Eine alte Frau sieht in eine Geldbörse, in der sich nur wenige Cent befinden.
Grundversorgung

Bundesländer fordern tausende Euro von ukrainischen Pensionisten zurück

Jahre nach ihrer Flucht müssen Ukrainer:innen Hilfsgelder zurückzahlen. Sie hatten bei der Anmeldung versäumt, die Höhe ihrer Pension anzugeben.

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Die 65-jährige Ukrainerin sucht die Schuld bei sich. Wäre die Flucht bloß nicht so schnell gegangen, wäre ihr Deutsch bei der Ankunft besser gewesen. Dann müsste die Pensionistin jetzt keine Schulden fürchten. Vor zwei Jahren beschloss sie, dem Krieg in ihrer Heimat Ukraine zu entkommen. Als sie nach Österreich floh, gab sie bei ihrer Anmeldung ein Detail nicht an: Ihre Pension, die sie in Odessa bezieht. 50 Euro monatlich, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren zu über 1000 Euro summieren.

Nun droht der Pensionistin eine Nachzahlung an das Bundesland Oberösterreich, in dem sie lebt. Denn: Grundversorgungsleistungen verringern sich um den Pensionsbezug.

Ein entsprechender Rückforderungs-Brief des Landes wurde der Pensionistin bereits angekündigt, er dürfte demnächst zur Post gebracht werden. 

So wie der Frau ergeht es derzeit mehreren pensionierten Ukraine-Flüchtlingen, die meisten davon Frauen. profil hat mit Betroffenen gesprochen, die nun auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind oder sich bei Geschwistern Geld ausleihen. Sie erzählen profil, dass sie bei ihrer Einreise nicht aktiv darüber informiert wurden, ihre Pension anzugeben. Aufgrund von Sprachbarrieren verstanden sie nicht, dass sie den Behörden eine Bestätigung über die Pensionshöhe übermitteln mussten – oder hatten die Unterlagen nicht bei sich. Die Beträge, die sie nun zurückzahlen müssen, sind meist dreistellig und trotzdem unleistbar.

Gefürchteter Brief

Ein Brief des Landes Oberösterreich an eine Betroffene liegt profil vor. Darin wird ihr ein „Überbezug an Grundversorgungsleistungen“ vorgeworfen, da sie ein Pensionsgeld in der Ukraine beziehe. Diesen Überbezug müsse sie zurückzahlen. Die Frau wird vor die Wahl gestellt, den über 500 Euro liegenden Betrag auf einmal oder in mehreren Monatsraten zu berappen. Sollte sie der Aufforderung nicht nachkommen, droht die Abteilung Soziales des Landes mit einem Kostenersatzverfahren.

Einkünfte müssen deklariert werden

Wer trägt die Verantwortung für diese Härtefälle? Wurden die Frauen bei ihrer Ankunft in Österreich ausreichend aufgeklärt? 

Die Ukrainerinnen hätten den Beamten jedes Einkommen  – auch Pensionen – bekanntgeben müssen. So steht es auch auf einem Informationsblatt, das die Betroffenen unterschrieben haben. Doch gegenüber profil erzählen sie von Sprachbarrieren. Deshalb hätten sie einfach unterschrieben, ohne dass sie das Dokument verstanden hätten.

Auf die Frage, ob die Pensionistinnen aus der Ukraine ausreichend aufgeklärt wurden, verweisen mehrere Landesregierungen auf Flüchtlingsorganisationen wie die katholische Caritas, die mit der Beratung der Ukrainer:innen beauftragt waren. 

profil hat auch dort nachgefragt. Eine Caritas-Sprecherin teilt mit: „Diese Voraussetzungen waren ganz zu Beginn (!) des Angriffskrieges auf die Ukraine und der einsetzenden Fluchtbewegung nach Österreich noch etwas unklar, eine Regelung wurde aber sehr rasch gefunden, wonach auch ein etwaiger Pensionsbezug in der Ukraine anzugeben war. Entsprechend wurden die Betroffenen informiert.“

Doch warum erfahren die Pensionist:innen erst jetzt von ihren Rückforderungen? „Ein mögliches Problem“, so die Caritas, liege in der Abwicklung der Grundversorgungsanträge: „Grundsätzlich sind die Grundversorgungsstellen der Länder dafür verantwortlich, zu berechnen, wie sich etwaige Einkommen auf die GVS-Leistungen auswirken. Im Prozess nimmt diese Prüfung oft sehr viel Zeit in Anspruch und es ist es oft unklar, welche Nachweise seitens der Grundversorgungsstellen akzeptiert werden. Dies hat die Konsequenz, „dass Betroffene manchmal erst Monate später einen Bescheid erhalten.“

Das Geld sei dann oft schon ausgegeben: „Es ist bekannt, dass die Grundversorgungsleistungen so gering sind, dass man davon kaum leben kann.“

Die Durchschnittsrente in der Ukraine ist eine der niedrigsten in Europa. Sie beträgt unter 4000 Ukrainische Griwna, also rund 95 Euro. Die betroffene Frau hat ihre Pension bereits ausgegeben: Für die Betriebskosten ihrer Zweizimmerwohnung in Odessa, die sich umgerechnet auf etwa 40 Euro belaufen. 

Ihre Wohnung ist ihre einzige Hoffnung auf eine Rückkehr in die Ukraine, entsprechend hängt sie daran und zahlt. Solche Fälle werden bei der Hilfsbedürftigkeitsprüfung nicht berücksichtigt, manche Experten kritisieren das als Gesetzeslücke. Sie wartet auf den Nachzahlungsbescheid und wird dann wohl auf einem Schuldenberg in Höhe von über Tausend Euro sitzen. 

Die Behörden haben drei Jahre nach der Auszahlung der Leistungen Zeit, Rückerstattungsanspruche zu prüfen. Kärnten startete bereits mit großflächigen Checks. Aus der Landesregierung heißt es, dass „alle in Kärnten ansässigen Fremden, speziell Ukrainer:innen über 60, individuell auf deren Einkünfte und Hilfsbedürftigkeit hin überprüft“ werden. Diese seien in ihrer Muttersprache aufgeklärt worden, betonen mehrere Landesregierungen.

Armutsfalle Grundversorgung

Die betroffene Frau hat ein weiteres Problem: Die 65-jährige hat derzeit überhaupt keine Einkünfte. Sie flog aus der Grundversorgung, weil sie ein Jahr lang in einem kleinen Hotel geringfügig putzte – für 16 Stunden die Woche erhielt sie monatlich 250 Euro. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie dort allerdings Ende des Vorjahres kündigen. 

Seither wartet sie darauf, dass ihr neuerlicher Antrag auf Grundversorgung entschieden wird. Ihre Miete und Lebensmittel finanzieren ihr ihre beiden Töchter. „Ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde“, erzählt die Frau.

Etwa die Hälfte der ukrainischen Vertriebenen (zirka 40.000) befinden sich in Grundversorgung. Ukrainer:innen sind subsidiär schutzberechtigt und dürfen in Österreich arbeiten. Die Beschäftigungsbewilligung ist jedoch kein Garant für eine Anstellung. Dazu kommt: Wer die Grundversorgung erhält, darf höchstens 110 Euro pro Monat verdienen.

Lukas Gahleitner-Gertz vom NGO-Netzwerk asylkoordination sieht Reformbedarf. „Die Grundversorgung erlaubt kein Vermögen. Die Grundversorgung erlaubt kein Ansparen. Um den Absprung aus der Grundversorgung zu schaffen, brauchen Geflüchtete aber ein finanzielles Polster", sagt Gahleitner-Gertz. Wer mehr als etwa eine Monatsrate von der Grundversorgung (420 Euro) auf die Seite legen kann, gilt nicht mehr als hilfsbedürftig. Um eine „Zukunftsperspektive auf eigenen Beinen zu ermöglichen“ sollen. Laut dem Asylrechtsexperten sollten Geflüchtete bis zu sechs Monatsraten Zeit bekommen, um Geld anzusparen, ohne gleich aus der Unterkunft und Grundversorgung katapultiert zu werden.

Die Grundversorgung treibe Hilfsbedürftige in die Armut. Gahleitner Gertz fordert die direkte Anbindung an das AMS im Sozialhilfe-System „oder zumindest die Umsetzung der erhöhten Freibetragsgrenze für den Zuverdienst in allen Bundesländern“. Das könne dazu führen, dass Betroffene wie die Frau aus Odessa nicht monatelang auf Hilfsleistungen warten müssen, wenn sie ihren Job verlieren.

Arbeiten gehen kann die 65-Jährige nicht mehr. Sie hofft weiter darauf, ein zweites Mal in der Grundversorgung aufgefangen zu werden – trotz Schulden.

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.