U6 Gumpendorfer Straße: Was tun mit dem Drogen-Hotspot?
Ein Werktag in der Vorwoche, kurz vor 18 Uhr, Stoßzeit. Aus der U6 steigen Dutzende Menschen, die die Treppen gestresst hinunter zur Straßenbahn 6 und 18 laufen, in den Bus 57A steigen oder zu Fuß weitermarschieren. Die U6-Station Gumpendorfer Straße liegt mitten am vielbefahrenen Gürtel und markiert die Grenze zwischen dem 6. Bezirk und dem 15. Bezirk.
Eine Sache unterscheidet die Gumpendorfer Straße aber doch von anderen Stationen der U6. Wer aus der U-Bahn steigt, bemerkt nicht nur Menschen, die so schnell wie möglich aus der Arbeit nach Hause möchten, sondern auch den Geruch von Marihuana. In der Eingangshalle der Station stehen drei Securitys der Wiener Linien, und außerhalb beäugen eine Handvoll Polizisten das Treiben. Trotz der Präsenz der Sicherheitskräfte spazieren andere Personen durch die Station – mit brennender Zigarette zwischen den Fingern und Schnapsfläschchen zwischen den Zähnen.
Vor dem Eingang zur Station hat sich eine kleine Traube Menschen gebildet. Sie stehen im Kreis, flüstern untereinander, drücken sich Geldscheine in die Hände. Hier wird ganz offensichtlich gedealt. Die Polizisten bemerken, wie die Menschen sich suspekt verhalten, und nähern sich ihnen an. In Sekundenschnelle löst sich die Gruppe – ein Teil von ihnen flüchtet sich in den gerade kommenden Bus, ein anderer in die Straßenbahn.
Das „Gelbe Haus“
Die meisten Wienerinnen und Wiener wissen: Die U6-Station Gumpendorfer Straße ist ein Ort, an dem vermehrt obdachlose und suchtkranke Menschen verweilen. Der Grund dafür ist, dass sich gegenüber der Station die Suchthilfe befindet. Im „gelben Haus“ am Gürtel gibt es in dem Tageszentrum etwa die Möglichkeit, seine Spritzen zu tauschen. Süchtige bekommen ihre Substitutionstherapie, in dem Hygienetrakt können sie sich säubern, es gibt eine Beratungsstelle sowie ein Notquartier. Für wohnungslose und suchtkranke Wienerinnen und Wiener ist die Suchthilfe am Gumpendorfer Gürtel somit eine der wichtigsten Anlaufstellen.
Das bedeutet aber auch, dass eben diese Menschen in der Gegend um den Gumpendorfer Gürtel viel Zeit verbringen – und dafür sorgen, dass sich Anrainerinnen und Anrainer unsicher fühlen könnten.
Die Schülerinnen Amira und Sandra* kommen gerade aus dem Nachmittagsunterricht, als sie auf die 6er-Bim warten. An diesem Ort sind sie fast täglich, wenn sie aus der Schule nach Hause fahren. profil fragt sie, ob sie sich während ihres Heimwegs an der Gumpendorfer Straße unwohl fühlen.
Als Antwort schauen die Mädchen sich um und nicken leicht. Wenige Sekunden später fahren ein Rettungs- und ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirenen die Straßenbahnschienen entlang und biegen vor dem „gelben Haus“ ein.
ÖVP: „Rudolfsheim statt Rudolfscrime“
Die Gegend um die U6-Station Gumpendorfer Straße ist nicht die einzige in Wien, an der Menschen unerlaubterweise Alkohol und Suchtmittel konsumieren. Ende April 2018 wurde am Praterstern ein Alkoholverbot eingeführt, am 7. Februar dieses Jahres folgte selbiges am Franz-Jonas-Platz, dem Platz vor der S- und U-Bahn-Station Floridsdorf.
Die ÖVP Wien fordert nun, dieses Verbot auch in der Gegend um die Gumpendorfer Straße auszuweiten: „Mit einem Alkoholverbot hätte die Polizei endlich die Möglichkeit, gegen die Menschen, die rund um die U-Bahn-Station herumlungern, vorzugehen. Die Menschen wollen sich hier im Bezirk zu Hause fühlen. Sie wollen Rudolfsheim statt Rudolfscrime“, argumentiert ÖVP-Bezirksparteiobmann Felix Ofner gegenüber profil.
Wie würden Amira und Sandra ein Alkoholverbot finden? „Gar nicht mal so schlecht, wenn man sich hier umschaut“, sagen beide.
Verdrängung obdachloser Menschen
Von vielen wird die Sinnhaftigkeit eines Alkoholverbots in dieser Gegend eher hinterfragt – unter anderem von Christoph Reinprecht.
Der Soziologe forscht bereits seit vielen Jahren zum öffentlichen Raum, sozialen Städten und dem Thema Obdachlosigkeit. Er beobachtet, dass der öffentliche, konsumfreie Raum in Wien in den letzten Jahren immer weiter schrumpft und ökonomisiert wird: „Das ist natürlich eine Sache, die Wirtschaftsparteien wie die ÖVP möchten.“
Obdachlose und suchtkranke Menschen würde man mit solchen Verboten oder einem erhöhten Polizeiaufkommen an andere Orte verdrängen.
Soziallokale und verstärkte Polizeipräsenz
Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, ist außerdem der Meinung, dass man die Situation am Gumpendorfer Gürtel nicht mit der am Franz-Jonas-Platz gleichsetzen darf:
„Dort war es so, dass über einen sehr langen Zeitraum eine Gruppe an Menschen auffällig war, die de facto ausschließlich Alkohol und das in sehr großen Mengen konsumierte. Diese Zielgruppe hat sonst eigentlich nichts benötigt, weil sie sehr gut wohnversorgt ist im Bezirk.“
Am Gumpendorfer Gürtel konsumiert die Zielgruppe Alkohol eher nebenbei – besonders auffällig ist es, dass Drogen konsumiert, aber auch gedealt werden.
Demnach wäre laut Lochner eine massiv erhöhte Polizeipräsenz – einerseits durch uniformierte Polizistinnen und Polizisten, andererseits durch Zivilpolizistinnen und -polizisten – Teil der Lösung, damit kriminelle Handlungen entdeckt und verfolgt werden können.
Zusätzlich brauche es Orte, an denen Obdachlose und Suchtkranke verweilen können. Als Beispiel nennt Lochner das „Soziallokal Wir z’Haus 10“, bei dem sozial schwache Menschen täglich frische, besonders preiswerte Speisen und Getränke erhalten, sich austauschen können und eine Sucht- oder psychosoziale Beratung bekommen.
Bisher gibt es lediglich ein „Wir z’Haus“ in der Quellenstraße, in der Nähe vom Reumannplatz in Favoriten. Lochner hofft jedoch, dieses Angebot weiter auszubauen.
Laufende Schwerpunktaktionen
Aktuell führt die Stadt Wien neue Schwerpunktaktionen rund um die Gumpendorfer Straße durch, bei der ein Einsatzteam der Stadt Wien unter der Leitung der Gruppe Sofortmaßnahmen mit den Wiener Linien, der Wiener Polizei und Sozialarbeiterinnen und -arbeitern zusammenarbeitet.
Diese Aktion läuft noch mehrere Wochen, danach werden die Ergebnisse evaluiert, erfährt profil vom Mariahilfer SPÖ-Bezirksvorsteher Markus Rumelhart.
Und wie fänden die Betroffenen vor Ort ein Alkoholverbot?
„Ich fände es okay, bei den anderen bin ich mir aber nicht sicher“, erzählt Markus* selbstbewusst.
Markus ist um die vierzig Jahre alt, hat einen langen Bart, der schon fast zur Gänze grau ist, und dunkle Haare. Er trägt einen schwarzen Parka mit Kapuze, durch die sein Gesicht nur zur Hälfte zu erkennen ist. In der rechten Hand hält er eine Zigarette, in der anderen eine offene Bierdose der Hofer-Eigenmarke „Bergkönig“ und am Rücken einen schwarzen, leicht abgenutzten Rucksack.
Alkoholverbot nur oberflächliche Lösung
Die Gumpendorfer Straße zu einer Alkoholverbotszone zu machen, würde sich dem Grundproblem – der Obdachlosigkeit und Suchterkrankung dieser Menschen – nur oberflächlich widmen:
„Wenn ich es grundlegend anpacken will, dann muss ich auch zwischen der Drogenfrage und der Obdachlosigkeitsfrage unterscheiden. Und hier braucht es vor allem Investitionen. Es braucht verstärkte Präventions- und Gemeinwesenarbeit“, meint Soziologe Reinprecht.
Mittlerweile ist es halb sieben am Abend. Die Stoßzeit endet bald. Es dauert nicht mehr lange, bis alle Menschen, die gerade von der Arbeit kommen, zu Hause sind. Und alle anderen spielen weiter Katz und Maus mit den Securitys.
*Name von der Redaktion geändert