Untergrundkämpfer: Wiens unbezahlte U-Bahn-Musiker
Behutsam klopft Niklas Satanik mit seinen Fingern auf die linsenförmige Blechschale vor ihm. Ein metallener und zugleich warmer Klang erfüllt den Raum in der U-Bahn-Station am Wiener Westbahnhof und bewegt Dutzende Passanten, kurz innezuhalten und zu lauschen. Wenige Meter von dem Hangspieler entfernt hat Tuhin seinen Stand. Der Zeitungsverkäufer aus Bangladesch applaudiert nach jedem Musikstück enthusiastisch. Er finde die Musiker großartig, sagt er, sie seien eine willkommene Abwechslung.
Dass hier überhaupt Musikanten auftreten dürfen, liegt an Ulrike Sima (SPÖ). Die Wiener Verkehrsstadträtin hat in den vergangenen Wochen aus rund 200 Bewerbern via Jury- und Publikumsvoting 14 sogenannte "U-Bahn-Stars" auswählen lassen. Die Künstler performen nun abwechselnd für je eineinhalb Stunden im Zwischengeschoss der U-Bahn-Station. Bezahlt werden sie dafür nicht, lediglich Spenden dürfen sie annehmen.
Deutlich weniger Freude als Zeitungsverkäufer Tuhin hat die Gewerkschaft an den U-Bahn-Stars. "Das ist eine eklatante Verletzung der Rechte der Musikschaffenden, weil wesentliche Leistungsschutzrechte ignoriert werden", ärgert sich Peter Paul Skrepek, der Vorsitzende der Sektion Musik von younion, einer Teilgewerkschaft des ÖGB.
Insbesondere stört den Gewerkschafter, dass die Musiker weder von der Stadt noch von den Wiener Linien bezahlt werden – eine Kritik, die auch der grüne Wiener Gemeinderat Martin Margulies teilt. In einem offenen Brief an die Verkehrsbetriebe fordert er eine Bezahlung der Musikschaffenden: "So arm sind die Wiener Linien nicht."
Im Büro der Verkehrsstadträtin Sima kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. "Kein Musiker draußen auf der Straße" bekomme Geld von der Stadt, daher sehe man keinen Anlass, die U-Bahn-Stars anders zu behandeln. Außerdem seien die Künstler froh, dass die Stadt ihnen Raum zur Verfügung stelle.
Der eigentliche Zweck der Untergrundmusiker ist, das Wohlempfinden und Sicherheitsgefühl der Passagiere zu steigern, indem sie die Station beleben. In der Testphase bis Ende Juli wird täglich von 15 bis 23 Uhr musiziert. Rund 440 Millionen Menschen nutzen die U-Bahn jedes Jahr. Einer von ihnen ist Hubert Speiser. Der Pensionist ist oft am Westbahnhof und fühlt sich durch die Darbietung der Interpreten "sicherer", wie er sagt. Abgeschaut hat sich Sima das Projekt von Großstädten wie London oder New York, wo sie es als sehr angenehm empfunden habe, "wenn auf verlassenen Bahnsteigen zumindest die Klänge einer Akustikgitarre zu hören sind". Auch dort müssen die Künstler zuerst ein Auswahlverfahren durchlaufen, bevor sie im Untergrund musizieren dürfen.
Zu den Auserwählten gehören auch Roman und Victor. Die beiden Studenten machen mit ihrer Band "Weiss & Kranics" seit zwei Jahren Straßenmusik. Sie hätten es zwar begrüßt, wenn zumindest eine symbolische Gage herausgesprungen wäre, aber sie verstehen ihre Auftritte als Chance, einem breiteren Publikum bekannt zu werden, sagt Roman. Außerdem habe man von den Wiener Linien einen "gut bezahlten Gig" bei der Eröffnungsfeier der U1-Verlängerung Anfang September zugesagt bekommen. Aber selbst durch Spenden erhalte man mehr Geld als erhofft, grinst Victor: "Es ist besser als erwartet – fast so, als ob die Wiener Linien heimlich jemanden hingestellt hätten, der ab und zu einen Fünfer hineinwirft."