U-Ausschuss: Die heilige Halle
Vor Gericht ist man in Gottes Hand, im U-Ausschuss bekommt man es mit Jan Krainer zu tun. Krainer gegen ÖVP ist tatsächlich Brutalität. Das Spielfeld ist der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Vergangenen Mittwoch und Donnerstag starten die Befragungen. Erste Auskunftsperson ist Karl Nehammer, ÖVP-Bundesparteiobmann und Bundeskanzler. Befragt wird er aber nur über seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär und Innenminister. Denn der Untersuchungszeitraum ist begrenzt und umfasst exakt die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz. Diese dauerte von Dezember 2017 bis Oktober 2021. Auch das muss man Kurz erst einmal nachmachen: zwei Wahlen (2017 und 2019) fulminant gewonnen und trotzdem nur vier Jahre lang Kanzler gewesen sein, kürzer als eine reguläre Legislaturperiode.
Tagungsort des U-Ausschusses ist das Camineum in der Wiener Hofburg. Einst diente der Saal als Pferdestall. Heute ist er die heilige Halle der politischen Kontrolle. Der ÖVP-U-Ausschuss ist die Fortsetzung des Ibiza-U-Ausschusses. Über das Wesen dieser parlamentarischen Veranstaltungen war im profil zu lesen: „,U-Ausschüsse unterscheiden sich grundlegend von Gerichtsverfahren: Es sollen keine Streitigkeiten entschieden, sondern Tatsachen festgestellt werden. Es gibt weder Zeugen noch Angeklagte, sondern Auskunftspersonen und Sachverständige.‘ So steht es auf der Website des Parlaments-und natürlich wird im U-Ausschuss gestritten, werden Tatsachen zu alternativen Fakten und aus Auskunftspersonen Angeklagte. Politik folgt keinen Regeln, schon gar nicht den eigenen. Bei einem U-Ausschuss ist das auch nicht nötig, weil die Ausgangssituation einem bekannten Dilemma aus der Spieltheorie gleicht: Hält sich nur einer an die Regeln, ist er der Dumme. Dass sich alle an die Regeln halten, ist in Kenntnis der Beteiligten auszuschließen. Also hält sich keiner an die Regeln – womit Fairness gegeben ist.“
Parteiischer Schiedsrichter
So gesehen war das Match Krainer gegen Nehammer fair, so wie ein Fußballspiel zwar brutal, aber doch fair sein kann, wenn es auf beiden Seiten rote Karten gibt. Von einem normalen Fußballspiel unterscheidet sich der ÖVP-U-Ausschuss zweifach: Der Schiedsrichter (Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Sobotka) ist parteiisch, und von Beginn an werden die Regeln unterschiedlich ausgelegt. Aus Sicht der anderen Parteien sollte sich der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss vor allem mit Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP beschäftigen. Klingt nachvollziehbar. Nach Meinung der ÖVP kann er das aber gar nicht. Denn rechtlich gesehen dürfe ein U-Ausschuss bloß die öffentliche Verwaltung des Bundes, mithin die Regierung, kontrollieren, aber keine Parteien, da diese formal gesehen Privatvereine seien – wie der Simmeringer Sport-Club oder der Kapfenberger SV. Schiedsrichter Sobotka teilt diese Meinung voll und ganz, Oberschiedsrichter Wolfgang Pöschl teilweise.
Der frühere Vizepräsident des Oberlandesgerichts Wien im Ruhestand ist der Verfahrensrichter des U-Ausschusses. Im Gegensatz zu Wolfgang Sobotka will Pöschl, dass der Ausschuss funktioniert. Es gibt einfachere Jobs. Pöschl bittet Krainer, seine Fragen an Nehammer etwas konkreter zu formulieren, damit sie zulässig seien. Danach stellt Krainer so konkrete Fragen wie: „Wer war in der ÖVP für Umfragen zuständig?“
Zähe Fragen
Wenn Fragen des SPÖ-Abgeordneten zugelassen werden, antwortet Nehammer mit Belehrungen: „Ihre Fragen sind nicht präzise, daher nicht beantwortbar.“ Oder auch: „Das ist eine Suggestivfrage, daher werde ich sie nicht beantworten.“ Sogar Fragen, wer zu seiner Zeit als Generalsekretär Bundesgeschäftsführer war, lässt Nehammer unbeantwortet. Hoffentlich kennt der Kanzler wenigstens den Namen seines neuen Gesundheitsministers.
Aufgrund Krainers Art der Fragestellung und ihrer Nicht-Beantwortung durch den Bundeskanzler zieht sich der U-Ausschuss fast ins Unerträgliche. Sogar der Verfahrensrichter verzweifelt. Zufrieden sind am Ende vor allem zwei: Krainer und Nehammer. Wenn man sich gegenseitig nichts schuldig bleibt, gibt es auch keine offenen Rechnungen
Sie lesen Folge 9 einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
Alle bisher erschienen Folgen von "Bauer sucht Politik" können Sie hier nachlesen.