Ulrike Haider: "Wieso soll ich mich genieren?“
Anmerkung: Dieses Interview erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe Nr. 14/2014 vom 31.03.2014.
INTERVIEW: CHRISTA ZÖCHLING
profil: Ich habe Sie bei Veranstaltungen erlebt. Sie wirken nicht wie jemand, der das Rampenlicht sucht. Machen Sie das aus Loyalität zu ihrem Vater? Ulrike Haider: Ich nehme die Chance wahr, die sich aus meiner Familiengeschichte heraus ergeben hat. In der EU-Politik sind neue Gesichter wichtig, vielleicht auch ein unpolitischer, unbelasteter Zugang zur Politik. Ich möchte ideologiefrei arbeiten. Ich glaube an dieses Europa. Diese Aufgabe ist neu für mich. Aber ich habe von klein auf Politik von innen erlebt und keine Angst vor anderen Standpunkten. Wir sind angefeindet worden. Wir haben gelernt, uns zu stellen.
profil: Sie waren begeisterte Europäerin, während ihr Vater Jörg Haider kaum ein gutes Haar an Europa ließ. Gab es da Streit am Familientisch? Haider: Als 17-, 18-Jährige war ich fasziniert von der Erasmus-Idee. Ich wollte unbedingt nach Frankreich. Ich habe fremde Sprachen gelernt und bin in neue Welten eingetaucht. Ich hab’ mit ihm oft diskutiert. Ich hab gesagt: Lieber Papa, uns bringt Europa auch Chancen. Er hat gesagt: Europa ist so unterschiedlich, dass ein zentralistisches System uns Schwierigkeiten bringen wird. Bei mir setzte die Enttäuschung ein, als ich erfahren musste, wie sehr Europapolitik von nationalen Interessen getragen wird.
profil: Was ist für Sie Heimat? Haider: Das ist dort, wo man dich kennt, wo du deine Kindheit verbracht hast. Ich habe meinen Hauptwohnsitz in Kärnten und dort ist meine Heimat.
profil: Haben Sie sich geniert, im Bärental aufzuwachsen? Haider: Wieso sollte ich mich genieren?
profil: Weil das Bärental ein ehemals arisierter Besitz ist? Haider: Ich fände es gut, wenn man die Dinge über das Bärental so schreibt, wie es sich wirklich zugetragen hat. Das hatte mit einer Arisierung nichts zu tun.
profil: Der NS-Fachausdruck dafür hieß "Entjudung“, weil die jüdischen Besitzer italienische Staatsbürger waren. Flüchten mussten sie dennoch und unter Druck verkaufen. Haider: In den 1950er-Jahren wurde diese Geschichte gerichtlich gelöst.
profil: Viele haben Eltern, die in der Nazi-Zeit lebten und schuldhaft verstrickt waren … Haider: Mein Vater nicht.
profil: … oder Großeltern. Haben Sie sie gefragt, warum sie glühende Nationalsozialisten waren? Haider: Natürlich beschäftigt man sich. Wir haben auch unsere Großeltern gefragt, wie es dazu kam. Wir konnten sehr offen mit ihnen diskutieren. Es war eine grausame Zeit. Meine Großmutter, mit der ich sehr viel darüber gesprochen habe, sieht das mit einer großen Distanz. Einer ganzen Generation wurde die Jugend genommen, sie wurden getäuscht von einer Ideologie. Sie ist froh, dass sie durch die Distanz die Dinge jetzt so sieht, wie sie wirklich waren.
Nationalisten und Rechtspopulisten sind keine Option.
profil: Warum hat Ihr Vater immer wieder den Nationalsozialismus verharmlost? Haider: Das war ein Thema, das meinem Vater immer umgehängt wurde. Er hat in einem gewissen Ausmaß dazu beigetragen, dass das möglich war. Aber er hat dieses menschenverachtende System nie verharmlost. Und er hat sich aus dieser Rolle - ich sage bewusst Rolle, es war absolut nicht seine Überzeugung - emanzipiert. In den letzten Jahren, seit Gründung des BZÖ war er der Jörg Haider, der er für mich immer war: ein sehr liberaler Politiker mit zündenden Ideen, mit Einsatz für das Volk, mit unkonventionellen Ansätzen in der Politik, der in Wirklichkeit ideologiefrei agiert hat.
profil: Was halten Sie von Andreas Mölzer, lange Zeit ein Wegbegleiter Haiders? Haider: Der Herr Mölzer bagatellisiert ein totalitäres Regime und leistet sich rassistische Aussagen. Damit will ich auf keiner Ebene etwas zu tun haben.
profil: In Meinungsumfragen liegen Sie unter der Wahrnehmungsschwelle. Aber würden Sie mit Marine Le Pen oder der Lega Nord eine Fraktion bilden? Haider: Keinesfalls. Nationalisten und Rechtspopulisten sind keine Option. Die Mehrheit der Österreicher will ja auch in der EU bleiben. Ich bin überzeugt, mein Einzug ins EU-Parlament wird gelingen. Alles andere wird sich weisen.
profil: Im Jahr der EU-Sanktionen wurde Ihr Vater vom Stadtrat in Venedig zur unerwünschten Person erklärt, in Rom streikten jüdische Geschäftsinhaber, und das italienische Außenamt bat, man möge dafür sorgen, dass Haider nicht mehr in Italien auftauche. Warum gingen Sie trotzdem nach Rom? Haider: Anfang 2001 bekam ich das Angebot. Anfeindungen habe ich persönlich nicht erlebt.
profil: Damals wurde doch jeder Österreicher im Ausland auf Haiders Lob für die Beschäftigungspolitik des "Dritten Reichs“ oder SS-Veteranen angesprochen. Sie nicht? Haider: Klar löste der Name etwas aus. Es war ebenso oft Bewunderung für die Politik Haiders wie Ablehnung. Später ist das abgeklungen. Da war er nicht mehr der Politiker der 1990er-Jahre, der mit sehr harten Sprüchen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man muss das auch aus der Zeit heraus verstehen. Das hat es gebraucht, um etwas in Bewegung zu bringen. Von 2005 bis 2008 war es der Haider, der er wirklich war.
profil: Waren Sie erleichtert, dass Jörg Haider 2000 den Parteivorsitz zurücklegte und nicht in die Regierung ging? Haider: Ich war schwer enttäuscht. Ich hätte mir gewünscht, dass er Vizekanzler geworden wäre. Er dachte damals, wenn er in die Regierung geht, würde sich Europa nie mehr beruhigen. Das war ein Irrtum.
profil: Haben Sie nie rebelliert? Nicht einmal gegen die Plakate gegen "Überfremdung“? Haider: Ich habe sehr viel mit meinem Vater über solche Dinge diskutiert. Er musste eine gewisse Gratwanderung machen, weil er aus einer liberalen Position heraus operiert hat. Und die Themen, die die österreichische Gesellschaft interessieren, sind eben Ausländerthemen, die Themen, die auch die FPÖ jetzt spielt.
profil: Sie werden den alten Haider-Fans, die jetzt "Haider-Tochter-Schauen“, nicht die scharfen Töne bieten? Haider: Das überlasse ich gern dem Strache.
Mein Vater hatte große Sensibilität für die Thematik der Minderheiten.
profil: Was halten Sie von Aufstieg und Fall des Silvio Berlusconi? Haider: Berlusconi ist ein wenig transparenter Politiker, mir nicht wirklich sympathisch. Jetzt ist mit Matteo Renzi, dem neuen Premierminister, eine unbelastete Generation am Werk. Hier gehöre ich dazu. Ich verstehe mich als Teil der Renzi-Generation.
profil: Auf welcher Seite waren Sie im Kärntner Ortstafel-Konflikt? Haider: Die slowenische Minderheit in Kärnten genießt einen sehr hohen Schutz. Durch zweisprachige Kindergärten wird Mehrsprachigkeit forciert. Die slowenische Minderheit sollte aus ihrem Schneckenhaus herauskommen. Das sind privilegierte Europäer. Da hat die Kärntner Politik Vorbildwirkung.
profil: Durch Verrückung von Ortstafeln? Haider: Mein Vater hatte große Sensibilität für die Thematik der Minderheiten.
profil: Haider sagte: Kärnten müsse deutsch bleiben. Haider: Das war Kärntner Tagespolitik.
profil: Ihre Familie glaubt noch immer, bei der Klärung der Todesumstände von Haider sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen? Haider: Es war einiges merkwürdig. Vor allem aber war die Berichterstattung sehr pietätlos. Man hat dabei nicht an die Familie gedacht. Da ist eine menschliche Tragödie passiert. Da ist die Jörg-Haider-Jagdgesellschaft noch einmal aufgelebt.
profil: Sie spielen darauf an, dass nach Haiders Tod in österreichischen Medien Gerüchte über homosexuelle Neigungen kursierten. Das war durch die Umstände kaum zu verhindern. Haider: Gerüchte, eben. Es geht ja jetzt munter weiter mit der Hypo. Wieder werden irgendwelche Annahmen als Tatsachen präsentiert. Ich fordere lautstark einen Untersuchungsausschuss. Dann kommen endlich Fakten auf den Tisch.
profil: Wem sind Sie eigentlich verpflichtet? Ihrer Familie oder dem BZÖ? Haider: Es ist meine Liste. Ich habe die Freiheit bekommen, meinen politischen Weg selbst zu entwickeln. Ich bin keinen Parteizwängen unterworfen.
Dr. Dr. Ulrike Haider-Quercia, 37 Die promovierte Juristin und Politikwissenschafterin ist seit 2005 mit dem Politologen Paolo Quercia verheiratet und Mutter des zweijährigen Giorgio-Jörg. Die junge Familie lebte in den vergangenen Jahren in Rom, besitzt aber auch ein Haus im Bärental.