Unbeliebter Job: Diese Studentin will trotzdem Landärztin werden
Die Hoffnungen der verzweifelten Gesundheitspolitiker und Krankenkassen-Direktoren liegen auf Medizin-Studentinnen wie Stephanie Brenninger. Die 22-jährige steht zwar erst im dritten Jahr ihres Studiums, trotzdem weiß sie bereits heute, dass sie am Beginn ihrer Berufskarriere als Landärztin mit Kassenvertrag arbeiten wird. Warum will sie ausgerechnet den Job machen, den immer mehr Ärzte furchtbar unattraktiv finden, weil damit viel Verantwortung und lange Arbeitszeiten einhergehen?
Zahl der unbesetzten Ordinationen steigt und steigt
Österreichs Gesundheitssystem kann Leute wie Brenninger dringend brauchen. Denn es gibt immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die auf dem Land mit Kassenvertrag arbeiten wollen. Gemeinden suchen oft jahrelang nach einem Nachfolger, wenn der Arzt in Pension geht. Mit Jahresbeginn 2023 waren laut Österreichischer Gesundheitskasse (ÖGK) 324,5 Kassenstellen (von insgesamt 10.171) unbesetzt. Tendenz: Stark steigend. 98 Stellen für Allgemeinmedizin und für Fachärzte sind sogar länger als ein Jahr unbesetzt. Die Patienten müssen ins Spital ausweichen – oder zum Wahlarzt und dort einen Teil der Kosten selber berappen.
Lösung gegen das Landarzt-Sterben?
Nun gibt es einen ersten Lösungsansatz, um den verwaisten Ordinationen entgegenzuwirken – und Stephanie Brenninger ist Teil davon. Sie gehört zum ersten Niederösterreich-Jahrgang, der seit Oktober 2022 mit einem Landarztstipendium studieren kann. 924 Euro kriegt sie dafür monatlich vom Land, für längstens vier Jahre. Im Gegenzug verpflichtet sie sich, dass sie nach dem Ende ihrer Ausbildung für fünf Jahre in einer so genannten Bedarfsregion als Kassenärztin zu arbeiten. Das sind ländliche Regionen und ausgewählte Ballungszentren, in denen der Mangel besonders akut ist.
Neben Brenninger gibt es noch 18 weitere Stipendiaten. Das Konzept aus Niederösterreich hat sich schnell herumgesprochen: Die Steiermark schaute sich das Modell ab und seit diesem Sommersemester gibt es auch ein österreichweites Stipendium der ÖGK. 47 von 50 der ÖGK-Stipendien konnten bisher vergeben werden.
Bewerben konnten sich Studierende der Humanmedizin im zweiten Abschnitt. Nach dem Grundstudium kommt die Ausbildung zum Allgemeinarzt, danach kann man als Stationsarzt im Spital oder als Landarzt in einer eigenen Praxis arbeiten. Aber nicht nur die richtigen Zeugnisse spielen beim Auswahlverfahren, das von der Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) abgwickelt wird, eine Rolle. Stipendiatinnen und Stipendiaten müssen auch ihr “soziales Engagement” nachweisen. Für Brenninger kein Problem: Immerhin fährt sie für den Samariterbund als Rettungssanitäterin Einsätze. Das ließ die Auswahlkommission gelten.
Die schönen Seiten des Hausarztberufes
Brenninger sitzt an einem frühlingshaften Freitag in einem Café im Wiener Prater. Die Berufsentscheidung der 22-jährigen stand seit Langem fest: Ihr erstes Praktikum hat sie bei ihrer eigenen Hausärztin gemacht. Da war sie gerade mal 17 Jahre alt und durfte einen Monat “mitrennen”, sich alles ansehen, wie sie heute erzählt: “Ich wollte schon immer Ärztin werden.” Die Medizinerin in ihrer Gemeinde war für sie wie ein Vorbild, erzählt die Brenninger. Der direkte Kontakt mit den Patienten, die Möglichkeit sie auch bei Visiten zuhause zu besuchen, und damit ein komplettes Bild zu bekommen, das reizt sie an dem Job.
Keine Angst vor fünfjähriger Bindung
Benninger studiert jetzt im dritten Jahr Humanmedizin, in Horn hat sie ein Lehrkrankenhaus gefunden, bei dem sie auch als Praktikantin das Gefühl hat, dass man ihr etwas beibringen will. Sie sei da in einer glücklichen Situation, meint sie. In einem größeren Krankenhaus sehe man im Alltag zwar ausgefallenere Fälle (die Studierenden nennen die im Jargon “Zebras” oder “Kolibris”), aber man könne eben nicht so viel selbst machen: “In einem kleinen Krankenhaus gibt es nicht so eine Hierarchie.”
Hat Brenninger auch Zweifel, sich für fünf Jahre verpflichtet zu haben? Für sie stellt sich die Frage nicht. Immerhin wollte sie schon vor dem Studium als Hausärztin arbeiten. Außerdem seien fünf Jahre in der Medizin ohnehin kein langer Zeitraum und man könne nach dieser Zeit immer noch eine Facharztausbildung dranhängen – sei es in der Dermatologie oder Gynäkologie, als Internist oder Chirurg arbeiten.
Zweitjob: “Legholder”
Für dieses lange Studium sei vor allem ein Umfeld notwendig, meint sie nachdenklich, das mit den Studierenden mitgehe, die Höhen und Tiefen aushalte und im Idealfall auch finanziell unterstütze. “Ich habe eine liebevolle Familie und ein verständnisvolles Umfeld”, sagt Brenninger. Neben ihrer Freiwilligenarbeit als Rettungssanitäterin arbeitet sie auch noch als sogenannte Legholderin, als studentische Unterstützungskraft im Operationssaal.
Wie sich der Kassenarztberuf aufwerten ließe
Auf ihrer Uni zählt Brenninger zu den Sonderlingen. Die meisten ihrer Studienkollegen wollen Wahlärzte werden, erzählt sie. Brenninger aber findet: „Ein Kassenarzt ist kein schlechterer Arzt.“ Aber was lässt sich, abgesehen von Stipendien, noch gegen den aktuellen Negativtrend tun? Die Situation für Studierende sie in den Corona-Jahren nicht einfacher geworden, meint sie, da die Ausbildung in den Hintergrund gerückt wurde und zum Beispiel Praktika ausgefallen sind, weil die Spitäler so überlaufen waren. “Wie soll man jemanden ausbilden, wenn man so schon nicht weiß, wie man seine Arbeit erledigen soll”, fragt sie sich. Das Hauptproblem sei aber, dass Kassenärzte einfach weniger Zeit für Patienten haben als Wahlärzte. Diese Diskrepanz gelte es aufzuheben.
Krankenkasse will mit Anreizen gegensteuern
Auch die ÖGK ist sich der Problematik bewusst – und bietet bereits verschiedene Vertragsmodelle für Kassenärzte an: Etwa die Möglichkeit, Kassenstellen zu teilen, also als Arzt bei einem anderen Arzt angestellt zu sein oder sich gleich zu Primärversorgungszentren zusammenzuschließen. Zudem entwickelt die ÖGK ein sogenanntes “Sorglospaket” an: Den Medizinern wird angeboten, sie bei der Gründung einer Ordination (von der Buchhaltung bis zur täglichen Reinigung) zu unterstützen und sie bei Tätigkeiten wie Terminmanagement, EDV oder andere organisatorischen Aufgaben auszulagern. Das Ganze funktioniert wie ein Baukastensystem und die Services können einzeln gekauft werden. Ob das ausreicht, um mehr Mediziner von einer Kassenarztstelle zu überzeugen, wird sich erst zeigen.
Bleibt die Frage an Stephanie Brenninger, ob man als angehende Landärztin auch eine gewisse Portion Idealismus in den Beruf mitbringen muss? “Ja”, sagt sie, ohne zu zögern – und eine gewisse “Aufopferungsbereitschaft”, wie sie es nennt. Heißt für sie: “Ich fahre auch in der Nacht auf Visite oder bleibe länger in der Ordination, wenn gerade Grippewelle ist und 100 Menschen an einem Tag Hilfe brauchen.” Und: Man muss diese Leidenschaft, dieses Brennen, in sich spüren, um das Studium zu schaffen und später als Ärztin arbeiten zu können, meint sie noch. Ansonsten solle man es vielleicht lieber bleiben lassen.