Triumph des Brüllens

Triumph des Brüllens: Erdrutschsieg der FPÖ lässt SPÖ über eine Koalition mit den Grünen nachdenken

Wien. SPÖ muss erstmals über eine Koalition mit den Grünen nachdenken

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Als alle Stimmen ausgezählt, alle Mandate verteilt und alle Stellungnahmen abgefilmt waren, ging es im Festzelt zwischen Rathaus und Parlament erst richtig los. Schon seit vier Stunden hatten sich Heinz-Christian Straches Anhänger dort bei Bier, Wein, Würstel und Schnitzel aufgewärmt – Leute, die man sonst selten an politischen Buffets der Hauptstadt trifft. Als das Idol gegen 21 Uhr zu den düsteren Klängen von Carl Orffs „Carmina Burana“ das Zelt betrat, brach Massenhysterie aus. Längst hatte man jeden weiteren Zutritt verbieten müssen, dichte Wolken von blauen Papierfetzen fielen von der Decke, eine zähflüssige Menschenmenge wälzte sich Richtung Bühne. Ein Rollstuhlfahrer musste mühsam hinausgebracht werden.

Zuletzt gab es im FPÖ-Zelt nicht mehr Orff, sondern Richard Lugner. Der sang seinen Hit „I bin der Lugner“. Da lag der Strache-Fanclub schon im Taumel.

Die FPÖ hat am Sonntag einen Wahlsieg ungeahnten Ausmaßes eingefahren: Mit 27 Prozent blieb sie nur um einen Prozentpunkt hinter dem Rekordergebnis des Wendejahres 1999. Seinen Hauptgegnern, den Sozialdemokraten, hat Strache die absolute Mehrheit genommen und sie in ihren Hochburgen gedemütigt. Plus 15 Prozentpunkte in Favoriten, je plus 17 in der Brigittenau und in Floridsdorf. In Simmering, seit 1945 der österreichweit stärkste SPÖ-Bezirk, in dem es normalerweise rote Zwei-Drittel-Mehrheiten gibt, liegt die FPÖ mit 37 Prozent nur noch zehn Prozentpunkte hinter den einst so stolzen Roten.

Jeder vierte SPÖ-Wähler von 2005 hat diesmal Strache den Vorzug vor Michael Häupl gegeben, zeigt die Wählerstrom-Analyse.

Dem war ein denkwürdiger Wahlkampf vorausgegangen. Das Beraterteam des US-Wahlkampf-Gurus Stanley Greenberg hatte Häupl auch diesmal wieder zu einer Wohlfühl-Kampagne geraten. Dieses Erfolgskonzept aus dem Wahlkampf 2005 schien der SPÖ aber diesmal nicht ausreichend. Schon in der Frühphase ergänzte sie das Happiness-Konzept durch eine Kümmervariante und kreierte gleich fünf verschiedene Kontroll-Trupps – von den Waste-Watchern über die Aufseher in den U-Bahnen bis zu den Wohnpartnern in den Gemeindebauten. Damit sollte der FPÖ, die ebenfalls schon mit Propaganda-Trupps in den Gemeindebauten vorstellig geworden war, das Terrain abgegraben werden.

Das Konzept schien aufzugehen. Die Umfragen signalisierten der SPÖ beruhigende Daten.

Dazu kam die im Frühjahr noch grassierende Wirtschaftskrise. Jobs & Soziales lautete das Themenpaar, das den bevorstehenden Wahlkampf in der Bundeshauptstadt zu prägen schien. Gut für die SPÖ: Es waren ihre großen Kompetenzfelder, der FPÖ wurde in diesem Bereich nur halb so viel zugetraut wie den Roten.

Paradoxerweise schien es den Wiener Sozialdemokraten zu schaden, dass die Stadt während der Krise den Kopf einigermaßen gut über Wasser hielt und beim ersten Aufschwung rasch wieder auf die Beine kam: Die am schwersten gebeutelte Industrie spielt in Wien längst keine große Rolle mehr – und der Dienstleistungssektor blieb von der Rezession einigermaßen verschont.

Verbündete.
Je mehr aber das Krisenbewusstsein abnahm, desto eher kam nun Strache wieder mit seinem Ausländer/Islam-Themengemenge durch. Von Umfrage zu Umfrage legte die Strache-Partei seit Anfang September zu. Dennoch schien sich die SPÖ halten zu können. Das änderte sich, als die FPÖ nach dem Wahlsieg in der Steiermark neuen Schwung holte. Jetzt sahen praktisch alle Meinungsforschungsinstitute die Freiheitlichen jenseits der 20 Prozent-Marke.

Die SPÖ erinnerte sich in dieser Situation an eine alte Verbündete: die „Kronen Zeitung“. Schon vor drei Wochen hatten Parteichef Werner Faymann, Geschäftsführerin Laura Rudas und Bürgermeister Michael Häupl erörtert, ob man auf deren gegenwärtiges Leibthema, die Abschaffung der Wehrpflicht, aufspringen solle. Am Dienstag vor der Wahl sprang Häupl. „Der Bürgermeister macht endlich Dampf: Häupl für Volksbefragung zur Wehrpflicht!“, titelte das Blatt exklusiv und übergroß. Dampfmacher Häupl hatte unschönerweise vergessen, Bundespräsident Heinz Fischer, immerhin Oberbefehlshaber des Bundesheers, und Verteidigungsminister Norbert Darabos von der Volte zu informieren, die nun mit ihrer Pro-Wehrdienstlinie wie begossene Pudel dastanden.

Der Kuschelkurs der SPÖ-Spitze mit der „Kronen Zeitung“ war, wie so oft, nur von geringem Erfolg gekrönt. Wohl lobte das Blatt den Bürgermeister noch tags darauf („So spricht ein Polit-Profi!“), ab Donnerstag fuhr das Kleinformat freilich Strache-Propaganda vom Feinsten: „Rot-grüne Stoßtrupps“ würden Strache-Plakate zerstören, hieß es da neben einem Foto einer beschmierten Strache-Affiche. „Wollen seine Gegner davon ablenken, dass Strache in Sachen drohender Überfremdung und ungezügelte Zuwanderung die Wahrheit sagt?“, fragte „Krone“-Kommentor Peter Gnam sorgenzerfurcht. Am Freitag stellte sich die „Krone“ abermals ganz in den Dienst des rechten Recken und räumte dessen Forderung nach Abschaffung der Staatssekretäre üppigen Raum ein. „Sonst flotter Volksnähe nicht abgeneigt, zeigen sich SPÖ und ÖVP in diesem Fall erstaunlich resistent“, ätzte der „Krone“-Kommentator giftig.

Häupls Volksbefragungsidee war da keine Zeile mehr wert. In der SPÖ machte sich am Wahlsonntag jedenfalls große Enttäuschung breit. Zu fix hatte man intern mit der absoluten Mehrheit gerechnet. Und sollte es dafür nicht reichen, müsse man eben mit der geschwächten ÖVP koalieren, die sei billig zu haben, hatte man sich getröstet.

Die Neigung zu den Schwarzen ließ freilich gegen Ende des Wahlkampfs stark nach: Ein Stadtrat: „Sollte es jemals eine Mehrheit für Rot-Schwarz in der Wiener SPÖ gegeben haben, hat Christine Marek sie zunichte gemacht.“ Der ÖVP wird vorgeworfen, mit ihrem auf Sicherheit und Ausländer angelegten Wahlkampf den Freiheitlichen geholfen zu haben. Sozialstadträtin Sonja Wehsely: „Die ÖVP war sicher kein Schutzwall gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit.“

Am schockierenden Wahlsonntag wollte denn auch niemand in der Wiener SPÖ-Spitze noch irgendetwas ausschließen: Seit Sonntag, 18 Uhr, denkt die SPÖ erstmals ernsthaft über Rot-Grün nach.

„Für uns sind Rot-Schwarz oder Rot-Grün gleichwertig“, meinte etwa Vizebürgermeisterin Renate Brauner. Ähnlich tönte Häupl-Vize Michael Ludwig, neben Brauner der aussichtsreichste Kandidat für die Bürgermeister-Nachfolge: „Beide Optionen haben etwas für sich. Bei der ÖVP weiß man, was man hat. Die Grünen haben den Vorteil, dass sie eine Option mit neuem Drive sind.“

Ein wichtiges Argument. Denn das ist seit Sonntag klar: Die SPÖ muss neue Duftmarken setzen – bloß im eigenen Saft zu schmoren genügt nicht mehr.

Darauf setzen die Grünen. Man werde der SPÖ in den Verhandlungen klarmachen, dass sie imagemäßig in einer Koalition mit den Grünen nur profitieren würde, wie etwa ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl in Graz und die ÖVP als Ganzes in Oberösterreich, heißt es. Grünen-Geschäftsführer Stefan Wallner: „Es hängt davon ab, ob die SPÖ Zukunft signalisieren will.“ Dazu kommt: Am Wahlabend haben sich auch die Gewichte innerhalb der SPÖ verschoben. Die mächtigen Bezirke Favoriten, Simmering, Donaustadt, Floridsdorf und Liesing mussten massive Verluste hinnehmen. Ein Stadtrat: „Die Frage ist, wie viel diese Loser-Bezirke intern noch mitzureden haben.“ Gerade sie hatten immer für eine rot-schwarze Koalition plädiert.

Unglücklicher als die Sozialdemoraten war an diesem Wahlsonntag nur die von einer Rekordniederlage zerzauste ÖVP. Und das an Kummer gewöhnte BZÖ schaffte den Einzug ins Wiener Rathaus gleich auf doppelte Weise nicht: Weil man die Akkreditierungen im Büro vergessen hatte, musste das Gefolge von Kandidat Walter Sonnleitner vor dem Tor warten.

Mitarbeit: Emil Bobi

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin