Tödliche Hundeattacke auf Soldaten: Offene Fragen nach Untersuchungen
Es ist der 13. November 2019, ein Mittwoch, als der Soldat Dominik R., von seinen Kameraden „Toni“ genannt, zum letzten Mal durch das Einfahrtstor der Flugfeldkaserne Wiener Neustadt fährt. Hinten im Auto sitzt Jack, sein treuer Diensthund, ein belgischer Schäferhund, sicher verwahrt. Über dem Militärgelände hängt ein grauer Himmel, die Luft ist feucht, die Kaserne nahezu menschenleer. Die meisten Soldaten des Jagdkommandos befinden sich auf einer Übung in der Steiermark. Nur zwei Wachsoldaten und ein Offizier halten an diesem Tag die Stellung. Um 15.15 Uhr wird R. von einem Wachsoldaten gesehen, gegen 16.00 Uhr ein zweites Mal in der Nähe des Hauptgebäudes. Danach muss sich Dominik R. auf den Weg zum Hundezwinger gemacht haben, der sich am äußersten Rand der Kaserne befindet. Er kam nicht mehr zurück.
Irgendwann „ab 16 Uhr“, so nehmen es die Ermittlungsbeamten an, wird Dominik R., 31 Jahre alt, vor dem Hundezwinger in der Flugfeldkaserne getötet. Zu Tode gebissen von einem oder zwei belgischen Schäferhunden, die Hati und Ragna genannt werden. Noch Tage danach lassen Kampfspuren auf dem Grünstreifen vor dem Zwinger das Ausmaß der Tragödie erahnen: Auf einer Länge von etwa 50 Metern kleine Stoffreste, dunkle Flecken, getrocknete Blutlachen.
Zurück bleiben fassungslose Kameraden, manche von Vorwürfen geplagt, aber überzeugt, sie hätten Tonis Tod nicht verhindern können. Auf der anderen Seite eine gebrochene Familie, die nicht verstehen kann, dass Dominik, ein Hundeliebhaber und Militärhundeführer, ein loyaler Kamerad und stolzer Soldat, ausgerechnet von Hunden getötet wurde – im Dienst, am Kasernenareal, unbemerkt.
Viele offene Fragen
Wie konnte keinem etwas aufgefallen sein? Kein Bellen, kein einziger Schrei? Dominiks Wagen, der vor dem weitläufigen Hundeareal parkte? Sein Hund Jack, der allein im Auto bis spät in die Nacht ausharrte. Wie konnte Dominik stundenlang unentdeckt bleiben?
Fragen, die auch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beschäftigen. Seit Ende des Vorjahres ermittelt die Anklagebehörde gegen einen Hundeführer und gegen noch unbekannte Angehörige des Bundesheeres. Es besteht der Verdacht auf grob fahrlässige Tötung sowie Gefährdung der körperlichen Sicherheit. Laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft geht es dabei unter anderem um „Sorgfaltsverletzungen im Zusammenhang mit der Verwahrung und Sicherung der Hunde“.
Hunde werden beim Militär zu einer Waffe ausgebildet. So werden sie auch rechtlich eingestuft. Nach dem Militärbefugnisgesetz kommen Diensthunde der Wirkung einer Waffe bei einem scharfen Einsatz gleich. Doch nach der Theorie der Militärhundeausbildung ist Dominiks brutaler Tod undenkbar.
Beim Jagdkommando werden die Tiere zu sogenannten Schutzhunden trainiert. Sie stellen fremde Personen und Eindringlinge, beißen sich in Armen oder Beinen fest und greifen so lange an, bis sich die Person nicht mehr wehrt. Liegt sie ruhig auf dem Boden, lässt der Hund ab. Grundsätzlich reagieren die Hunde ausschließlich auf Kommando. Sie würden nur dann selbst aktiv, wenn der Hundeführer angegriffen wird. Außerdem hätten Hunde eine „Tötungshemmung“, sagen die Experten beim Heer. Doch am 13. November wurden alle Regeln und Gewissheiten außer Kraft gesetzt.
Dominik R. wurde erst tags darauf, kurz vor zwei Uhr nachts, von seinem Kameraden, Hundeführer K., gefunden. Der diensthabende Offizier L. hatte K. um Hilfe gerufen, weil ihm bei seinem nächtlichen Kontrollgang durch die Kaserne plötzlich Hati und Ragna entgegenliefen. Hati und Ragna waren nicht Dominiks Diensthunde. Sie gehörten Hundeführer V., der für die Ausbildung der Hunde beim Jagdkommando zuständig ist. Auch V. war für die Übung in der Steiermark eingeteilt und bat R., die Hunde während seiner Abwesenheit zu betreuen, sie zu füttern und mit ihnen auszulaufen.
"Hoffe es passt alles mit den wauzis?"
V. hatte zuletzt am 12. November mit R. Kontakt. Am 13. November um kurz vor 18.00 Uhr versuchte er ihn telefonisch zu erreichen. Er wollte nachfragen, ob alles in Ordnung sei. Doch R. hob nicht ab. „Er rief auch nicht zurück. Das war ungewöhnlich“, sagte V. später in einer polizeilichen Einvernahme. R. sei „in dieser Sache sehr verlässlich“ gewesen. Um 22.40 Uhr schickte V. eine WhatsApp-Nachricht an R.: „Hab net immer Empfang und kann nur zwischendurch anrufen. Hoffe es passt alles mit den wauzis? (…)“. R. konnte nicht mehr antworten.
Als Hundeführer K. in der Nacht auf den 14. November den Zwinger erreichte, dachte er zuerst, es sei eine Ausbildungspuppe, die dort am Boden lag. Erst als er näherkam, erkannte er seinen Kameraden R. „Ich habe gesehen, dass sein Körper richtig zerfetzt und teilweise auch abgenagt war.“ Als Rettung und Polizei in der Kaserne eintrafen, stornierten sie den Notarzt. Ein Beamter des Stadtkommandos Wiener Neustadt hielt in einer ersten Sachverhaltsdarstellung vom 14. November fest: „Der Mann war offensichtlich von Hunden angefallen und zerfleischt worden.“ Bissspuren an Hals, Oberarmen, Oberschenkeln, im Hüftbereich. „Weiters war ersichtlich, dass Gewebe- und Muskelteile fehlten.“ Sein Körper sei unbekleidet gewesen, er hatte nur noch die Schuhe und seine Hose an, die bis zu den Knöcheln hinuntergezogen war. „Der Leichnam lag in der nassen Wiese, es hatte eine Außentemperatur von etwa 3 Grad Celsius. Es herrschte Dunkelheit.“
Der diensthabende Offizier L. drehte am Abend des 13. November insgesamt drei Kontrollrunden durch die Kaserne. Doch er habe nichts bemerkt. Die Kontrolle der Freilaufzone der Hunde und der Zwinger sei schlicht nicht vorgesehen, erklärte L. später. Und das, obwohl grundsätzlich jeder Zugang zum Hundeareal hat: Der Auslauf ist nur von einem provisorischen Baustellenzaun umgeben, auch die Zwinger wurden bisher nicht versperrt. „Das Areal wird aber nur von Hundeführern betreten“, erklärte L. Bei seinen Rundgängen habe er auf das Hundeareal nicht wirklich geachtet, deshalb seien ihm auch nicht die offenen Zaunelemente aufgefallen. Außerdem sei das Areal nicht beleuchtet, bei Nacht sehe man nichts.
Dominik kannte den Schäferhund Hati, er hatte ihn gemeinsam mit V. seit 2017 ausgebildet. Ragna betreute R. zum ersten Mal, aber auch mit ihm war er vertraut. Ragna war V.s Privathund. Auch er war als Diensthund vorgesehen, habe aber „Bisshemmungen“ gezeigt. V. wollte ihn dem Züchter zurückgeben. Ragna war an diesem 13. November im Gästehundezwinger untergebracht. Die Unterbringung eines Privathundes in der Kaserne ist mit Antrag erlaubt. V. hatte aber keinen solchen gestellt, weshalb ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. „An dem schrecklichen Vorfall hätte das aber nichts geändert“, sagt Bundesheersprecher Michael Bauer. Das sei ein Formalakt. „Der Antrag wäre genehmigt worden.“
Größte Rottweilerzucht der Welt
Seit 1963 werden beim Österreichischen Bundesheer Diensthunde gehalten. Das Militärhundezentrum des Heeres im burgenländischen Kaisersteinbruch gilt als die größte Rottweilerzucht der Welt. Seit den 1960er-Jahren wurden dort mehr als 1800 Rottweiler zur Welt gebracht. Die belgischen Schäferhunde werden von anderen Züchtungen über eine Ankaufskommission für das Heer angeschafft. So auch Hati und Ragna. Dabei durchlaufen die Hunde ein aufwendiges Auswahlverfahren, werden auf Gesundheit, Leistung und Wesen geprüft. Die Ausbildung zum Diensthund dauert mehrere Jahre.
„Aggressive Hunde haben bei uns keinen Platz“, sagt Oberst Otto Koppitsch, der das Militärhundezentrum in Kaisersteinbruch leitet: „Sie wären in komplexen Einsätzen nicht führbar.“ Die Diensthunde bräuchten „einen ausgeprägten Beutetrieb, ein stabiles Wesen und ein ausgewogenes Sozialverhalten.“ Koppitsch beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Militärhundewesen. Doch für den Tod seines Kameraden R. findet auch er keine Erklärung. Gerade die Hunde beim Jagdkommando müssten besonders sozial und teamfähig sein, sagt Koppitsch. „Doch auch bei der Arbeit mit dem besten Freund des Menschen bleibt ein Restrisiko.“ Irgendwie, glauben R.s Kameraden vom Jagdkommando, muss Toni vom Freund zum Feind geworden sein.
Was genau an diesem Tag vor den Zwingern passiert ist, liegt im Dunkeln. Es gibt keine Zeugen und keine Bildaufnahmen, weil das Hundeareal nicht videoüberwacht wird. Es gibt nur vage Erklärungsversuche und Mutmaßungen.
Vom Bundesheer wurde eine interne Untersuchungskommission einberufen, der Endbericht am 11. Dezember der Staatsanwaltschaft übermittelt. Die Kommission nimmt an, dass es „ab 16.00 Uhr“ zu einer „schweren Konfliktsituation zwischen einem Hundeführer und einem Hund (Hati, Anm.), bei der der Hundeführer getötet wurde“, gekommen ist. Man gehe von einem „schweren und außergewöhnlichen Ereignis“ aus. „Was dieses Ereignis gewesen sein könnte, lässt sich jedoch aufgrund fehlender Zeugen (…) nicht näher definieren.“
Der vorläufige Schluss der Kommission: kein Fehlverhalten aufseiten des Heeres. Der Zwinger entspreche allen gesetzlichen und militärischen Vorschriften. Auch Kritik an der Umzäunung und Sicherung des Hundeareals oder an fehlenden „Alarmierungseinrichtungen“ entbehre jeglicher Grundlage. All das sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Für die Zukunft schlägt die Kommission trotzdem ein paar Empfehlungen vor: einen Alarmplan für Hundeführer außerhalb der normalen Dienstzeiten etwa oder die Möglichkeit, die Zwingeranlage zu versperren.
Keine Warnsignale, die man im Vorfeld erkennen hätte können – oder müssen? Hund Hati, das wurde in den Wochen nach dem tödlichen Vorfall bekannt, zeigte sich offenbar davor schon auffällig.
Frühere Vorfälle mit demselben Hund
„Dieser Hund hat mich im Februar dieses Jahres beim Auslauf schon einmal ohne Grund in den Oberarm und in beide Beine gezwickt“, sagte Hundeführer K. in einer polizeilichen Einvernahme aus. Im August 2019 hatte K. in einer WhatsApp-Nachricht an R. von einem weiteren Vorfall berichtet: „Servus Toni, der auslauf mit Hati war heute sehr kurz, weil er wieder Tendenzen gehabt hat mich zu beißen. Ich wollte es nicht herausforden, weil ich weit und breit alleine war und ich ihn erschlagen müsste, wenn es ernst wird oder ich bin verletzt (…)“
Hatis Besitzer erfuhr erst nach R.s Tod von dieser Nachricht, vom Vorfall im Februar wusste er. Das habe ihn aber nicht beunruhigt, weil das grundsätzlich „üblich“ sei. Auch die Kommission kam zu dem Schluss, dass „derartige Vorfälle nicht als Indiz für eine erhöhte Gefährlichkeit gewertet werden“ können. Es bestehe nach den Vorschriften des Bundesheeres auch keine Meldepflicht – nur, wenn es tatsächlich zu Bissverletzungen kommt.
„Die Kommission ist jetzt schon mit der Aufarbeitung fertig, obwohl die wichtigsten Ergebnisse, wie etwa der DNA-Abgleich oder das Obduktionsgutachten, noch nicht auf dem Tisch liegen“, kritisiert hingegen Rechtsanwalt Erich Gemeiner, der die Opferfamilie vertritt. Die Rolle des zweiten Hundes Ragna sei völlig ausgeblendet worden, Fehlverhalten ausschließlich beim Opfer selbst festgemacht worden, dabei sei bis dato nicht einmal klar, ob auch Ragna zugebissen hat.
„Was die Hunde anrichten können, wenn sie einmal zubeißen, sieht man an unserem Opfer,“ sagt Gemeiner. Für ihn ist die Argumentation des Heeres unverständlich: „Aus meiner Sicht hätten alle Beteiligten über die bisherigen Vorfälle informiert werden müssen.“ Nur mit einem umfassenden Vorwissen könne man gegebenenfalls notwendige Vorkehrungen treffen – dass etwa ein Hund, wenn der Besitzer verhindert ist, nur von zwei Hundeführern gemeinsam betreut werden darf. „Dominik würde dann wahrscheinlich noch leben.“