Landtagswahl

Umbruch in Tirol: Sieger sehen anders aus

Warum die ÖVP auf allen Ebenen mehr Selbstreflexion bräuchte und es keine Koalition der Wahlsieger geben wird. Drei Thesen zur Landtagswahl.

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1. Wenn nur der Spitzenkandidat bescheiden ist, reicht es nicht

Zumindest gutes Erwartungs-Management bewies die ÖVP: Etwas mehr als 30 Prozent, ein „guten Dreier“, das waren die Wünsche von Spitzenkandidat Anton Mattle am Sonntagmorgen. Am Abend wurden sie erfüllt: Etwas mehr als 34 Prozent Stimmen erhielt seine Partei. Erleichtert und beinahe vermessen verwies man in der ÖVP-Zentrale darauf, dass manche Umfrage noch von einem schlechteren Abschneiden ausgegangen war. Es sollte Stärke zeigen, legt aber bloß das wahre Ausmaß der Krise offen: Hier zeigte man sich beruhigt über ein Minus von zehn Prozentpunkten, über das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei.

Anton Mattle mag man vorwerfen, dass er nie in die erste Reihe gedrängt hat, dass er in seiner Themensetzung manchmal erratisch war. Aber er zeigte sich in den vergangenen Wochen zumindest bescheiden und erkannte die Probleme seiner Partei an. Etwas mehr Selbstreflexion wäre auch an anderer Stelle angebracht. Denn die Verantwortung für die Niederlage tragen großteils andere: Im Tirol gab Günther Platter überstürzt die Obmannschaft ab, um nicht mehr den nächsten Wahlkampf führen zu müssen. Im Landeshauptmann-Sessel blieb er allerdings sitzen, um die Macht noch etwas länger zu behalten. In Wien kämpft die Bundespartei nach wie vor mit den Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP und (ehemalige) Spitzenfunktionäre. Sie ist aber eher mit Selbstverteidigung als Selbstreflexion beschäftigt. Der neue Generalsekretär, Christian Stocker, bleibt auch dabei. Er sprach am Sonntag von einem „respektablen Ergebnis“. Die Wählerinnen und Wähler verlangen nach mehr Aufräumarbeiten und Ehrlichkeit – und das gilt wohl nicht nur in Tirol.

2. Die MFG ist eine Single-Issue-Partei – und bisher eine Single-Bundesland-Partei

Die Corona-Pandemie spielte im Tiroler Wahlkampf eine erstaunlich kleine Rolle, und das galt auch für die MFG: Die Impfgegner-Partei verfehlte den Einzug in den Landtag deutlich. Der Plan der Volkspartei ging in diesem Punkt auf: Ein Grund, die Wahl vorzuverlegen, war auch die Sorge vor einer neuen Coronawelle. Das sind schlechte Nachrichten für die MFG – für die Bundespräsidentenwahl, aber auch für die kommenden Landtagswahlen. Selbst wenn mit steigenden Infektionszahlen auch ihr Stimmenanteil wachsen sollte: Langfristig scheint die Partei keine Zukunft zu haben. Der Erfolg bleibt ihr in Oberösterreich. Zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode.

3. Bittere Niederlage für die Grünen. Jetzt kommen Experimente – oder eine Große Koalition

Am ehrlichsten gingen die Grünen mit ihren Verlusten um, aber sie hatten auch kaum eine andere Wahl: Die Partei erreichte laut Hochrechnungen nur ein einstelliges Ergebnis. Das Spitzenduo Gebi Mair und Petra Wohlfahrtstätter analysierten es am Sonntagabend selbst. Zuerst politisch: ein Regierungsauftrag sei das nicht. Dann mathematisch: Schwarz-Grün ist Geschichte. Beide Koalitionsparteien leiden unter massiven Vertrauensverlusten.

Nur zwei Parteien legten am Sonntag kräftig zu, und sie werden wohl nicht in einer Regierung vertreten sein. Mattle will nicht in einer Zweierkoalition mit Wahlsieger 1, der FPÖ, und die Liste Fritz, deutlicher Wahlsieger 2,  schloss ein Dreierbündnis mit der ÖVP aus. Bleibt es dabei, kommt nur Schwarz-Grün-Neos in Frage. Das wäre eine Premiere in Tirol. Oder aber im Bundesland kommt es zur Wiederbelebung der Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ.

Keine Option ist eine Koalition der Wahlsieger, auch wenn sich SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer kaum eine bessere Ausgangslage wünschen konnte: Teuerung und Inflation waren die wichtigsten Themen im Wahlkampf, von Wien aus wehte kräftiger Rückenwind für seine Partei, und viele andere Mitbewerber schwächelten. Trotzdem kämpfte seine Partei bis zum Schluss um Platz zwei mit der FPÖ – und verlor laut vorläufigem Endergebnis. Die Schwäche der anderen reicht also nicht, um zu erstarken. Das könnte die gesamte Partei beunruhigen – in Tirol wie im Bund.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.