Ulli Sima: „Ich verabscheue Fahrradstreifen“
Ulli Sima (SPÖ) ist die längstdienende Stadträtin in der Wiener Landesregierung. profil trifft die studierte Molekularbiologin im Rathaus. Ein Gespräch über Hundstrümmerl, Radwege und Kleingärten.
An Ihrer Tür steht Ulli Sima, Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität. Was wurde aus dem Verkehr?
Ulli Sima
Dass es Mobilität und nicht Verkehr heißt, hat schon eine längere Tradition. Es ist ein umfassenderer Begriff und ich glaube auch ein modernerer Begriff.
Ist der Begriff Verkehr zu negativ behaftet?
Ulli Sima
Vielleicht ist das der Grund. Ich bin nicht die Erste, die diesen Begriff gewählt hat. Wenn man so will, ist das auch ein gewisser Trend.
Sie sind seit 2004 Stadträtin. Womit haben Sie die Stadt am meisten geprägt?
Ulli Sima
Das „Sackerl für’s Gackerl“ fällt mir als erstes ein. Das klingt heute ein bisschen komisch, aber als ich begonnen habe und die Wienerinnen und Wiener gefragt habe „was ist das größte Problem in Wien?“, ist 30 Jahre lang in allen Umfragen Hundekot die Nummer eins gewesen. Das kann man sich heute eigentlich nicht mehr vorstellen. Noch vor Migration, Kostensteigerungen, Mieten und all diesen Themen war das konstant die Nummer eins. Und wir haben uns dann getraut, mit den Sackerl-Spendern eine gute Infrastruktur aufzubauen und dann zu sagen „wer sich nicht an die Spielregeln hält, muss Strafe zahlen.“ Das war ein unglaublicher Paradigmenwechsel, heute ist das selbstverständlich.
Ihre politische Karriere begann unter Michael Häupl. Worin unterscheidet sich der Altbürgermeister zum amtierenden Bürgermeister Michael Ludwig?
Ulli Sima
Ich habe das Glück, unter zwei hervorragenden Chefs lange in der Landesregierung sein zu können. Ich würde nicht von vielen Unterschieden reden. Jeder deckt ein wichtiges Feld ab und hat seine besonderen Vorzüge. Beide machen einen hervorragenden Job. Michael Ludwig macht ihn in schwierigen Zeiten - in den letzten Jahren haben wir nur Krisen gehabt und er steuert mit sehr ruhiger Hand durch diese durch.
Wir wollen nicht, dass die Pendler mit dem Auto nach Wien kommen. Das ist unser erklärtes politisches Ziel.
Seit zwei Jahren gilt das Parkpickerl in ganz Wien - zur Unzufriedenheit von vielen Pendlerinnen und Pendlern - ein Erfolgsmodell?
Ulli Sima
Wir haben uns 2021 mit allen Bezirken geeinigt. Wer die lange Vorgeschichte dazu kennt, muss anerkennen, dass es eine gewisse Leistung war, alle Bezirke unter einen Hut zu bringen, um das Parkpickerl in ganz Wien zu vereinheitlichen. Ich finde, das ist ein Erfolgsmodell.
Was die Pendlerinnen und Pendler betrifft: Wir wollen nicht, dass die Pendler mit dem Auto nach Wien kommen. Das ist unser erklärtes politisches Ziel. Drei Viertel aller Menschen in Wien gehen zu Fuß, nutzen das Rad oder die Öffis für den Arbeitsweg - wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn wir uns die Pendler ansehen, ist es umgekehrt - zwei Drittel kommen mit dem Auto nach Wien. Das hat so keine Zukunft. Deswegen drängen wir auf grenzüberschreitende öffentliche Verkehrsmittel. Wo wir noch immer darauf warten, ist, dass Niederösterreich endlich in die Gänge kommt. Wir können nur auf dem Wiener Gebiet etwas machen und Niederösterreich muss natürlich auch einen Teil dazu beitragen.
Was die Pendlerinnen und Pendler betrifft: Wir wollen nicht, dass die Pendler mit dem Auto nach Wien kommen. Das ist unser erklärtes politisches Ziel. Drei Viertel aller Menschen in Wien gehen zu Fuß, nutzen das Rad oder die Öffis für den Arbeitsweg - wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn wir uns die Pendler ansehen, ist es umgekehrt - zwei Drittel kommen mit dem Auto nach Wien. Das hat so keine Zukunft. Deswegen drängen wir auf grenzüberschreitende öffentliche Verkehrsmittel. Wo wir noch immer darauf warten, ist, dass Niederösterreich endlich in die Gänge kommt. Wir können nur auf dem Wiener Gebiet etwas machen und Niederösterreich muss natürlich auch einen Teil dazu beitragen.
Sie können als Wiener Stadträtin nur die Verkehrspolitik für Wien gestalten. Natürlich beharren Sie darauf, dass Niederösterreich und das Burgenland mehr Engagement zeigen sollten. Sollte der Bund mehr Strenge zeigen, damit die Verkehrspolitik ins Rollen kommt?
Ulli Sima
Ja, auf jeden Fall. Wir müssen uns als Großregion sehen und dazu gehört der Speckgürtel um Wien herum. Deshalb ist es total wichtig, die Öffis noch stärker zu verzahnen. Straßenbahnen wie nach Schwechat, Groß Enzersdorf oder Kaltenleutgeb hat es früher schon einmal gegeben und wir sollten das wieder verstärkt beginnen. Ich bin mir leider nicht sicher, ob das die niederösterreichische Seite auch so sieht - vom Bund würde es sogar Unterstützung geben. Im Großraum Wien wird niemand das Problem alleine lösen können.
Vom Großraum Wien zur Innenstadt Wiens. Woran hakt es, dass das Verkehrsministerium die gesetzliche Grundlage für die autofreie City nicht schafft?
Ulli Sima
I don’t know - mir ist es ein Rätsel. Wir haben eine grüne Ministerin (Anm: Leonore Gewessler), die immer von Verkehrsberuhigung spricht. Wir haben, mit Ausnahme der FPÖ, eine Vier-Parteien-Einigung im ersten Bezirk auf dem Silbertablett präsentiert. Es soll nur mehr 26 Einfahrten in die Innere Stadt geben. Damit würden wir 15.000 PKW Einfahrten täglich einsparen und ein Viertel der Parkplätze freistellen. Das heißt, diese Flächen könnten dann auch anders genutzt werden. Man müsste nur einen Halbsatz in das Gesetz einfügen, aber seit drei Jahren lassen sie mich bitten und betteln. Es kommt nichts. Mein Eindruck ist, dass die das bis zur Nationalratswahl aussitzen.
Wie bestreiten Sie Ihren Arbeitsweg ins Rathaus?
Ulli Sima
Ich habe mir letztes Jahr ein kleines E-Bike zugelegt. Das macht unheimlich viel Spaß, mit den dienstlichen Wegen bin ich schon 1200 Kilometer damit gefahren.
Und wenn es regnet?
Ulli Sima
Ich gehe zu Fuß. Ich fahre mit der Straßenbahn. Ich nutze auch das Auto. Ich würde nicht behaupten, dass ich nie das Auto nutze.
Als ich das Ressort übernommen habe, dachte ich, dass es in Wien ein gutes Fahrradnetz gibt. Relativ schnell wurde ich eines besseren belehrt - es ist lückenhaft.
Sie wollen in dieser Woche die größte Radwege-Offensive vorstellen. Wie sollen Fahrräder den Wiener Verkehr entlasten?
Ulli Sima
Jeder, der im Sommer Rad fährt, wird bestätigen, dass es trotz größerer Radwege ziemlich voll auf denen wird. Was uns gelingen muss, ist, auch lange Strecken attraktiv zu machen. Als ich das Ressort übernommen habe, dachte ich, dass es in Wien ein gutes Fahrradnetz gibt. Relativ schnell wurde ich eines besseren belehrt - es ist lückenhaft. Früher ist niemand 15 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren, mit E-Bikes sind längere Strecken inzwischen einfacher zu bewältigen. Das heißt, auf der Südstrecke bei der Argentinierstraße und über Lückenschlüsse in Favoriten kommt man bis zur Stadtgrenze. Das ist eine immer wichtigere Perspektive: Nicht nur den Wienern ein Angebot zu machen, sondern auch denen, die im Speckgürtel wohnen, eine attraktive Route in die Stadt zu bieten.
Sprechen wir von Mehrzweckstreifen oder baulich getrennten Radwegen?
Ulli Sima
Wir bauen baulich getrennte Radwege oder Fahrradstraßen. Ich persönlich verabscheue Fahrradstreifen. Ich fühle mich auf denen unsicher. Rechts stehen die Parker, links die Autos und die Radfahrer dazwischen. 80 Prozent der neu geschaffenen Radwege werden baulich getrennt sein, der Rest sind Fahrradstraßen, Radfahren gegen die Einbahn oder auf der Busspur.
Ihre Vorgängerin Birgit Hebein ließ Pop-up Radwege errichten. Sie wollen jetzt ordentliche Radwege bauen. Ist das ein Versuch der Wiener SPÖ, die Agenden der Grünen zu übernehmen?
Ulli Sima
Es sind nicht nur mehr grüne Themen. Radfahren war mal eine Nischengeschichte, jetzt ist es in der breiten Bevölkerung angekommen. Ich glaube jede Mobilitätsform verdient ein ordentliches Grundnetz zu haben. Wir haben ein gutes Straßennetz, ein sehr gutes Öffi-Netz, aber wir haben ein lückenhaftes Radnetz. In einer Legislaturperiode schafft man das aber nicht. Wir werden vieles bis 2025 auf den Weg bringen - nochmal fünf Jahre und dann haben wir ein Radnetz, dass sich, ohne sich zu schämen, auch so nennen darf.
Für uns ist es nicht von Interesse und auch nicht die Aufgabe zu wissen, wer wo wohnt oder möglicherweise von irgendwas profitiert.
In der Causa Kleingärten in der Donaustadt hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen, Ihr Ressort behauptete nach einer Prüfung, alle Schritte des Widmungsverfahrens ordentlich durchgeführt zu haben.
Ulli Sima
Das Widmungsverfahren ist unter meiner Vorgängerin Birgit Hebein begonnen worden. Ich glaube, sie ist nicht verdächtig, dass sie irgendwem einen besonderen Gefallen hätte tun wollen. Widmungsverfahren sind lange kollektive Prozesse, indem kein Einzelner entscheidet. Das heißt, der wichtigste Schritt im Widmungsverfahren ist der Startschuss - das muss die Stadträtin freigeben. Der Bezirk bekommt das zur Stellungnahme und je nachdem wie diese ausfällt, wird es zum Ende dem Gemeinderat vorgelegt, der das beschließen muss. Es war überall einstimmig, es hat keine Diskussionen gegeben. Es war eine Umwidmung, wie sie vielfach in Wien stattfindet.
Wäre es nicht die Aufgabe eines Planungsbüros, einem aktiven Amtsträger mitzuteilen, dass eine Umwidmung nach außen eine schiefe Optik aufwirft?
Ulli Sima
Wir schauen uns nie an, wer wo wohnt, das könnten wir auch nicht bei bis zu einer Million Quadratmetern, die wir jedes Jahr umwidmen. Für uns ist es nicht von Interesse und auch nicht die Aufgabe zu wissen, wer wo wohnt oder möglicherweise von irgendwas profitiert. Wir blenden das aus. Was für uns zählt, und da spreche ich auch für Birgit Hebein: Macht es Sinn dort? Sind die Voraussetzungen erfüllt? Wie sind die Öffi-Anbindungen?
Alkoholverbote, Öffi-Ausbau oder Sackerl fürs Gackerl sind Themen, die die Wienerinnen und Wiener direkt betreffen. Wo ist der Punkt, um nach Bürgerbeteiligung zu fragen und wo gilt es die höheren Interessen der Stadt durchzusetzen?
Ulli Sima
This is the prize question. Wir bemühen uns, die Bürgerinnen und Bürger standardmäßig miteinzubeziehen. Du musst die Leute mitnehmen und das habe ich versucht bei der Verkehrsplanung verstärkt zu machen - weniger in Konflikte mit den Bezirken zu gehen und mehr Kompromisse mit den Bezirksvorstehungen auszuhandeln. Wenn ich nur einen Radweg baue und Parkplätze wegnehme, haben die Bezirke wenig davon. Wenn Begrünung, Trinkbrunnen und Aufenthaltsplätze angeboten werden, bekommt das viel mehr Akzeptanz.
In Wien wurde 2014 die Bevölkerung zur Farbe der neuen U-Bahnlinie gefragt. Ob sie ein neues U-Bahnprojekt wollen, fragte sie niemand.
Ulli Sima
Ich glaube, das wäre eine No-Na-Frage gewesen. Jeder will eine zusätzliche U-Bahn, aber die Baustellen zur zusätzlichen U-Bahn will wahrscheinlich niemand. Hätten wir gefragt „wollt ihr eine U5?“, wäre das auf jeden Fall mit Ja ausgegangen. Hernals wird angebunden und der Wienerberg, das ist ein zusätzliches Asset für die Stadt.
Wer in Wien aufgewachsen ist, kennt Ihr Bild aus Parkanlagen. Wissen Sie, wie viele Portraits von Ihnen im öffentlichen Raum hängen?
Ulli Sima
(lacht) Nein, keine Ahnung. Für die Parks bin ich seit drei Jahren nicht mehr zuständig und inzwischen ist es auch nicht mehr zeitgemäß. Für die neuen Radwege werden wir keine Schilder aufstellen.
Interview: Kevin Yang, Bilder: Alexandra Unger