Traiskirchen: Umstrittener Flüchtlingslager-Betreiber ORS
Das Schild der "ors service gmbh“ am Tor zum Flüchtlingslager Traiskirchen wirkt seltsam eingeklemmt zwischen den protzigeren Tafeln des Innenministeriums. Das passt zur Rolle, die der Betreiber der Erstaufnahmestelle Ost hier spielen soll: der Rolle eines Dienstleisters, den man mit Steuergeldern dafür bezahlt, den Betrieb ohne jedes Aufsehen am Laufen zu halten.
Auf der Website des Unternehmens wird der Österreich-Chef als Medienkontakt angeführt. Tatsächlich werden Journalisten seit Jahren an das Innenministerium verwiesen. profil sprach mit Ex-Mitarbeitern und Kennern des Unternehmens, die alle nicht genannt werden wollten.
Die Österreich-Tochter der Schweizer ORS Service AG lebt - wie ihre Mutter in der Schweiz - vom Geschäft mit Flüchtlingen, das naturgemäß umso besser läuft, je mehr ins Land kommen. Über die Frage, ob man auf dem Markt, in dem staatliche Einrichtungen, NGOs und Firmen um Anteile kämpfen, ökonomisch erfolgreich und anständig agieren kann, wird hier wie dort gestritten.
In Österreich begann die gewinnorientierte Flüchtlingsbetreuung mit Innenminister Ernst Strasser. Der ÖVP-Mann duldete in der Herrengasse keinen Widerspruch und konnte NGOs schon deshalb nicht ausstehen, weil sie ihn kritisierten. Um sie in Schach zu halten, arbeitete er mit der Pseudo-NGO "Verein Menschenrechte“ zusammen. Sie empfing Orders aus der Herrengasse ohne Murren und enthielt sich jeden politischen Kommentars - genau wie das deutsche Unternehmen European Homecare (EHC), das mit der Betreuung ostdeutscher Flüchtlinge nach dem Fall der Berliner Mauer groß geworden war. Strasser lagerte 2003 erst die Rückkehrberatung und dann die Führung des Lagers Traiskirchen in dessen Zuständigkeit aus.
Ausstieg von European Homecare
2010, inzwischen war Maria Fekter im Amt, rang der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll dem Innenministerium den "Beschluss“ ab, nicht mehr als 480 Menschen in Traiskirchen unterzubringen. Rolf-Dieter Korte, der Senior-Chef von European Homecare, warf den Auftrag hin: Ohne Spitzenauslastung sah er sich nicht in der Lage, magere Phasen finanziell durchzustehen.
Das brachte das Innenministerium in die missliche Lage, neu ausschreiben zu müssen. Das Kabinett und Teile der unter Strasser sozialisierten Beamtenschaft fürchteten, Caritas & Co. ein Einfallstor zu bieten. Ein Beamter sollte den Markt vorab sondieren. Gernot Maier, Leiter der Abteilung Grundversorgung, fuhr in die Schweiz, besuchte das Bundesamt für Migration (BFM) und lernte die ORS Service AG kennen, einen Personaldienstleister, der im Zuge der Flüchtlingswellen der Balkankrise 1992 seine neue geschäftliche Bestimmung gefunden hatte.
Caritas, Volkshilfe und Diakonie war nach Durchsicht der Ausschreibungsunterlagen klar, dass sie mit einem Angebot ihre Zeit verschwenden. Der Verein "Menschen.Leben“ tat sich mit einem Reinigungsunternehmen und einem Caterer zusammen, scheiterte aber "aus formalen Gründen“, wie es hinterher hieß. European Homecare zog sich zurück, und ORS bekam den Zuschlag.
Anfang 2012 übernahm ORS vier Erstaufnahmestellen, die größte davon in Traiskirchen, und expandiert seither. Inzwischen ist die Österreich-Tochter so groß wie die Mutter in der Schweiz: Hier wie da betreuen rund 500 Mitarbeiter zwischen 5000 und 6000 Flüchtlinge pro Tag. In Bayern eröffnete ORS je eine Einrichtung in München und Ingolstadt.
Sprechen darf im Asylwesen nur das Innenministerium. Die heimische ORS-Niederlassung ist in ihrer Öffentlichkeitsarbeit vertraglich geknebelt, auch die Zentrale in der Schweiz geizt mit Auskünften.
ORS mit 21 Millionen Umsatz
Das mag zu einer Verarmung der Debatte beitragen, ist aber kein Beleg dafür, dass ORS skrupellos Rendite abschöpfen würde. Setzt man die 540.000 Euro Bilanzgewinn, die ORS in Österreich ausweist, in Beziehung zu den rund 21 Millionen Umsatz, die das Innenministerium laut einer Anfragebeantwortung an die Grüne Alev Korun dem Unternehmen im Vorjahr bescherte, ergibt sich eine Umsatzrentabilität von 2,6 Prozent. Hedgefonds würden sich damit kaum zufriedengeben.
Wie der Anfragebeantwortung der Grünen auch zu entnehmen ist, erhält ORS eine Sockelfinanzierung in unbekannter Höhe, um die Fixkosten abzudecken. Die variablen Kosten werden laut den profil vorliegenden Ausschreibungsunterlagen aus dem Jahr 2011 für bis zu 1840 Personen in Traiskirchen bezahlt. Für die in der Lagerwiese kampierenden Menschen müsste demzufolge extra verhandelt werden.
Caritas & Co. pochen seit Langem auf Gleichbehandlung. Doch das Innenministerium lässt sich nicht in die Karten schauen. ORS hat in Vorarlberg, Kärnten und Niederösterreich inzwischen mit den Ländern Verträge für betreutes Wohnen abgeschlossen, in Graz übernahm das Unternehmen eine ehemalige Caritas-Unterkunft für Flüchtlinge mit erhöhtem Betreuungsaufwand.
Ein Mal im Monat reisen die Regionalmanager in die ORS-Zentrale nach Zürich, wo Stefan Thissen-Moll dirigiert. Konzernchef Eric Jaun hatte den heutigen Vorstandsvorsitzenden 2010 als Erben geholt. Thissen-Moll gilt als jemand, der sich gerne selbst ein Bild macht. Über die menschenrechtswidrigen Zustände in Traiskirchen war er dem Vernehmen nach alles andere als erfreut. Öffentlich geäußert hat er sich nie.
Aufträge unter der Hand vergeben
Auch in der Schweiz pflegt die Regierung Geheimnistuerei. ORS hatte sich dort zum Quasi-Monopolisten der Flüchtlingsbetreuung aufgeschwungen. Erst 2012 fiel einem Abgeordneten auf, dass die Aufträge unter der Hand vergeben worden waren, und entfesselte einen Sturm der Entrüstung, der die Regierung zur Neuausschreibung zwang. ORS kam wieder zum Zug und schnupfte im Vorjahr einen Mitbewerber.
In Österreich sucht das Unternehmen derzeit händeringend Mitarbeiter. Laut Website sind mehr als ein Dutzend Stellen offen, jeden Monat werden 40 bis 50 Leute aufgenommen. Bilder von Obdachlosen sind bei der Rekrutierung ebenso hinderlich wie beim Anbahnen neuer Aufträge. Doch für die chaotischen Zustände kann das Unternehmen wenig, es fehlt an Quartieren: Derzeit haben in Traiskirchen rund 1600 Menschen ein Bett, im Zeltdorf auf dem Gelände der Sicherheitsakademie sind weitere 500 untergebracht. Immer noch schlafen Hunderte am Boden. Gleichzeitig stehen auf dem Gelände 200 Betten leer.
Seit Landeshauptmann Erwin Pröll in der ersten Augustwoche einen Aufnahmestopp verhängte, werden in Traiskirchen keine Flüchtlinge mehr aufgenommen. Sie kommen trotzdem und werden nun im Zeltdorf Nummer 2 einquartiert, das auf dem Gelände der Sicherheitsakademie entstand. Über 500 haben hier Platz. Inzwischen sind alle Feldbetten belegt. So entsteht in Sichtweite der bekannten Obdachlosigkeit im Lager gerade eine neue.
Jeden Tag sperren kleine Unterkünfte auf, doch es sind viel zu wenig. ORS-Quartiere stehen sowohl in der Schweiz als auch in Österreich nicht im besten Ruf. Das hat auch damit zu tun, dass man mit hilfsbereiten Menschen, die spenden und Kontakt zu Flüchtlingen suchen wollen, bisher wenig anzufangen wusste. Das sei aber für das Zusammenleben extrem wichtig, sagt die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely: "Wir haben in Wien keine Probleme mit Flüchtlingsunterkünften, weil wir darauf achten, dass Anrainer eingebunden sind.“
Vielleicht lernt ORS gerade ein wenig dazu: In Erdberg sind inzwischen drei Mitarbeiter nur mit dem Management der Hilfsbereitschaft beschäftigt.
Schweizer Mutter Die ORS Services AG (Jahresumsatz: rund 70 Millionen Franken) kümmert sich in der Schweiz mit 500 Mitarbeitern um täglich 6000 Flüchtlinge. Ihre Aufträge kommen aus dem Bund, von Kantonen und Gemeinden. 2012 expandierte das Unternehmen nach Österreich. Inzwischen ist die heimische Niederlassung so groß wie das Mutterunternehmen. Wie viel das Unternehmen verdient, ist geheim. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe durch-leuchtete das Unternehmen und konstatierte 2012 in ihrem Bericht Mängel bei medizinischer Versorgung, Ernährung von Kleinkindern und Ausstattung mit Kleidern.