden und hemdartige Oberteile, andere ein salafistisches Schwarzhemd.
"Wir reden nicht mit Frauen“ - "Lügenpresse!. - "Tut Ebu Tejma unrecht.“ "Geh weg!“
Ungeheure Aggression liegt in der Luft. Ein Mann in brauner Kutte kommt aus dem Keller. Das soll der Imam der Moschee, Adem D. sein, der jahrelang mit Mirsad O. gemeinsam aufgetreten war, aus derselben Stadt im Sandschak stammend? Der ebenso radikale theologische Ansichten vertrat? Adem D. - der jüngst in einer serbischen Zeitung in die Nähe des Terrors gerückt wurde, den sogar das FBI im Fokus haben soll? Wer immer das ist, er hält Abstand, lächelt grimmig, sagt nichts.
Auf Facebook hat sich in der vergangenen Woche eine Initiative "Free Ebu Tejma“ gegründet. Etwa 400 Unterstützer hatte der Account, bevor er entfernt wurde. Wie man es auch von Neonazis kennt, wird unter Kameraden für den Prozess gesammelt.
Mirsad O. war im Alter von elf Jahren mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern nach Wien gekommen. Flüchtlinge des Bosnienkriegs 1992. Sie stammen - wie Adem D. - aus der Kleinstadt Tutin im Sandschak, einer Region am Rande Serbiens, in der mehrheitlich Muslime leben und in der heute extremistische Islamisten den Ton angeben.
Mirsad O. absolviert Hauptschule und Polytechnikum und lernt Stahlbauschlosser. Im September 2001, als zwei Passagierflugzeuge in die Twin Towers in New York gelenkt werden und die Debatte über Muslime und den Terror im Namen des Islam hitzig wird, steht die Familie vermutlich nicht auf der Seite des Westens. Mirsad O. reist kurz danach nach Jordanien, um Arabisch zu lernen, heiratet eine Bosnierin. 2002 geht er zum Studium nach Mekka. Saudi-arabische Islam-Gelehrte, die den Westen verdammen, zum gewaltsamen Dschihad bis hin zu Selbstmordattentaten ausrufen, sind seine Vorbilder. Mirsad O. befürwortet Terroranschläge im Irak. Er beruft sich dabei auf Suleiman b. Nasir Al-Ulwan, einen wahabitischen Gelehrten, dessen Moschee in Medina in diesen Jahren als "Terrorfabrik“ gilt. Ulwan ist seit 2013 in Saudi-Arabien wegen Terror-Unterstützung in Haft. Der zweite Theologe, den O. bewundert, ist Humud b. Uglan ash-Shuaibi: Durch ihn wurden etliche Afghanistan-Kämpfer angestachelt, wie sich bei einigen Guantanamo-Häftlingen herausstellte.
Ab 2008 ist Mirsad O. wieder in Wien. Er arbeitet ein paar Monate lang auf Baustellen. Doch seine Leidenschaften liegen anderswo.
Radikale Ansichten
2009 wird er Religionslehrer an einer islamischen Privatschule im 20. Wiener Gemeindebezirk. Die Glaubensgemeinschaft hat ihn als Religionslehrer akzeptiert. Bezahlt wird er vom Wiener Stadtschulrat. In diesem Jahr ist Mirsad O. häufig in einer Wiener Moschee mit radikaler Ausrichtung anzutreffen. Dort hat Nedzad B. das Sagen, ein Bosnier, den Mirsad O. schon aus seinen Lehrjahren in Mekka kennt. Nedzad B. gehört der Takfiri-Bewegung an, die auch Muslime als Ungläubige betrachtet. Selbst diesem unerbittlichen Imam sind manche von Mirsad O.s theologischen Ansichten zu radikal.
Wie aus der Anklage hervorgeht, stammt aus dieser Zeit ein Vortrag, in dem Mirsad O. Osama Bin Laden gepriesen und über die richtige Art des Schlachtens gefachsimpelt haben soll. Es ging dabei offenbar nicht nur um Tiere, sondern auch um Menschen. "Genauso wie es eine Pflicht für dich ist, das Messer zu schärfen, wenn du ein Schaf schlachtest, ist es genauso eine Pflicht für dich, das Messer zu schärfen, wenn du jemanden schlachtest“, soll O. gesagt und auf den entsprechenden Hadith verwiesen haben.
Mirsad O. macht sich bald als Vordenker des dschihadistischen Salafismus einen Namen. Er ist nun häufig in der Altun-Alem-Moschee in der Venediger Au anzutreffen, aber auch im Islamischen Zentrum am Donaudamm, das mit Geldern aus Saudi-Arabien finanziert wird. Im Schuljahr 2011/12 wird die islamische Privatschule, in der Mirsad O. als Religionslehrer beschäftigt war, geschlossen. Er gilt fortan als karenziert. Einer geregelten Arbeit geht er nicht mehr nach. Er predigt jetzt mehr als jemals zuvor, unter anderem in einer Moschee im 8. Wiener Gemeindebezirk, in der auch der junge Mahmoud anzutreffen ist. Mahmoud ist eben erst aus der Haft entlassen worden, betreibt jedoch weiter Propaganda für den dschihadistischen Salafismus. O.s Predigten im Internet erscheinen auf dem von Mahmoud gegründeten, bald schon verbotenen Label "Millatu Ibrahim“ und unter "salifimedia“. Mahmoud ist seit Sommer 2014 beim IS in Syrien. Vor einem halben Jahr erschoss er vor laufender Kamera zwei Menschen und stellte die Videos ins Netz. O. und Mahmoud hatten angeblich bis in die jüngste Gegenwart miteinander Kontakt.
Nicht jeder Salafist wird zum Dschihadisten, aber praktisch alle europäischen Dschihadisten sind Salafisten. (Terrorismus-Experte Peter R. Neumann)
O.s Kinder besuchen die Austrian International School in Wien-Floridsdorf. Ein Dutzend sehr konservativer Eltern hat hier ihre Kinder angemeldet und pflegt eine Parallelgesellschaft. Die Schule geriet immer wieder in die Schlagzeilen. Bis vor sechs Jahren wurde dort nach dem Lehrplan der konservativen Al-Azhar-Universität unterrichtet. Im vergangenen Jahr hatte sich ein Musiklehrer mit einem Hilfeschrei an die Öffentlichkeit gewandt, weil die Kinder in seiner Klasse sich weigerten, dem Musikunterricht zu folgen. Musik sei "haram“, sollen sie getobt haben. Und Mirsad O. war es gewesen, der seine Tochter eigenhändig aus der Klasse holte. Denn nach salafistischem Verständnis gilt Musik als "unrein“, nur der Klang der menschlichen Stimme ist dem Ohr erlaubt.
Eine terroristische Gesinnung braucht, wie man aus der Geschichte weiß, ein radikales Milieu, aus dem sich Sympathisanten und Unterstützer rekrutieren können. "Nicht jeder Salafist wird zum Dschihadisten, aber praktisch alle europäischen Dschihadisten sind Salafisten“, schreibt der Terror-Experte Peter Neumann in seinem jüngsten Buch "Die neuen Dschihadisten“.
Aberdutzende Vorträge
Mirsad O. hielt in den vergangenen Jahren Aberdutzende Vorträge und Predigten in Wien, in Graz, in Süddeutschland und in Gornja Maoca, jenem Salafisten-Dorf in Bosnien, in dem vor ein paar Monaten ein IS-beflaggtes Haus weltweites Aufsehen erregte. In Bosnien gibt es mehrere solcher Enklaven, die von Afghanistan-Veteranen bewohnt werden. In Richtung Bosnien flossen nach dem Krieg Unsummen von Geldern aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten zur Verbreitung des Wahabitismus.
Mirsad O. predigte teils auf Deutsch, teils auf Bosnisch. Er war in Internet-Foren präsent, in denen sich muslimische Jugendliche über theologische Fragen austauschten. Auf Paltalk konnte man an "Ebu Tejmas“ Islamunterricht teilnehmen. In einem Forum fragte eine junge Wienerin, ob auch Frauen in den Dschihad dürfen und ob sie die Erlaubnis der Eltern dafür brauchen? Eine andere postete daraufhin, "Ebu Tejma“ habe gesagt, der Dschihad sei individuelle Pflicht jedes Muslims. So dürfe man auch ohne Erlaubnis der Eltern, denn die seien ebenfalls verpflichtet.
In solchen Foren wurden Videos ausgetauscht, in denen Muslime als unschuldige Opfer von ausländischen Mächten dargestellt werden, man sieht Muslime, die in Abu Ghuraib gedemütigt wurden, Muslime, die im Bosnienkrieg niedergemetzelt worden waren, auch tschetschenische Kämpfer, die russischen Soldaten die Kehlen durchschneiden. In der Isolation des Internets, in der Exklusivität des salafistischen Anders-Seins, in dem alles, was Kritiker sagen, als Versuchung des Teufels gebrandmarkt wird, wirkt das wie Gift. Entmenschlichend.
Laut Anklage habe Mirsad O. in einem Vortrag für den ISIS-Anführer Al Omar Baghdad, der 2010 ums Leben kam, gebetet. In einem bosnischen Video aus 2012 spricht er über die Scharia, während die berüchtigte IS-Fahne erscheint und Maschinengewehr-Geknatter zu hören ist. In einem anderen Vortrag geht es um die Rückgewinnung von Gebieten in Europa und Asien, die einst den Muslimen gehörten. In Ehedingen soll Mirsad O. die - bei Salafisten durchaus übliche Ansicht - vertreten haben, dass Väter anstelle ihrer Töchter das Eheversprechen abgeben können, Männer minderjährige Mädchen zur Frau nehmen sollten und ein Mann seine Frau schlagen, ihr jedoch nicht die Knochen brechen dürfe. Ein Mann dürfe seine Frau auch im Autofahren unterweisen, denn sie könnte es für etwaige Märtyrer-Aktionen brauchen.
Im Rahmen der Lies-Aktion verteilte Mirsad O. im März 2011 am Grazer Hauptbahnhof Koran-Exemplare. Im Oktober 2013 wurde er einer breiteren Öffentlichkeit durch ein Predigertreffen in Wien bekannt, zu dem sogenannte Hassprediger aus Deutschland angereist kamen. Offiziell handelte es sich um eine Benefizveranstaltung für Syrien. Ein Wiener Junge, der später in Syrien mit abgeschnittenen Köpfen posierte, ist auf den Fotos von damals zu sehen. Bei dieser Veranstaltung wurden Dschihad-Flaggen versteigert. Der Junge ist in Syrien ums Leben gekommen.
Mirsad O. reiste viel. Er hatte Kontakte zu Moscheevereinen in Graz und Linz. Er war hin und wieder in Gornja Maoca. Einmal hatte er den Schweizer Kick-Boxchampion Valed Gashi zum Trainieren nach Wien geholt. Es gibt kaum einen verirrten Jugendlichen, der nach Syrien in den Dschihad gezogen ist und der nicht vorher irgendetwas mit dieser Sportart zu tun hatte. Mirsad O. trainierte selbst in einem Wiener Kampfsportclub, ging mit den Jugendlichen joggen und wandern. Sie sahen zu ihm auf. Im Sommer 2015 stellte sich heraus, dass Gashi in der Schweiz ein Terror-Camp betrieben hatte, in dem man nach islamischen Regeln trainieren konnte. Gashi ist heute mit drei seiner Schüler in Syrien.
Im Juni 2014 hatte sich Mirsad O. mit seinem Landsmann Adem D. in der Altun-Alem-Moschee über al-Nusra und IS zerstritten. In der Bereitschaft zum Terror bestehen zwischen diesen Gruppen allerdings kaum Unterschiede. IS ist stärker von apokalyptischen Tendenzen geprägt und vom Bruderkrieg. "Falsche“ Muslime sind in ihren Augen noch gefährlicher als Ungläubige.
Ende des Sommers 2014 wich Mirsad O. in eine Moschee in der Brigittenau aus, ins "Austria Bangladesh CulturalCenter ‚Baitul Mamur‘“. Laut Website ist der Botschafter Bangladeshs in Österreich, Abu Zafar, der auch im Imame-Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft sitzt, für diesen Verein verantwortlich. profil wurde in der "Baitul Mamur“ von Mohasin Mollah und Mohamad Muminul Islam, beide Herrn in traditionell salafistischem Outfit, überaus freundlich empfangen. Ebu Tejma? Sie schütteln bedächtig das Haupt. Salafismus? Noch nie gehört.
Kurz vor Redaktionsschluss meldete sich Frau O. bei profil. Ihr Mann sei bereit, mit uns zu reden. Gern. Wenn es der Untersuchungsrichter erlaubt?