Ukrainischer Außenminister Klimkin: "Ich rechne mit russischen Störmanövern"
INTERVIEW: OTMAR LAHODYNSKY
profil: Ukrainer dürfen seit Kurzem ohne Visum in die EU einreisen. Aber tut die EU sonst genug für die Ukraine? Die Beitrittsoption ist wegen des Krieges in der Ostukraine in weite Ferne gerückt. Pawlo Klimkin: Die Beitrittsoption wird da sein, wenn sowohl wir als auch die EU dazu bereit sind. Die Reisefreiheit ist für uns Ukrainer ein wichtiges Ergebnis im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu Europa. Bis vor über 100 Jahren gab es sogar eine direkte Bahnverbindung von Wien nach Lemberg und Czernowitz. Wir können also sagen, der ukrainische Zug kehrt nun zurück. Die Auffassung in der EU über die Ukraine hat sich drei Jahre nach den Majdan-Protesten grundlegend geändert, und zwar in eine positive Richtung. Die Unterstützung ist da. Aber ob die EU genug für die Ukraine tut? Wahrscheinlich nicht ganz.
profil: Das Handels- und Kooperationsabkommen war lange von der EU blockiert. Klimkin: Wir haben jetzt die Visa-Freiheit erreicht und unser Assoziations- und Kooperationsabkommen ratifiziert. Unsere Situation ist nicht einfach, aber wir gehen unseren Weg als demokratisches, europäisches Land weiter. Wir kämpfen für ein ganz neues Verständnis von Europa. Denn zuvor verlief die Teilung Europas lange entlang der Grenze der Sowjetunion. Diese Linie gilt nicht mehr. Die Idee von Wladimir Putin, das alte sowjetische Imperium wiederzuerrichten, hat in der Ukraine ihr Ende gefunden. Nach diesem Krieg, den Russland unter Verletzung des Völkerrechts gegen uns begann, wollen die Ukrainer nie wieder unter russischer Dominanz leben. Es gibt nach den Entscheidungen Putins kein Vertrauen mehr. Wir gehen in eine andere Richtung.
profil: Die EU hat Sanktionen gegen Russland eingeführt. Erscheinen sie Ihnen noch sinnvoll? Klimkin: Wir brauchen die Sanktionen – nicht als Strategie, sondern als Werkzeug, um Russland dazu zu bringen, die Vereinbarungen von Minsk umzusetzen und die Krim-Besatzung aufzugeben. Sobald die Russen die Donbass-Region verlassen, könnte man die Sanktionen schrittweise aufheben. Da haben wir nichts dagegen. Wir sind auch offen für die Stationierung von internationalen Beobachtern, aus der OSZE oder den Vereinten Nationen – nur keine Russen. Wir hatten und haben immer noch zu viele bewaffnete Russen in dieser Region. Damit muss Schluss sein.
profil: Österreichs Bundeskanzler Christian Kern sprach sich vor Kurzem in St. Petersburg für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland aus. Klimkin: Österreichische Unternehmen hätten diese Sanktionen gern aufgehoben, um wieder gute Geschäfte mit Russland machen zu können. Aber die Situation in Russland hat sich geändert. Österreichische Firmen verdienten dort vor ein paar Jahren noch gut, aber damals lag der Ölpreis bei 100 Dollar pro Fass oder darüber. Wer glaubt, dass man wirtschaftlich an die alten Zeiten anknüpfen kann, sobald die Sanktionen aufgehoben sind, irrt. Außerdem geht es bei diesen Sanktionen nicht nur um uns. Es geht darum, ob Europa überhaupt noch auf Regeln basiert und ob aggressives Handeln Russlands weiterhin toleriert wird.
profil: Daran sollen es die Sanktionen hindern? Klimkin: Unter anderem auch. Russland hat sich aggressiv und unverhohlen in Wahlkämpfe im Westen eingemischt. Jetzt wäre Österreich an der Reihe. Die Sanktionen sind die einzige Verteidigung und die einzige Linie zwischen Gut und Böse, die vom Westen gezogen wurde, als Russland alle möglichen Verträge brach. Keine Sanktionen heißt kein Unterschied zwischen Völkerrecht und Gesetzeslosigkeit. Das wäre ein ganz anderes, schwaches Europa.
profil: Welche Indizien haben Sie für eine mögliche Einmischung Putins in Österreich? Klimkin: Österreich ist bedeutsam für Putin. Er sieht hier die Möglichkeit, das europäische Projekt zu schwächen. Niemand weiß, was in diesem von Russland geführten Krieg als Nächstes passiert. Russland führt einen hybriden Krieg gegen uns, mit konventionellen und unkonventionellen Methoden. Noch denken viele EU-Bürger nicht an eine Bedrohung, aber das war in der Ukraine vor fünf Jahren genauso. Niemand hat damals bei uns daran gedacht, dass Russland in der Krim und andere Teile der Ukraine einmarschieren würde. Hätten wir schon damals Moskau genauer zugehört, hätten wir den kommenden Krieg erkennen können. Das empfehle ich auch Europa: Lernt aus unseren Fehlern. Hört immer genau zu, was Russland sagt, nicht ins Gesicht, sondern hinter Ihrem Rücken.
profil: Wie könnte sich Russland in die österreichische Innenpolitik einmischen? Durch Stärkung der FPÖ, die im Vorjahr mit Putins Partei „Einiges Russland“ einen Kooperationsvertrag geschlossen hat? Klimkin: Die Einmischung könnte in Form von Geldflüssen erfolgen oder durch Verbreitung von Fake News, Propaganda, Cyberwar. Russland ist leider sehr gut bei der Entwicklung von hybrider Kriegsführung. Ich rechne ernsthaft mit russischen Störmanövern in Österreichs Wahlkampf. Auch viele meiner Freunde in den USA glaubten lange Zeit nicht, dass sich Russland in den US-Präsidentenwahlkampf einmischen könnte. Aber: Mit Russland müsst ihr auf alles gefasst sein. Denn für den Kreml gibt es keine Regeln.
profil: Was hat denn Russland zuletzt an Cyberkrieg-Methoden gegen die Ukraine erprobt? Klimkin: Eine ganze Menge. Etwa das „Black Power Virus“, das unsere Energieversorgung befallen hat. Es gibt auch zahlreiche Hacker-Angriffe, Einflussnahme in unseren Netzwerken und sozialen Medien. Erst vor wenigen Tagen haben wir russische soziale Netzwerke bei uns untersagt, nicht wegen der Inhalte, sondern wegen verschiedener Arten von Einschüchterung und Propaganda. Russische TV-Sender verbreiten alle möglichen Lügen, die an totale Gehirnwäsche grenzen. Dieselben Methoden könnten zur Einflussnahme in der EU angewendet werden, auch in Österreich.
Österreich kann sich Neutralität leisten, wir nicht.
profil: Um damit die EU zu schwächen? Klimkin: Putin will eine Neuteilung der Welt und Kontrolle in Europa. Dafür muss er demokratische und unabhängige Strukturen unterminieren. Die EU ist für ihn so gefährlich, weil sie für eine bestimmte Idee steht. Putin hat keine Idee, die für andere Länder attraktiv wäre. Sogar die Ukraine hat sich abgewandt. Putin will, dass jeder nur mehr an sich denkt und nur in Kategorien des Profits denkt. Dann hat er gewonnen. Nur die EU als Verkörperung der westlichen Idee steht im Wege.
profil: Vor einer Woche hat das ukrainische Parlament die NATO-Mitgliedschaft als strategisches Ziel bestätigt. Wird es die NATO wagen, die Ukraine aufzunehmen, wenn sie damit eine militärische Konfrontation mit Russland riskiert? Klimkin: Wir waren blockfrei und de facto neutral, als wir von Russland angegriffen wurden. Diesen Fehler werden wir nicht wiederholen. Österreich kann sich Neutralität leisten, wir nicht. Die NATO ist eine Sicherheitsgemeinschaft, die auf demokratischen Werten beruht. Sie steht uns nahe, und wir sind für die NATO wichtig. Daher machen wir uns für die NATO fit und sehen den Beitritt als Ziel. Was die NATO letztlich wagen wird, ist eine hypothetische Frage. Putin will die Ukraine destabilisieren und unser Projekt, ein europäisches und effizient demokratisches Land zu werden, zerstören.
profil: Wurde das Ziel einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine durch den neuen US-Präsidenten Donald Trump erschwert? Er hat neue Beziehungen mit Russland versprochen. Klimkin: Die Aufnahme der Ukraine stellt für die NATO einen Mehrwert dar. Das westliche Bündnis muss sich auf neue Herausforderungen vorbereiten, und das geht leichter mit der Ukraine als ohne uns. Wir haben gezeigt, dass wir für unser Land kämpfen. Wir sind kein leichtes Ziel mehr. Es geht nicht nur um Ausrüstung oder unsere Erfahrung mit hybrider Kriegsführung der Russen. Unsere NATO-Partner können von uns viel lernen. Es geht um Taktik, Widerstandsfähigkeit und Kampfbereitschaft. Ohne diese nützt die moderneste Bewaffnung nichts.
profil: Zuletzt gab es Wirbel um österreichische Soldaten, die in der Ukraine als Söldner arbeiteten. Einer wurde nun wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Klimkin: Bei uns ist es – wie in anderen Ländern – legal, Ausländer unter Vertrag der Armee zu nehmen. Benjamin F. ist ein Sanitäter, dessen Aufgabe es war, Verwundeten zu helfen. Laut seinen Kameraden hat er das auch getan. Dass er auf freien Fuß gesetzt wurde, zeigt, dass Österreichs Richter das auch so sehen.
Pawlo Klimkin, 49, ist seit 2014 Außenminister der Ukraine. Der diplomierte Physiker war zuvor Botschafter seines Landes in Deutschland und Experte für Abrüstung. In Kiew leitete er die Europa-Abteilung. Klimkin war am 10. Juni Referent beim Europaforum des Landes Niederösterreich in Göttweig, wo auch das profil-Interview stattfand.