Österreich

"Unerwünscht zu sein, steigert die Arbeitsfreude der Journalistin"

Rechtspopulisten stiegen auf, Rot-Schwarz zerbrach, Abgeordnete redeten erstmals offen über Sexismus im Hohen Haus. Und Christa Zöchling war als profil-Journalistin dabei. 30 Jahre lang.

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"Der Innenminister war beleidigt." So beginnt 1993 eine profil-Geschichte über das Aufenthaltsgesetz. Die Verstimmung Franz Löschnaks (SPÖ), der damals in der Herrengasse regierte, sollte sich jedoch als das geringste Problem erweisen. Die Autorin Christa Zöchling hatte wieder einmal viel herumtelefoniert. Eigentlich wollte sie in Erfahrung bringen, wie über die fremdenrechtlichen Verschärfungen im Innenausschuss des Parlaments gestritten wurde. Das Gremium ist nicht öffentlich. Zöchling erkundigte sich deshalb bei der Grünen Abgeordneten Terezija Stoisits - und erfuhr von ihr Verstörendes: Die Stimmung sei grauenhaft, pennälerartiges Grölen und Altherrenwitze machten jeden Einwand zunichte. Besonders hervorgetan habe sich der steirische ÖVP-Abgeordnete Paul Burgstaller, der Stoisits, als sie das Mikrofon ergriff, aufforderte: "In den Mund nehmen und fest daran lutschen."

Zöchling schrieb darüber und trat eine "MeToo"-Debatte los, ein Vierteljahrhundert bevor der Hashtag auf Twitter erfunden wurde. Und sie blieb dran, als Burgstaller erklärte, er habe an einen "Eislutscher" gedacht und nachsetzte: "Ein Schwein, wer dabei an einen Penis denkt." Wochen später, als die Herren im Hohen Haus die Sexismusdebatte längst für ausgestanden hielten, schickte sie eine Coverstory hinterher. "Der Klub der starken Männer", titelte profil im September 1993. Der Karikaturist Gerhard Haderer zeichnete ein Spalier aus nackten, feixenden Männern mit rot erhitzten Gesichtern, das Abgeordnete auf dem Weg zum Rednerpult passieren mussten.

So war Zöchling als junge Journalistin, die eineinhalb Jahre zuvor-von der eingestellten "Arbeiter-Zeitung" kommend und nach kurzem Intermezzo bei der Tageszeitung "Kurier"-in der selbstbewussten profil-Redaktion aufgetaucht war. Sie fühlte sich hier wie im "journalistischen Himmel". Herausgeber Hubertus Czernin hatte die gebürtige Grazerin zu dem Nachrichtenmagazin geholt. Sie sollte es 30 Jahre lang durch ihr genaues Hinschauen, ihr unbeirrtes Nachfragen, ihr scharfes Beschreiben und ihr-oft vor allen anderen-präzises Einordnen maßgeblich prägen.

Innenpolitik-Redakteurin Christa Zöchling 1993: "Im journalistischen Himmel" angekommen
 

Nun verabschiedet sie sich von profil und geht demnächst in Pension. Nein, dieser Text ist kein Nachruf. Er will Zöchlings Rolle würdigen. Für die politische Geschichte dieses Landes, das sich lange vor der Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit gedrückt hatte. Für den Journalismus. Und für profil. Dass sie den Mächtigen mitunter lästig war und manche vielleicht insgeheim froh sind, nicht mehr regelmäßig von ihr beobachtet und beschrieben zu werden, ist das schönste Kompliment, das man der Journalistin machen kann.

Die von ihr angestoßene Sexismusdebatte hatte übrigens ein Nachspiel: profil wurde vom Presserat verurteilt. Das Gremium, mit dem sich die Medienbranche selbst kontrolliert, setzte sich damals aus vorwiegend älteren Herren zusammen, die Haderers Illustration verwerflicher fanden als die sexuellen Belästigungen, die Abgeordnete nicht mehr hinzunehmen bereit waren. Rückblickend gereicht diese Rüge sowohl profil als auch Zöchling zur Ehre. Dass man ihr bei einer SPÖ-Klubklausur in Linz den Zutritt verwehrte, nachdem sie über den Griff von SPÖ-Sozialminister Josef Hesoun ins Rückendekolleté einer Mandatarin berichtet hatte, steckte sie weg.

Wirbel war ihr willkommen, wenn er "der Sache" diente. Dass sie fallweise selbst ins Zentrum rückte, behagte ihr weniger. In solchen Momenten überlegte sie sogar, den Journalismus an den Nagel zu hängen. Davon gab es mehrere, auch das zeichnet sie-und profil-aus. 2005 etwa lud die Burschenschaft Olympia den Holocaust-Leugner David Irving ein. Der Brite war seit 1989 in Österreich zur Festnahme ausgeschrieben-wegen eines Interviews, das Zöchling, damals noch für die "Arbeiter-Zeitung", mit ihm geführt hatte. Auf dem Weg nach Wien schnappte ihn die Polizei. Irving wurde wegen Wiederbetätigung verurteilt. Zöchling, die im Prozess ausgesagt hatte, freute sich, dass er zur Verantwortung gezogen wurde. Die Aufmerksamkeit, die ihr als Kronzeugin weit über Österreich hinaus zuteilwurde, hätte ihr aber gestohlen bleiben können.

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Christa Zöchlings Arbeit war oft Anlass für ein profil-Cover. Eine Auswahl.

Natürlich gibt es im Leben einer Journalistin auch Geschichten, die viel zu schnell vom Strom der Neuigkeiten fortgerissen werden. Dazu gehört die Coverstory, in der sich Zöchling den Briefen zwischen Bruno Kreisky und Palästinenserführer Yasser Arafat widmet. Kreisky war oft Blauäugigkeit vorgeworfen worden, tatsächlich zeigten Zöchlings Archivrecherchen, wie sehr er Arafat sowohl respektiert als auch immer wieder scharf kritisiert hatte. Die Korrespondenz dieser beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten führte die Möglichkeit einer Außenpolitik vor Augen, die sich nicht mit Verbrechern gemein machte und deshalb-gerade heute-als Vorbild dienen könnte. Oder die Titelgeschichte "Die letzten Überlebenden", für die sie in Israel mit zwölf Österreichern über den Holocaust, verratene Heimatliebe und immer währende Sehnsucht gesprochen hatte.

Rechtspopulisten wie der langjährige FPÖ-Parteiobmann Jörg Haider, dessen Aufstieg die Autorin in einer 1999 im Molden Verlag erschienenen, immer noch lesenswerten Haider-Biografie-"Haider. Licht und Schatten einer Karriere"-nachzeichnete, brandmarkten kritische Journalistinnen, um sie zu beschämen, zu ängstigen, einzuschüchtern-und um sich selbst gegen Kritik zu immunisieren. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, dessen Neonazi-Verbindungen Zöchling 2003 aufgedeckt hatte, lange bevor die Fotos seiner Wehrsportübungen publik wurden, lernte die Taktik vom Altmeister. Vor der Wiener Wahl 2015 hob Strache die profil-Journalistin vor einer johlenden Anhängerschaft am Wiener Stephansplatz auf so bedrohliche Art und Weise hervor, dass sie Tage lang nicht zu Hause schlief. Als sie ihn später einmal damit konfrontierte, gab er sich ahnungslos.

Haider-Biografin Zöchling bei einem der seltenen Interviews mit Kärntens FPÖ-Landeshauptmann Jörg Haider 2006 in Klagenfurt
 

Erlebnisse dieser Art führten nicht dazu, dass Zöchling eine einzige Zeile nicht geschrieben hätte. Aber sie hatten sehr wohl zur Folge, dass sie die sozialen Medien mit ihren polarisierten Debatten scheute. Journalisten und Journalistinnen bedürfen des Zusammenhalts einer gefestigten, nicht einzuschüchternden Redaktion. Und: Sie sollten geachtet werden, weil sie-wie Lehrerinnen, Beamte oder Polizistinnen-eine wichtige demokratiepolitische Aufgabe erfüllen. Es sei schwer, "erhobenen Hauptes den Mächtigen gegenüberzutreten, wenn Gehälter und Honorare schlecht und unsicher sind und der Ruf unten durch; wenn immer mehr Menschen auf der Straße Lügenpresse skandieren", schrieb Zöchling im Jahresrückblicksheft Ende 2021.

Dass Politiker und Öffentlichkeit Journalisten nicht mehr schätzen, ist deshalb mehr als ein bloß wehleidiger Befund. Als 2000 die erste ÖVP-FPÖ-Koalition unter Kanzler Wolfgang Schüssel an die Macht kam, brachen für profil schwierige Jahre an. Schüssel trug dem Magazin den Covertitel "Die Schande Europas" nach und verweigerte eine Weile jedes Interview. Haider verordnete seiner Partei zunächst ein profil-Sprechverbot und schließlich ein Zöchling-Verbot.

Holocaust-Überlebender Katriel Fuchs (95):Mit ihm sprach Zöchling 2020 in Israel über die NS-Zeit und verratene Heimatliebe.

Von den Informationskanälen der Regierung abgeschnitten, verlegte sich die Journalistin auf das Beobachten vom Rand aus, das ergiebiger sein kann als das, was Politikerinnen und Politiker im direkten Gespräch von sich geben. Bereits während der Arbeit an ihrem Haider-Buch war Zöchling auf annähernd 100 Parteiveranstaltungen der Freiheitlichen gewesen und hatte Haiders Mimik, Gesten, Wortwahl und die Stimmung in Bierzelten, Mehrzweckhallen und Wirtshäusern registriert. Um ein persönliches Treffen musste sich die laut Haiders Pressesekretär "in Kärnten unerwünschte Journalistin" ziemlich lange bemühen. Der FPÖ-Chef ließ sie stundenlang warten, erklärte öffentliche Medientermine zur privaten Party, sobald sie auftauchte, verschob Termine im letzten Moment, um sie zu zermürben. Doch damit erzielte er genau den gegenteiligen Effekt. "Unerwünscht zu sein, steigert die Arbeitsfreude der Journalistin", wie Zöchling im Nachwort ihres Haider-Buches schrieb.

Mulmig war ihr öfter einmal zumute, manchmal hatte sie sogar ein wenig Angst. Etwa in dem Kellerlokal hinter dem Praterbahnhof, in dem junge, aggressive Männer an den Lippen des radikalen islamistischen Predigers O. hingen. Sie setzte sich Orten, an denen ihr offene Verachtung, mitunter bedrohliche Feindseligkeit entgegenschlugen, immer in dem Wissen aus, dass die Pressefreiheit sie schützt. Diese verbietet es, Journalistinnen anzupöbeln oder gar zu attackieren, weil jeder Angriff nicht bloß auf sie persönlich zielt, sondern auf die offene, liberale Demokratie.

Texte von Christa Zöchling

Missbrauch in Kärnten: "Wennst nicht spurst, kommst zum Wurst." Die Neutralität Österreichs: Das Ende der Bequemlichkeit Tag der Befreiung: Der Vogelfänger von Auschwitz

Christa Zöchling war sich auch immer bewusst, wie schmal der Grat zwischen Message Control, Fake News und kritischem, unabhängigem Journalismus sein kann. 2015 bedankte sie sich für die Verleihung des Wiener Journalistinnenpreises mit den Worten: "Wir leben in Gesellschaften von einer-eventuell-autoritären Zukunft, aber von noch liberalen-ironischerweise gesagt: freiheitlichen-Möglichkeiten. In einer Gesellschaft, die noch unsicher ist, die sich in einer Kippsituation befindet, ist eines der wesentlichen Kennzeichen der Angriff auf Journalisten und Journalistinnen. Denn etwas vom Wichtigsten, was eine autoritäre Gesellschaft braucht, ist eine gelenkte Presse."

Diese Sätze gelten auch oder gerade in Zeiten digitaler Echokammern und medialer Disruption.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.