Das ist kein Wunder. Das Dokument entstand in einer Zeit, als auf der Krim keine russischen Soldaten patrouillierten und Wladimir Putin im Westen ein nicht ungern gesehener Gast war. Im Parlament saß damals eine Partei namens Team Stronach, und die beschloss 2013 gemeinsam mit ÖVP, SPÖ und FPÖ die Sicherheitsstrategie. Dass sie dringend aktualisiert werden muss, weiß auch die Koalition. Auf der Website des Kanzleramts ist das alte Dokument mit einer Art Triggerwarnung versehen: „Vor dem Hintergrund“ mehrerer Entwicklungen „hat die Bundesregierung am 12. April 2023 beschlossen, eine Weiterentwicklung der Sicherheitsstrategie einzuleiten“. Wobei auch die Passage aktualisiert werden müsste, sie verspricht nämlich, „das Ergebnis dem Nationalrat bis Ende 2023 zur Debatte zuzuleiten“.
Keine Gasthermen mehr
So weit ist man selbst im April 2024 noch nicht. Woran es hakt, sagt viel über die Arbeit der Regierung kurz vor der Nationalratswahl aus. Keiner der beiden Partner möchte in einer essenziellen Frage nachgeben: Ist die Abhängigkeit von russischem Gas ein Sicherheitsrisiko, das man mit strikten Gegenmaßnahmen in der Sicherheitsstrategie vermeiden muss? Die Antwort der Grünen ist ein eindeutiges Ja. Für sie wäre eine Erwähnung in dem Dokument ein Erfolg. Der grüne Sicherheitssprecher David Stögmüller sagt: „Weg vom russischen Gas – was früher grüne Mission war, ist heute Staatsräson.“ Der Ball liege nun beim Kanzler. „Es ist für mich nicht erklärbar, warum man in einer Situation wie der jetzigen kein Interesse an einer neuen Sicherheitsstrategie zeigt.“
Die ÖVP verweist darauf, dass man genauso für eine Unabhängigkeit vom russischen Gas sei. Man will sie in dem allgemeinen Dokument aber offenbar eher abstrakt festhalten. Die Grünen pochen hingegen auf konkrete Vorgaben.
Ein Streitpunkt ist etwa, dass sich Wohnungen so schnell wie möglich von Gasthermen lösen sollen. „Aus sicherheitspolitischen Erwägungen ist der Einsatz von importierten gasförmigen Energieträgern in der Raumwärme schnellstmöglich zu beenden“, wollen die Grünen festschreiben. Auch der Ausbau von erneuerbarer Energie findet sich im grünen Vorschlag wieder. „Die Richtschnur für die Neuausrichtung von Importstrategien bildet die Transformation der Energieversorgung in Richtung Elektrifizierung und erneuerbare Quellen.“
Dabei hat sich die Koalition bei anderen heiklen Themen bereits auf einen Text geeinigt. Noch vor wenigen Jahren hätten die Grünen ihre Zustimmung wohl dafür verweigert, dass „eine in der Bevölkerung verankerte demokratische Wehrhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft nötig ist, die in der Schule und Ausbildung beginnt“.
In der Kurzfassung der Sicherheitsstrategie, die profil ebenfalls vorliegt, fehlt also nur noch das Kapitel „Energiesicherheit und Schutz der Lebensgrundlagen“. Sollte sich die Koalition darauf einigen, muss sie die Verhandlungen mit den anderen Parteien beginnen. Die FPÖ könnte zum Beispiel etwas gegen Formulierungen wie folgende haben: „Im Sinne von Österreichs Interessen wird die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie und gemeinsamen Rüstungsbeschaffung unterstützt.“
Ein Zuspruch von möglichst vielen Parteien ist kein Muss, wird aber erwartet. Denn die neue Sicherheitsstrategie soll eine möglichst lange Haltbarkeit haben. Vielleicht nicht wieder für zehn Jahre, aber mit Sicherheit über die nächste Nationalratswahl hinaus.