Ankunft von Sebastian Kurz

Trainspotting: Unterwegs mit Sebastian Kurz

profil-Volontär Janis begleitete Sebastian Kurz einen Tag lang durch Oberösterreich.

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Die Beliebtheit von Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz ist für mich als Deutschen schier unglaublich und nur mit Wenigem aus meinem Herkunftsland zu vergleichen. Am ehesten noch mit dem kometenhaften Aufstieg des SPD-Politikers und damaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Anfang 2017 wurde das damalige Mitglied des Europäischen Parlaments mit 100 Prozent der gültigen Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Auch in der Bevölkerung steigerten sich seine Beliebtheitswerte so rasant, dass die Presse begann, das Phänomen mit den Worten „Schulz-Effekt“ oder auch „Schulz-Zug“ zu beschreiben. Der Schulz-Zug stürzte zwar mit verlorenen Wahlen und Koalitionspoker krachend vom Gleis, doch meine Faszination für Politiker, die es schaffen, das vermeintlich öde Feld der Politik energetisch neu aufzuladen, blieb bestehen.

Warten am Gleis

Nun bin ich also in Oberösterreich und werde Sebastian Kurz einen Tag lang durch Linz und Umgebung begleiten. Das trifft sich gut, denn es interessiert mich brennend, wie es um das österreichische Pendant, sozusagen den „Kurzzug“, bestellt ist und die spannendsten Fragen, die sich bei dieser Art von Zug für Wartende am Gleis stellt: Wird er vorne, mittig oder hinten halten und mit wem wird gekoppelt? Außerdem habe ich es bisher noch nicht aus Wien heraus geschafft und Österreich hat ja immerhin mehr zu bieten als die Bezirke 1 bis 23.

Ab 13 Uhr wird Sebastian Kurz an diesem Tag an vier verschiedenen Orten die Diskussion zu Themen wie Digitalisierung, Pflege und Lehre mit Betroffenen suchen, sowie abschließend in einem Wirtshaus für Gespräche bereitstehen. Doch als ich am Technologiedock zur Diskussion mit Jungunternehmern und Start-Ups ankommen, ist kein Sebastian Kurz in Sicht, wohl aber etliche Journalisten und Kamerateams. Es vergehen einige Minuten, bis ein Van vorfährt und ich mache mich bereit - doch Fehlalarm: Ein weiteres Kamerateam steigt aus.

Ich erfahre von meinen profil Kollegen, dass es sich hierbei um das Kurz eigene Social-Media-Team handelt. Eva Linsinger leitet das Ressort Innenpolitik und begleitet Sebastian Kurz auf seiner Tour. Walter Wobrazek protokolliert das Vorhaben fotografisch. Er war seit 1974 beim profil und hat die Fotos seines ersten Wahlkampfs noch auf schwarz-weiß Filmrollen abgelichtet. Jetzt ist er in Pension - rückt aber manchmal zu Terminen aus.

Ankunft von Sebastian Kurz

Einfahrt Sebastian Kurz

Das Social-Media-Team positioniert sich, hat alle Handys aufnahmebereit zwischen Gesicht und Szene gehoben und tatsächlich fährt eine schwarze Limousine vor. Der Alt-Bundeskanzler steigt aus, läuft zügig auf die Wartenden zu. Er scheint jedem die Hand schütteln zu wollen und arbeitet sich entlang von Fragen („Jungunternehmer?“, „Auch ein Start-Up?“, „Aha, schön habt ihr’s hier!“) durch den Raum. Es wird diskutiert - und es gibt einen Katalog mit Vorschlägen und Fragen, den die Teilnehmer Kurz mitgeben.

Viel Zeit, um zum nächsten Termin zu kommen, gibt es nicht. Wir kommen am Seniorenheim an und ich bin verblüfft: Sowohl Van als auch Limousine stehen bereits davor. Wie konnte das Team schneller sein als wir drei rasenden Reporter?

Als wir die Einrichtung betreten, werden erste Hände geschüttelt. Es riecht nach Früchte-Tee und Desinfektionsmittel. Wieder sind mehr Medienvertreter als tatsächliches Pflegepersonal anwesend, sie sind an den Berufs-Sandalen leicht zu erkennen. Beim Blick nach unten fällt mir auf, was ich zu Beginn des Tages noch für einen Zufall hielt: Die Schuhe von Sebastian Kurz sind so lose geschnürt, dass ich als pedantischer Nach-Schnürer permanent Angst hätte, gleich heraus zu rutschen. Doch der Rest - Hemdkragen, Sakko, Haare, Enkel-Lächeln - sitzt wie immer perfekt. Manche der Bewohner sind schwer oder gar nicht in der Lage zu antworten. Die Fotografen umzingeln Kurz und die Senioren.

Sebastian Kurz im Seniorenheim

Wir brechen zeitig zum anstehenden Treffen mit Lehrlingen auf, damit Walter Wobrazek diesmal Bilder von der Ankunft des Ehrengastes machen kann. Wobrazek ist ohnehin gerne etwas früher vor Ort, um sich mit der Szene vertraut zu machen und abschätzen zu können, von wo aus gute Bilder entstehen könnten. Das Verhalten mancher seiner Kollegen während des vorherigen Termins - mit hoher Schlagzahl unmittelbar vor den Gesichtern der Akteure Fotos zu machen - kann er nicht nachvollziehen. Er hat gerne, wie noch bei der Analog-Photographie, etwas Konkretes vor Augen, das er gerne ablichten möchte.

Als wir bereit stehen und die Limousine vorfährt, wiederholt sich die Szene vom Beginn des Tages: Kurz steigt aus, rascher Schritt. Wieder arbeitet er sich durch den Innenhof, keine Hand wird ungeschüttelt zurückgelassen. Die Lehrlinge sind sowohl etwas eingeschüchtert, wenn sie an der Reihe sind, als auch imponiert von dieser Nähe. Kurz betont anschließend, wie wichtig und international anerkannt die Lehre sei. Das kommt gut an.

Endstation Wirtshaus

Viel Zeit zur Diskussion bleibt nicht, denn der nächste Termin wartet und, bevor der Altkanzler gehen darf, wollen noch Zahlreiche eine Erinnerung mit dem begehrten Foto-Objekt. Walter Wobrazek schätzt, dass bei einem einstündigen Termin mindestens fünfzehn Minuten Selfie-Zeit eingeplant werden müssen. Der letzte Termin wird diese Schätzung bei weitem sprengen. Fahrzeuge stehen um das Wirtshaus herum auf zu Parkflächen umfunktionierten Wiesen; die freiwillige Feuerwehr regelt die Platzzuweisung und ich muss an meinen letzten Festivalbesuch denken. Anwohner der Ortschaft haben sich vor oder in der Lokalität versammelt und warten auf die Ankunft des Kurzzugs. Der kommt pünktlich und unter Applaus der Wartenden an. Sebastian Kurz nimmt sich hier auf der Bühne Zeit, erzählt Persönliches von seiner Freundin, lobt Oberösterreich für das wirtschaftliche Verständnis und steht (natürlich!) abschließend einer beachtliche Anzahl der Besucher zum obligatorischen Selfie zur Verfügung.

Sebastian Kurz im Gasthaus

Als ich mich auf den Weg zurück nach Wien mache und versuche ein Resümee für diesen Tag zu finden wird mir bewusst - der Kurzzug war hier nur auf der Durchfahrt.

Der ausführliche Bericht „Beginn einer Dienstfahrt“ von Eva Linsinger mit Fotografien von Walter Wobrazek ist im profil Nr.26/2019 erschienen.