Thorsten und Stephan Auer-Stüger: „Die biologische Mutter sieht uns nicht als Konkurrenz“
Alexander* ist heute zwölf, seine Schwester Sarah elf. Sie wachsen bei Stephan Auer-Stüger (44) und Ehemann Thorsten (46) auf. Als das schwule Pärchen vor 15 Jahren zusammenkam, war die Vorstellung eines gemeinsamen Kindes weit weg. Ein Arbeitskollege von Stephan, er ist SPÖ-Gemeinderat und Städtebundmitarbeiter, änderte alles. „Er kam als erster schwule Pflegevater mit seinen Zwillingen ins Büro.“ Aus Neugier wurde Interesse - daraus ein Termin beim Jugendamt. „Wir sahen es als Erstinformation“, erzählen die beiden. Die Betreuerin nicht. „Schön, dass sie sich entscheiden haben, Pflegeeltern zu werden“, begrüßte sie die beiden. „Sie hat uns die Entscheidung abgenommen. Am Ende des Gesprächs waren wir im Boot.“
Im Herbst startetet das Paar den wöchentlichen Vorbereitungskurs, mit mehr gleichgeschlechtlichen als heterosexuellen Paaren. Adoptieren war Homosexuellen damals verboten. Besonders intensiv waren die Rollenspiele. Es wurden Situationen nachgestellt, die auf Pflegeeltern zukommen können. „Ein biologischer Vater, der sich sonst nie blicken lässt, taucht beim Geburtstag des Sohnes auf und schenkt ihm eine riesige Maschinenpistole. Ich bekam einen Wutanfall. Und reagierte völlig falsch“, erinnert sich Stephan. Thorsten erinnert sich an Tränen, die flossen, als Porträtfotos von echten Pflegekindern gezeigt wurden. Im alten und im neuen Leben. „Zuerst leere Blicke, dann Funkeln in den Augen.“ Mit den meisten im Kurs blieben sie verbunden. „Wenn einer ein SMS an alle verschickte mit den Worten: ,es ist soweit’, freuten wir uns wie bei einer Geburt eines guten Freundes.“
Wir dachten, wir können ihm das Packerl, das er mitbrachte, mit Liebe und Fürsorge komplett abnehmen. Auch wenn das nicht gelingt, musst du dir immer vor Augen führen, wie das Leben des Kindes ohne deinen Einsatz verlaufen wäre.
Am schwersten tat sich das Paar mit den sogenannten Ausschlusskriterien. „Wir schlossen Babys auf Entzug, behinderte Kinder, Krankheiten wie Hepatitis C aus.“ Die Herkunft war ihnen egal. Nur wollten sie Kinder mit Dokumenten. „Als gleichgeschlechtliches Pflegepaar wollten wir nicht auf Botschaften schwulenfeindlicher Staaten wie Russland, Türkei oder Serbien um einen Reisepass betteln.“
Dann, Mitte Juni 2011, erreichte sie der Anruf. Ein Baby einer Österreicherin und eines Serben mit Roma-Hintergrund. Die Mutter war Teenagerin und mit der Mutterschaft überfordert, der Vater anerkannte den Sohn nicht. Das Kind war in den ersten Wochen unterversorgt, wurde dem Paar von der MA 11 abgenommen und an eine Krisenpflegemutter übergeben. „Er hatte ganz dicke Backen, weil sie ihn mit so vielen Flascherln aufgepeppelt hatte“, erinnerst sich Stephan. Alexander war zehn Wochen alt. Daheim im penibel ausstaffierten Kinderzimmer schlief das Kind fast durchgehend. „Er war völlig fertig“, sagt Thorsten, „dazwischen seltsam ruhig“. Die Apathie der ersten Tage weicht nur langsam aus Kinderseelen.
Manche Narben verheilen womöglich nie. „Wir dachten, wir können ihm das Packerl, das er mitbrachte, mit Liebe und Fürsorge komplett abnehmen“, sagt Stephan. „Auch wenn das nicht gelingt, musst du dir immer vor Augen führen, wie das Leben des Kindes ohne deinen Einsatz verlaufen wäre.“
Sarahs Schwester nahm keinen Umweg zu den beiden. Sie holten sie ein Jahr nachdem Alexander in ihr Leben kam, direkt nach der Geburt aus dem Spital. Die leibliche Mutter Sabine besucht ihre Kinder monatlich. Die Treffen finden mittlerweile bei den Auer-Stügers statt, eine Intimität, die nur wenige Pflegeeltern zulassen. „Sabine sieht uns nicht als Konkurrenz, wenn sie bei uns ist. Weil wir beide Männer sind, klappt es vielleicht sogar besser“, sagen die beiden.
* Um die Identität der Kinder und der biologischen Mutter zu schützen, sind die Vornamen verändert.
Fotos: Sophie Salfinger