Teuerung wirkt sich auf Scheidungen aus
Österreichische Paare heirateten 2022 mehr, ließen sich aber weniger scheiden. Ein Gespräch mit Familiensoziologin Ulrike Zartler über mögliche Ursachen, die Romantisierung von Hochzeiten und das Dating-Verhalten der Österreicher:innen.
Im Jahr 2022 stieg die Anzahl der Hochzeiten, es gab aber weniger Scheidungen. Warum lassen sich immer weniger Menschen scheiden?
Ulrike Zartler
Der Rückgang von Scheidung ist nicht so ausgeprägt wie der Aufwärtstrend bei Eheschließungen. Die Scheidungsrate ist im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent gesunken, während um 15,5 Prozent mehr Paare heirateten. Das ist Teil eines Trends, den wir schon länger sehen. Die Scheidungszahlen sinken seit 2008.
Es gibt zwei Hauptursachen für die sinkenden Scheidungszahlen. Das eine sind die diversen Krisen. Aufgrund der derzeitigen ökonomischen Situation stellt sich die Situation für viele Paare so dar, dass sie sich die Scheidung schlichtweg nicht leisten können. Scheidung bedeutet immer, dass mit den finanziellen Mitteln, die davor zusammengelegt werden konnten, plötzlich wesentlich mehr Ausgaben zu bestreiten sind. Zum Beispiel müssen zwei Wohnungen bezahlt werden, möglicherweise müssen Alimente für die Kinder geleistet werden. Bei vielen Paaren ist es so, dass es sich mit zwei Einkommen gemeinsam schon nicht gut ausgeht, dann ist eine Scheidung schlichtweg ökonomisch schwierig.
Die zweite Ursache?
Ulrike Zartler
Die Bevölkerungszusammensetzung verändert sich. Und das hat vor allem mit Migrationsbewegungen zu tun. Die Scheidungsraten in Wien waren viele Jahre lang wesentlich höher als in den anderen Bundesländern. Das hat sich geändert, und Wien nähert sich mit aktuell 37,3 Prozent Gesamtscheidungsrate dem österreichweiten Durchschnitt von knapp 34,5 Prozent an. Wien hat österreichweit den höchsten Bevölkerungsanteil an Personen mit Migrationshintergrund: Während in Österreich rund ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, gilt dies in Wien für knapp die Hälfte der Bevölkerung. Paare mit Migrationshintergrund heiraten öfter, früher, bekommen früher und mehr Kinder und lassen sich auch seltener scheiden.
Kann die sinkende Anzahl an Scheidungen auch bedeuten, dass die Beziehungen der Österreicher:innen über die Jahre stärker geworden sind?
Ulrike Zartler
Nein, das wäre eine Fehlinterpretation. Es wird zwar immer wieder so dargestellt. Aber es ist nicht anzunehmen, dass unzufriedene Paare während der Corona-Pandemie gemerkt haben, wie toll sie sich verstehen, wie gut die Beziehung ist - und sich deshalb nicht scheiden ließen. Das halte ich für eine überzogene Erklärung. Vielmehr steigt der Anteil an Paaren, die sich unter anderen Bedingungen schon scheiden lassen würden, wo der Scheidung aber die ökonomischen Rahmenbedingungen entgegenstehen.
Die Anzahl der Hochzeiten ist im Vergleich zu den Scheidungen gestiegen. Woran liegt das?
Ulrike Zartler
Es gibt noch Nachholeffekte aus der Pandemie. Wir hatten drei Jahre , in denen die Eheschließungen nicht in derselben Form und nicht in demselben Ausmaß stattfinden konnten wie davor. Es gibt nach wie vor aufgeschobene Eheschließungen von Paaren, die eigentlich davor schon heiraten hätten wollen und die Hochzeit dann aufgrund von Lockdowns verschieben mussten.
Der Rückgang während der Pandemie liegt aber auch klar daran, dass es damals oft nicht möglich war, dieses Ereignis auch mit anderen Personen zu teilen. Das weist aus soziologischer Sicht darauf hin, dass Eheschließung nie eine Sache nur zwischen den beiden Partner:innen ist, sondern dass hier immer auch weitere Personen mitgedacht werden. Die Familie, aber auch Freunde, Freundinnen.
Kann die steigende Anzahl an Hochzeiten auch daran liegen, dass Heirat immer mehr idealisiert und romantisiert wird?
Ulrike Zartler
Bis zu einem gewissen Grad stimmt das. Die Eheschließung wird heute stark als Event gesehen: Wedding Planner, Hochzeitsausstattungsgeschäfte und Konditorinnen, die sich auf Hochzeitsorten spezialisieren, Caterer und Eventlocations haben sich etabliert. Kann die Hochzeit dann nicht mit diesem Eventcharakter gefeiert werden, wird eben lieber verschoben oder in manchen Fällen möglicherweise auch komplett ausgesetzt.
Man möchte vor einer großen Community zeigen, wie toll man als Paar ist und ein schönes Fest gemeinsam haben. Es ist nachvollziehbar, dass man das mit vielen anderen feiern möchte. Der Event-Charakter hat in den letzten Jahrzehnten und Jahren massiv zugenommen - sicher auch durch Social Media. Dadurch entstehen neue Vorbilder.
Die österreichische Bevölkerung heiratet immer später. Woran liegt das?
Ulrike Zartler
Das hat vor allem mit Ausbildungen zu tun. Frauen wollen zunehmend zuerst Bildungsabschlüsse machen, bevor sie heiraten. Es gibt aber auch nach wie vor eine geschlechtsspezifische Differenz im Heiratsalter: Frauen sind bei der Hochzeit jünger, Männer eine Spur älter. Das mittlere Erstheiratsalter liegt derzeit für Männer bei 33,3 Jahren, für Frauen bei 31,3 Jahren.
„Der Event-Charakter hat in den letzten Jahrzehnten und Jahren massiv zugenommen sicher auch durch Social Media. Dadurch entstehen neue Vorbilder.“
Ulrike Zartler, Soziologin an der Universität Wien
Lange Zeit galt: Bei Beziehungen bleiben Personen in der gleichen Bildungsschicht unter sich. Gab es hier Veränderungen in Österreich in den letzten Jahren?
Ulrike Zartler
Wir sehen zunehmend auch Partnerbeziehungen, die bildungsmäßig nicht homogen sind, und in der auch Frauen eine höhere Bildung haben als Männer. Frauen haben ja sehr aufgeholt, was Bildungsabschlüsse betrifft.
Die Idealvorstellung bei der Partnerwahl ist aber nach wie vor sehr konservativ. Der Mann sollte etwas älter, etwas größer, etwas besser gebildet sein und wenn es geht auch ökonomisch etwas besser gestellt als die Frau sein.
Verändert sich das Dating-Verhalten der Österreicher:innen?
Ulrike Zartler
Österreich ist keine Ausnahme. Auch hier finden immer mehr Menschen ihren Partner oder ihre Partnerin über digitale Wege. Der anrüchige Beigeschmack des Online-Datings ist abgeflaut, mittlerweile ist das normal und akzeptiert - in allen Altersgruppen, nicht nur bei jungen Menschen. Das ist sicher auch durch die Pandemie noch einmal verstärkt worden: Es gab ja gar keine anderen Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen.