Ankündigungspolitik

Türkis-grüne Regierungsvorhaben: Kommt da noch was?

Von vielen großen Regierungsvorhaben hat man länger nichts gehört. Das Anti-Korruptionspaket, die Glücksspielreform und die Lieferung des Sputnik-Impfstoffes lassen auf sich warten. Eine Erinnerung.

Drucken

Schriftgröße

Es gibt eine abgedroschene Fußballerweisheit, die den Politikstil von Bundeskanzler Sebastian Kurz gut beschreibt: Angriff ist die beste Verteidigung. Kurz hasst die Defensive, er rechtfertigt sich nicht gern für Fehlleistungen seiner Regierung, seiner Neuen ÖVP oder - am schlimmsten - seiner selbst. Kurz und seine Strategen verfolgen das Ziel, stets das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Der Kanzler bestimmt, worüber diskutiert wird. Agendasetting nennen das Politikberater. Als im Herbst 2020 Kritik aufkeimte, dass die Bundesregierung die zweite Corona-Welle komplett verschlafen habe (hat sie), hielt sich Kurz nicht lange mit Erklärungen auf. Er überraschte mit seinem Vorschlag von flächendeckenden Massentests nicht nur die Öffentlichkeit - sondern auch den zuständigen Gesundheitsminister. Doch je länger die Pandemie andauerte, desto riskanter wurde Kurz' Offensivspiel: Seinen Ankündigungen einer gemeinsamen Impfstoffproduktion mit Israel oder einer Bestellung des russischen Sputnik-Impfstoffes noch im April folgten schlicht keine Taten.

Längst haben die Grünen von Kurz gelernt. In Pressekonferenzen verkündeten sie: Verhandlungen fertig, Reformen kommen; etwa beim Glücksspiel oder bei der Korruptionsbekämpfung. Tatsächlich gibt es bei beiden Projekten bis heute keine Einigung mit der ÖVP.

Es stimmt schon: In anderen Bereichen bringt die Koalition durchaus etwas weiter. Die Neuordnung des ramponierten Verfassungsschutzes steht in Grundzügen, das 1-2-3-Ticket ist auf halbem Weg, ebenso wie das Informationsfreiheitsgesetz. Homeoffice-Regelung und das Paket gegen Hass im Netz sind beschlossen, für einige andere Projekte blieb aufgrund von Corona schlicht keine Zeit.

Dennoch stellt sich die Frage: Was wurde aus den Vorhaben, die laut Regierungsangaben längst fertig sein sollten? Kommt da noch was - oder wird das nichts mehr?

"Es ist mir wichtig, die Lücken im Korruptionsstrafrecht zu schließen. Es wird nach dem Sommer zur Beschlussfassung gelangen." - Justizministerin Alma Zadić am 17. Mai 2020

Korrupte haben's gut

Politiker zu bestechen, ist in Österreich erlaubt. Richtig gelesen: Es ist legal, Geld gegen Gesetze zu tauschen. Und zwar dann, wenn der Politiker noch nicht Bürgermeister, Kanzler oder Landeshauptfrau ist, sondern erst für eines dieser Ämter kandidiert. Diese Art von "Vorab-Korruption" oder Kandidatenbestechung ist eine besonders eklatante Lücke im Strafgesetz. Davon profitieren Leute wie Heinz-Christian Strache. Der Ex-FPÖ-Chef war bekanntlich noch nicht Vizekanzler, als er auf Ibiza nichts ahnend in eine Videofalle tappte und dort über Staatsaufträge und allfällige Gegenleistungen plauschte.

Die grüne Justizministerin Alma Zadić will diese Lücke schließen. Oder besser gesagt: Sie wollte. Exakt ein Jahr nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos präsentierte sie im Mai 2020 ein großes Anti-Korruptions-Paket. Der Ibiza-Skandal könnte sich "leider" jederzeit wiederholen und bliebe strafrechtlich ohne Konsequenzen, sagte Zadić damals: "Das kratzt an unserem Gerechtigkeitssinn und an unserem Glauben an die Demokratie." Ihr Plan: Die Bestechung von Kandidaten sollte unter Strafe gestellt werden. Und auch Mandatskauf sollte untersagt werden - und zwar für die Auftraggeber, die angehenden Mandatare und für die Partei. Denn derzeit ist es möglich, eine Partei dafür zu bezahlen, dass eine bestimmte Person ein Nationalratsmandat bekommt.

Aber was wurde aus dem Anti-Korruptionspaket? Einen Entwurf versprach Zadić für den Sommer 2020. Einen Monat später legte der grüne Vizekanzler Werner Kogler nach und erklärte, die Vorhaben wären mit der ÖVP "im Wesentlichen akkordiert", es gehe nur mehr um Details. Seither hat kein Grüner je wieder ein öffentliches Wort über das Paket verloren.

Ein Sprecher der Justizministerin erklärte auf profil-Anfrage: "Der Lückenschluss im Korruptionsstrafrecht-Stichwort Mandatskauf und Ausweitung der Korruptionsbestimmungen auf zukünftige Amtsträger - ist noch in Ausarbeitung." Nur der geringste Punkt des Korruptionspakets wurde bereits erledigt: Der jährliche Sicherheitsbericht des Justizministeriums enthält neuerdings auch ein Kapitel zu Korruption.

"Ich bin dafür, dass wir überall dort, wo es geht, Plastikmüll vermeiden-dafür brauchen wir ein Pfandsystem." - Umweltministerin Leonore Gewessler am 7. September 2020

Plastik, Pfand und Piloten

Wer schon einmal in einem deutschen Supermarkt war, der weiß, dass Kunden dort auch Pfand für Plastikflaschen zahlen müssen. So gelingt es den Deutschen, mehr als 90 Prozent der Kunststoffflaschen zu recyceln. Zum Vergleich: Österreich hat eine Quote von 70 Prozent. Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler hätte das deutsche Pfandsystem für Einwegplastik nur zu gerne abgekupfert - doch daraus wird vorerst nichts. Die Supermarktketten, die viel Geld in die Rückgabeautomaten investieren hätten müssen, wehrten den Vorstoß erfolgreich ab. Zu teuer sei das, vor allem für kleine Händler. Nun kommt, wie vergangenen Mittwoch präsentiert, eine verpflichtende Mehrweg-Quote ab 2024. Ab diesem Zeitpunkt sollen Kunden in allen Märkten die Wahl haben, ob sie ihre Milch lieber in Karton verpackt oder in Mehrwegglasflaschen kaufen wollen - das soll für alle relevanten Produktkategorien gelten, insbesondere auch bei den Discountern, die derzeit kaum Mehrwegsysteme anbieten.

Die erste Schlacht ums Plastikpfand mag verloren sein, aber Gewessler hat das Projekt noch nicht ganz abgeschrieben. Das Team der Ministerin bastelt derzeit an Modellregionen, in denen das Pfand für Flaschen aus Kunststoff getestet wird. Naheliegendes Kalkül: Wird der Pilot zum Erfolg, steigt der Druck auf die Handelskonzerne. Für ihr Modell wird die Klimaministerin allerdings eine Supermarktkette als Partner brauchen. Infrage käme der deutsche Discounter Lidl, dessen Österreich-Chef das Plastikpfand befürwortet, als derzeit einziger Vertreter aus der Riege der Händler.

Hoffen darf Gewessler auch auf Unterstützung aus Brüssel: Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass Getränkeflaschen aus Kunststoff bis 2029 zu mindestens 90 Prozent getrennt gesammelt und recycelt werden müssen-ansonsten drohen Strafzahlungen.

"Wir haben einen Weg vorgezeichnet, wie wir die Sicherungshaft vornehmen können." - Innenminister Karl Nehammer am 10. Jänner 2020

Sicherungshaft weggesperrt

Es war ein Aufreger beim Antritt der Koalition: Die sogenannte Sicherungshaft-eine von Ex-Innenminister Herbert Kickl geplante präventive Haft für Asylwerber-schaffte es ins türkis-grüne Regierungsübereinkommen. Im Lauf der Legislaturperiode solle ein "zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden", heißt es im Koalitionspakt. Dass die Sicherungshaft "verfassungskonform" sein soll, war ein minimales Zugeständnis an die Grünen - Herbert Kickl hatte zuvor angeregt, die Verfassung dafür zu ändern. Juristen zeigten sich jedoch skeptisch, dass die geltende Rechtslage einen weiteren Hafttatbestand zulasse.

Mit Beginn der Pandemie änderten sich bekanntlich die Prioritäten, die Sicherungshaft verschwand aus der Debatte. Nach dem Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020 keimte die Diskussion wieder auf. Die ÖVP forderte Verschärfungen und regte etwa eine Art Maßnahmenvollzug für extremistische Straftäter-also nicht nur Asylwerber-an. Die Grünen zeigten sich nicht grundsätzlich ablehnend: "Ich glaube schon, dass wir uns ansehen müssen, ob es Möglichkeiten und Notwendigkeiten gibt",sagte etwa der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober wenige Tage nach dem Terrorattentat.

Eine Expertenkommission, welche die Umstände rund um den Anschlag untersuchte, lehnte eine neue Präventivhaft jedoch ab: "Ein neues Rechtsinstitut einer über die Strafhaft hinausgehenden Freiheitsentziehung wäre verfassungsrechtlich hoch problematisch",hieß es im Abschlussbericht im Februar.

Gegen den Attentäter hätte man auch nach derzeitiger Rechtslage im Vorfeld des Anschlages vorgehen können. Dem Vernehmen soll sich deshalb auch im anstehenden "Anti-Terrorpaket" keine Sicherungshaft wiederfinden. Wann diese letztlich kommen soll, ließen Innen-und Justizministerium auf profil-Anfrage unbeantwortet.


"Spielerschutz und Kampf gegen illegales Glücksspiel werden forciert. Unser Ziel ist eine weisungsfreie Glücksspielbehörde." - Finanzminister Gernot Blümel am 4. Februar 2021

Warten auf den Jackpot

"Einigung beim Glücksspiel", titelte ORF Online, nachdem die Reform Ende Februar nach einer Ministerratssitzung präsentiert worden war. Es war - wie so oft-bloß eine Ankündigung. Richtiger hätte die Headline gelautet: "Regierung einigt sich, Glücksspielpaket zu verhandeln". Denn tatsächlich ringen Finanzminister Gernot Blümel und die grüne Verhandlungsführerin Nina Tomaselli bis heute um Details. Fix ist nur, dass die Vergabe der Glücksspiellizenzen in eine weisungsfreie Behörde ausgelagert werden soll. Neben technischen Fragen darüber, wie das IP-Blocking von illegalen Glücksspiel-Websites umgesetzt werden soll, gibt es auch inhaltliche Differenzen: Uneinigkeit herrscht etwa beim Werbeverbot für Glücksspielbetreiber, dem Vernehmen nach würde die ÖVP Lottowerbung gerne weiterhin erlauben. Auch die Senkung der Maximaleinsätze an Glücksspielautomaten (derzeit zehn Euro pro Spiel) sieht das türkise Finanzressort kritischer als die Grünen. Ein Informierter: "Es muss sich für die Betreiber schon noch rechnen, sonst rutscht der Markt in die Illegalität ab." Der Konter aus dem grünen Lager: "Mit der ÖVP ist es mühsam. "Strittig ist auch, ob die Spielerschutzabteilung aus dem türkisen Finanzministerium ins grüne Konsumentenschutzressort von Wolfgang Mückstein wandert. Trotz aller Gegensätze: Bis Juni soll ein Entwurf in Begutachtung geschickt werden, sagen beide Seiten zu profil.


"Wir sind auf den letzten Metern, eine Bestellung kann wahrscheinlich schon nächste Woche erfolgen." - Bundeskanzler Sebastian Kurz am 1. April 2021

PK ZUR VORSTELLUNG DES NEUEN INSTITUTS FÜR PRÄZISIONSMEDIZIN: KURZ

Erde an Sputnik

"Impfchaos" - so wurde das heimische Immunisierungsmanagement im März verrissen. Die Regierung hatte nicht alle Kontingente der gemeinsamen EU-Beschaffung ausgeschöpft, die Impfziele drohten verfehlt zu werden. Kanzler Kurz reagierte Kurz-typisch: im Angriffsmodus. Er warf der EU "Basar-Methoden" vor, der Spitzenbeamte Clemens Martin Auer musste gehen. Und Kurz trat die Flucht nach vorn an - genauer: nach Osten. Er machte öffentlich, dass Österreich bereits in Verhandlungen mit Russland stehe, um sich eine Million Dosen des Corona-Vakzins Sputnik V zu sichern. Kurz konkret am 31. März: "Wenn wir Sputnik bestellen, dann werden wir noch im April 300.000 Dosen, im Mai 500.000 Dosen und 200.000 Dosen Anfang Juni erhalten." Weil die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den Impfstoff bislang nicht freigegeben hat, kokettierte selbst Katharina Reich, Generaldirektorin für Gesundheit, mit einem österreichischen Alleingang: "Die Alternative ist eine Notzulassung unter bestimmten Voraussetzungen. Es muss nicht die EMA sein, in einer Pandemiesituation muss man auch andere Mittel und Wege andenken",sagte die Spitzenbeamte im Gesundheitsministerium der Tageszeitung "Die Presse" Anfang April.

Wenige Wochen später klingt das nun deutlich anders: "Der Einsatz von Impfstoffen wird in Österreich weiterhin nur dann möglich sein, wenn eine entsprechende Marktzulassung durch die EMA vorliegt. Ein Vertrag kann aus Sicht des Ministeriums nur unter der Bedingung zustande kommen, dass die Lieferung erst bei Vorliegen der EMA-Zulassung erfolgt", teilt das Gesundheitsministerium auf profil-Anfrage mit. Das Kanzleramt ließ mehrere Anfragen zu den Sputnik-Ankündigungen unbeantwortet. Bei einer Pressekonferenz vergangenen Freitag bekräftigte Kanzler Kurz auf Journalistennachfrage dann noch einmal seine Pläne für den russischen Impfstoff: "Wir sind bei den Verhandlungen auf einem sehr, sehr guten Weg. Wir sind de facto fertig." Was jedoch feststeht: Die 300.000 angekündigten Dosen haben Österreich im April nicht erreicht. Bedingung für den Einsatz von Sputnik ist nun auch für Kurz eine Zulassung durch die EMA. Je später diese stattfinde, desto weniger gebe es Notwendigkeit für Sputnik, so Kurz.

Zuletzt berichteten mehrere Länder, darunter die Slowakei und Brasilien, über potenziell gefährliche Mängel des russischen Impfstoffes. Inzwischen ist aber ohnehin klar, dass Hersteller BioNTech/Pfizer eine Großlieferung vorziehen kann.

Manchmal kann es eben auch von Vorteil sein, nicht immer alles sofort zu erledigen.

 

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.