Immer mehr kleine Skigebiete sperren zu. Doch im oberösterreichischen St. Georgen am Walde läuft ein einziger Schlepplift seit bald 50 Jahren. Er ist Teil der lokalen Identität geworden. Ans Aufhören denkt hier niemand.
Es ist 11.42 Uhr, und in St. Georgen am Walde scheint die Sonne. Georg Temper muss lachen. Er hat gerade die Geschichte darüber erzählt, als jemand einmal im Internet behauptet habe, dass eben jenes St. Georgen am Walde das oberösterreichische Kitzbühel sei. Und aus welchem Grund auch immer habe das eine Gruppe Linzer Studenten tatsächlich geglaubt. „Die sind gekommen und waren fertig“, sagt Temper und schlägt die Hände zusammen. „Sie haben uns ein Beschwerde-E-Mail geschrieben.“
Es ist so: St. Georgen am Walde ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Kitzbühel. Es gibt in der 2000-Einwohner-Gemeinde im oberösterreichischen Mühlviertel keine weltberühmte Abfahrtsstrecke, und schon gar nicht trifft sich hier Prominenz aus nah und fern zum Après-Ski. Nicht ein einziges Hotel steht in St. Georgen, 780 Meter über dem Meeresspiegel. Aber: Auf einem Hang mitten im Ort gibt es einen Schlepplift, den „Schorschi Lift“. 300 Meter ist die Piste neben ihm lang, für geübte Skifahrer dauert die Abfahrt ungefähr 20 Sekunden. Und Temper, der lachende Erzähler, ist der Liftwart. Der 37-Jährige sitzt in einem kleinen Container, aus dem er die ganze Lifttrasse überblicken kann. Temper bringt den Lift zum Stehen, wenn auf der Trasse jemand stürzt, verkauft Karten und wachselt nebenbei auch noch Ski.
Vor 70 Jahren schauten noch die meisten Skigebiete in Österreich so aus wie jenes in St. Georgen. Ein Lift, eine Piste, das war’s. Dann aber setzte der Wintersportboom ein und verwandelte unscheinbare Bergdörfer in Tourismusmetropolen. Gerade in den Alpentälern im Westen des Landes wurden immer neue Hänge erschlossen. Doch in tieferen Lagen war an eine Expansion nicht zu denken, die alten Schlepplifte blieben einfach stehen. Heute, da die Temperaturen steigen und der Schnee weniger wird, gehören kleine Anlagen zu einer aussterbenden Art. Immer mehr Liftbetreiber geben auf. In St. Georgen ist davon keine Rede. Die Piste ist im gesamten Bezirk Perg ein Aushängeschild. Mit ehrenamtlichem Engagement, fünf Schneekanonen und einer klaren Zielgruppenstrategie soll der „Schorschi Lift“ noch viele Jahre seine Runden drehen.
Der Skisport hat in St. Georgen eine verhältnismäßig kurze Geschichte. Wann die ersten Abenteurer auf dem Hang unterhalb der gotischen Kirche wedelten, kann niemand ganz genau sagen, irgendwann in den 1960er-Jahren dürfte es gewesen sein. 1979 legten die lokalen Gastwirte dann zusammen und bauten einen Schlepplift. Er sollte Bewohner aus den umliegenden Ortschaften nach St. Georgen bringen. Später übernahm ihn die Gemeinde, seit 2003 wird er vom privaten Verein „Schorschi“ betrieben.
Georg Temper ist eigentlich Milchbauer und spricht mit starkem oberösterreichischen Dialekt – statt früher sagt er „ernta“, statt dann „oftad“. Wenn auf seinem Hof im Winter weniger los ist, arbeitet er 20 Stunden pro Woche als Liftwart. Das macht er seit 2007, seit 2017 ist er außerdem „Schorschi“-Vereinsobmann. Während er die Kitzbühel-Anekdote erzählt, tummeln sich auf der Piste knapp 30 Kinder. Sie kommen aus der Volksschule aus dem benachbarten Dimbach und der Mittelschule in St. Georgen. „Die haben hier ihren Turnunterricht“, sagt er. „Die Schulen sind enorm wichtig für uns.“ Denn an den Vormittagen unter der Woche ist der „Schorschi“ geschlossen, er steht den Schulen dann exklusiv zur Verfügung.
Ohnehin sind die Kinder das Stammpublikum. Die Piste ist zwar nicht lang, aber durchaus anspruchsvoll. Sie könnte genauso im Gasteiner Tal oder am Patscherkofel liegen. 65 Euro kostet eine Saisonkarte für unter 16-Jährige im Vorverkauf, für eine Tageskarte zahlen sie 17 Euro. 300 Leute kommen an einem guten Tag am Wochenende – da hat der Lift regulär geöffnet – zum Skifahren nach St. Georgen. „Wir merken, dass sich immer mehr Leute die Preise in den großen Skigebieten nicht mehr leisten wollen“, sagt Temper. „Und wir merken, dass es in der Umgebung weniger Lifte gibt. Unser Einzugsgebiet ist größer geworden.“
Denn viele vergleichbare Skigebiete in der Region haben aufgegeben. Dazu gehört der Schlepplift in Waldhausen, 15 Kilometer von St. Georgen entfernt. Noch näher war jener in Königswiesen, der 1964 eröffnet wurde, 2018 wurde die Anlage abgebaut. Die zwei Schlepplifte in Karlstift,
40 Kilometer entfernt, im niederösterreichischen Waldviertel, bleiben in dieser Saison geschlossen. Der Betreiber möchte sie übergeben, findet aber keinen Interessenten. Ums Überleben kämpft auch eine ehemalige Institution des oberösterreichischen Wintersports. Zwei Schlepplifte brachten in Sandl die Skifahrer jahrzehntelang auf den Viehberg, mit 1112 Metern der höchste Gipfel des Mühlviertels. Einst kamen die Besucher sogar aus Linz, manche Familien verbrachten mehrtägige Skiurlaube in Sandl, Ferienhäuser am Rande der Piste erinnern an die glorreiche Zeit des Wintertourismus.
Aktuell aber stehen beide Lifte still, die Schließung des Skigebiets steht im Raum. Das Hauptproblem: Am Viehberg schneit es nicht genug, mehr als 20 Betriebstage sind die Ausnahme, nicht genug, um die laufenden Kosten zu decken. Einen Investor zu finden, der das nötige Geld für eine Modernisierung zur Verfügung stellt, ist eine schwierige Mission. Zu unattraktiv sind Skigebiete in den tiefen Lagen geworden.
Auch wenn der „Schorschi“ fast 300 Meter tiefer liegt, hat er demgegenüber zwei zentrale Vorteile. Der erste ist organisatorischer Natur. Weil er von einem Verein betrieben wird, muss in St. Georgen niemand mit dem Lift Geld verdienen. Die Einnahmen müssen reinvestiert werden, das schreibt das Gesetz Vereinen vor, einen Investor braucht man hier nicht. Der zweite ist die lange Tradition der künstlichen Beschneiung. Als das kleine Skigebiet Ende der 1990er-Jahre wegen der steigenden Temperaturen vor dem Aus stand, konnten die St. Georgener die Landesregierung von einer Förderung für die Schneekanone überzeugen. Seither sind vier weitere dazugekommen. „Sobald es kalt genug ist, beschneie ich“, sagt Liftwart Temper. „Mit dem bisschen Schnee, den es herunterhaut, komme ich nicht weit.“ 70 Betriebstage sind im Durchschnitt drin, nur in enorm warmen Wintern lässt sich gar nichts machen. Negativrekord waren 16 Betriebstage im Jahr 2009.
Ein Hauch von Leben
Das Land Oberösterreich ist bis heute ein zentraler Geldgeber geblieben. Förderungen für neue Skigebiete unter 1000 Meter Seehöhe sind nicht mehr vorgesehen. Weil es jenes in St. Georgen allerdings schon so lange gibt, greift diese Regelung nicht. Zwischen den Jahren 2018 und 2021 flossen laut Rechnungshofbericht 330.000 Euro an Landesförderungen an den Verein „Schorschi“. Diese Summe half, im Winter 2019/20 die Beschneiungsanlage zu modernisieren und 2021 dann eine neue Pistenraupe um 260.000 Euro anzuschaffen. 45 Prozent steuerte die öffentliche Hand bei, den Rest übernahm der Verein. Den laufenden Betrieb finanziert er allein. Wie viel eine Saison kostet, sei von Jahr zu Jahr stark unterschiedlich, sagt Temper. Der größte Posten sei der Strom: Auf 24.000 Euro habe er sich im vergangenen Jahr belaufen.
Die Fördersummen muten absurd an. Warum eine Schmalspurpiste in St. Georgen wirklich eine nigelnagelneue Pistenraupe braucht, ist nur schwer zu beantworten. Aber für die Region ist der „Schorschi“ von großer Bedeutung, der Terminkalender des Vereins prall gefüllt. Fast jedes Wochenende werden auf der Piste Rennen ausgetragen: Die Skiklubs der Gegend ermitteln auf dem Hang ihre besten Slalomfahrer, auch die Naturfreunde und der Wirtschaftsbund des Bezirks messen sich hier. Und am 10. Februar steht die St. Georgener Ortsmeisterschaft auf dem Programm. Der Verein kümmert sich um die Organisation: von der Kurssetzung über die Moderation bis zur Siegerehrung. „Der Lift ist sehr, sehr wichtig. Das schulische Angebot profitiert enorm davon, und die Vereinsaktivitäten hauchen dem Ort sein Leben ein“, sagt Bürgermeister Heinrich Haider (SPÖ) beim Gespräch mit profil. Er arbeitet wie viele St. Georgener nicht im Ort, sondern in der Linzer voestalpine.
Die Gemeinde hat mit den klassischen Problemen des ländlichen Raums zu kämpfen. Statt vier Wirtshäusern gebe es heute nur mehr zwei, das ehemalige Kaufhaus mitten im Ortszentrum stehe leer. Auch die Veranstaltungen seien weniger geworden. „Früher hat es ja noch einen Arbeiterball gegeben“, sagt der 55-jährige Ortschef. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“
Dennoch bleibt Haider optimistisch und betont, wie viel sich noch im Ort tut. Er ist zwar nicht selbst „Schorschi“-Mitglied – ihm fehle die Zeit, er ist Kassier des Sparvereins und Tischtennisspieler –, aber er merke, wie viel sich bei den Skifahrern tue. Temper sagt: „Die Feuerwehr und der Musikverein sind größer, dann kommen aber schon wir.“ 300 Mitglieder hat „Schorschi“, 30 davon bringen sich aktiv in die ehrenamtliche Arbeit ein, sagt der Obmann. Klarerweise komme es da manchmal zu Konflikten, aber das gehöre in so einem Verein eben dazu. „Da kann schon einer einmal sagen, dass der Sebastian Kurz einen Vogel hat“, sagt Temper, der für die ÖVP im Gemeinderat sitzt. „So etwas diskutieren wir einfach aus.“
Die Feuerwehr und der Musikverein sind größer, dann kommen aber schon wir.
Georg Temper
Obmann "Schorschi"
Abschwung unterm Flutlicht
Es ist 17.23 Uhr, und in St. Georgen hat es angefangen, leicht zu regnen. Trotzdem läuft der „Schorschi“ wie jeden Mittwochabend während der Saison. Temper hat das Flutlicht eingeschaltet. Auf dem Parkplatz stehen knapp 20 Autos, rund 50 Skifahrer sind da, die meisten von ihnen Kinder. Die allermeisten von ihnen tragen modische Skianzüge und fahren neue Ski, einige sogar mit gebogenen Stöcken, wie die Profis. Der Regen weicht die Piste zwar auf, ist aber gut präpariert. Am Fuß des Hanges steht der Mittvierziger Gernot Zatl, der zuschaut, während sein Sohn immer wieder die Piste runterfährt. Zatls Großeltern wohnen in St. Georgen, er wohnt in der Umgebung. Er selbst sei schon oft genug hier gefahren, heute habe es ihn nach dem langen Arbeitstag nicht mehr gefreut. „Aber für den Buben ist es super“, sagt er. „Es ist super, dass es das hier gibt. Solange es noch geht.“
Ganz ähnlich sieht es Temper, der wenig später in dem kleinen Container steht und die Reste vom Skiwachs von einem Tisch kehrt. „Wegen der Erwachsenen brauche ich nicht aufsperren“, sagt er. „Aber zu sehen, wie viele Kinder hier zusammenkommen und gemeinsam Spaß haben, taugt mir einfach.“
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Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.