Unterstellungskrieg: Wie mit schmutzigen Tricks Politik gemacht wird
Sie können einem leidtun: Krebs, Scheidung, Demenz, Vortäuschung einer Gehbehinderung und Nazi-Verwandtschaft. Die Gerüchte, mit denen sich die Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer herumschlagen mussten, waren an Niedertracht kaum zu überbieten. Van der Bellens Wahlkampfleiter Lothar Lockl beklagte vor zwei Wochen gar schon den "schmutzigsten Wahlkampf der letzten Jahrzehnte“.
Untergriffe passieren selten zufällig, sie sind meist das Resultat gezielter Propaganda - vonseiten der Parteizentralen oder übermotivierter Anhänger. Gegner-Bashing ist so alt wie die Politik selbst. Längst haben die österreichischen Parteien einschlägige Praktiken in ihr Standardrepertoire aufgenommen. Ganz egal, wie haarsträubend manche Unterstellungen sein mögen - irgendetwas bleibt fast immer hängen.
Wer sich gegen üble Gerüchte wehrt, macht sie erst recht zum Thema
Besonders perfide Attacken kommen von anonymen Heckenschützen. Das bösartige Krebsgerücht über Van der Bellen wurde im Juli vom rechtsextremen deutschen Blog "Politically Incorrect“ im Netz gestreut. Die Tumorlegende verbreitete sich derart rasant, dass sogar Van der Bellens Mitarbeiter von Bekannten gefragt wurden, was es damit auf sich habe. Van der Bellen legte ein medizinisches Attest vor - Befund: kerngesund. Solche Gegenstrategien sind jedoch ein Drahtseilakt: Wer sich gegen üble Gerüchte wehrt, macht sie erst recht zum Thema.
Wenn Norbert Hofer auf der Website des Datenforensikers Uwe Sailer unterstellt wird, er stehe kurz vor der Scheidung, ist Widerrede de facto unmöglich: Wie soll Hofer glaubhaft belegen, dass etwas in Zukunft nicht eintreten wird? Also besser ignorieren.
So offensiv wie Van der Bellen wurde in Österreich selten jemand angefeindet. Die Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel rückte seine Eltern in die Nähe des Nationalsozialismus. Parteichef Heinz-Christian Strache unterstellte Van der Bellen in Facebook-Postings immer wieder Vergesslichkeit (Subtext: Demenz) - absurder "Beleg“: Der Kandidat habe sich nur den halben Oberlippenbart rasiert.
Dass der Hofburg-Wahlkampf derart ins Persönliche abdriftete, war der besonderen Konstellation geschuldet: Zweiparteiensysteme sind anfälliger für Schlammschlachten, die Duellsituation der Bundespräsidentenwahl ist ein Ausnahmefall. Nach über einem Jahr im Dauerwahlkampfmodus war die inhaltliche Munition längst verschossen. Um den Spannungsbogen zu halten, fokussierten die Kampagnen im Endspurt umso stärker auf Emotionalisierung und Negativwerbung.
In den USA wird Dirty Campaigning seit Jahrzehnten perfektioniert. Als der Demokrat John Kerry 2004 gegen George W. Bush antrat, glaubte er ein Ass im Ärmel zu haben: Er galt als Kriegsheld, hatte in Vietnam einem Kameraden das Leben gerettet und später die Kriegsverbrechen der USA angeprangert. Im Laufe des Wahlkampfes meldete sich jedoch eine Gruppierung namens "Veteranen der Wahrheit“ zu Wort, die Kerry unterstellte, er habe sich seine Tapferkeitsmedaillen erschlichen und das Heldenepos erfunden. Offiziell hatte Bush damit nichts zu tun, doch die "New York Times“ deckte Verbindungen zu seinem Lager auf. Gewählt wurde bekanntlich Bush. Keiner jedoch hantierte mit dem Schmutzkübel derart ungeniert wie der künftige US-Präsident Donald Trump: Seine innerparteilichen Konkurrenten Ted Cruz und Marco Rubio nannte er "Lying Ted“ und "Little Marco“, seine demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton schimpfte er "Crooked Hillary“ (betrügerische Hillary).
Ein Faible für despektierliche Namensverdrehungen hatte schon Jörg Haider: "Gruselbauer“ nannte er den damaligen SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer, über den früheren Chef der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant sagte er: "Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann.“
Die Herausforderung war, dass wir mit der Gegeninformation nicht die Falschinformation verbreiten
"Für Rechtspopulisten und insbesondere für Trump gelten andere Regeln“, erklärt PR-Berater Yussi Pick. Im US-Wahlkampf arbeitete der Wiener im Clinton-Team mit. Seine Erfahrung: Unterstellungen und Falschinformationen binden Personalressourcen der Gegenseite. In der Woche vor der Wahl kursierten Meldungen auf Spanisch, wonach man per SMS abstimmen könne und Deportationsbeamte vor den Wahllokalen stünden. Das Ziel der Propaganda aus dem Trump-Lager: Latinos, die mehrheitlich demokratisch wählen, sollten von den Wahlurnen ferngehalten werden. Pick verbrachte die letzten Wahlkampftage mit Richtigstellungen im Netz: "Die Herausforderung war, dass wir mit der Gegeninformation nicht die Falschinformation verbreiten.“
Abgrenzungsverlautbarungen aus den Parteizentralen gehören inzwischen zum festen Wahlkampfrepertoire. Die Grünen publizierten 2006 das "Schwarzbuch Rot“, die ÖVP gab 2013 die "Rot-Grün-Fibel“ heraus, die SPÖ 2015 das "Blaubuch“. Der Kontrast zur Konkurrenz bringt Selbstvergewisserung.
Richtig schmutzig wird es bei persönlichen Angriffen. Mit lupenreiner Denunziation war im Jahr 2002 der damalige Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger (ÖVP) konfrontiert. "Schausberger misshandelt seine Frau! Die ÖVP schaut zu!“, stand damals auf Flugblättern, die in der Stadt Salzburg verbreitet wurden, gezeichnet von der "Interessensgemeinschaft Frauen gegen schlagende Männer“ - ein fiktiver Verein. Die Polizei ermittelte sogar in Parteizentralen, doch die Urheber konnten nie ausgeforscht werden. Schausberger verlor die Wahl im Jahr 2004.
Immer wieder reisen heimische Parteikader in die USA, um sich ein paar Tricks abzuschauen. Reinhold Lopatka, im Jahr 2002 ÖVP-Generalsekretär, zettelte in ländlichen Regionen eine Kampagne an, wonach die Grünen Haschtrafiken und Zwangsvegetarisierung planten. "Lügen haben kurze Beine“, lautete im Jahr 2006 ein bewusst doppeldeutiger Slogan der SPÖ im Wahlkampf gegen Wolfgang Schüssel.
Zu einem Untergriff der besonderen Art setzte im Nationalratswahlkampf 2013 ein unbekannter Absender gegen die SPÖ an. In der Nacht vom Samstag auf den Wahlsonntag wurden in einigen burgenländischen Gemeinden Hunderte Türhänger an Wohnungstüren platziert. Die Druckwerke warnten in SPÖ-Design vor "Faymann-Steuern“ auf Hab und Gut. Die SPÖ hatte keine Möglichkeit mehr zu reagieren und erstattete Anzeige - folgenlos.
Es ist ein Ritual, dass man sich gegenseitig Dirty Campaigning unterstellt
Die Grünen machten sich in Kinospots 2013 und 2014 über das Spitzenpersonal der Konkurrenz lustig, die als kleine Kinder mit großen Schwächen gezeigt wurden. "Negative Campaigning funktioniert am besten mit Humor“, sagt Politik-Berater Thomas Hofer, der in seinem Buch "Die Tricks der Politiker“ auch Tipps zum Kontern gibt: "Das Opfer spielen und den Angriff zum Thema machen.“
Nicht umsonst rieben einander Van der Bellen und Hofer in jeder Fernsehdiskussion die verbalen Vergehen ihrer Anhänger unter die Nase. "Es ist ein Ritual, dass man sich gegenseitig Dirty Campaigning unterstellt. Deshalb tragen dann beide ein Mapperl mit Hasspostings ins Fernsehen, weil jeder weiß, dass das im Boulevard am nächsten Tag die Geschichte sein wird“, glaubt Alexander Höferl, Leiter des FPÖ-Kommunikationsbüros.
Zunehmend entstehen ideologisch gefärbte Teilöffentlichkeiten, die gewissen Kandidaten zugeordnet werden und eine enorme Breite haben
Wenn Unterstützergruppen den Bogen überspannen, kann das zum Problem werden. So meldeten die Aktivisten der Neuen Linkswende eine "Fuck Hofer“-Demo für den Samstag vor der Bundespräsidentenwahl an - eilig war das Team Van der Bellen um Distanzierung bemüht. "Ich würde dem Wahlkampfteam von Van der Bellen jede Vernunft absprechen, wenn die das angetrieben hätten. Mit so etwas haben beide Seiten keine Freude“, sagt FPÖ-Mann Höferl, der wiederum mit der rechtsextremen "Identitären“-Bewegung seine liebe Not hat. Deren Chef posierte unlängst mit "Fuck VDB“-Shirt. Die Wahlkämpfer fürchten, dass übertriebene Angriffe eine Solidarisierungswelle auslösen könnten.
In den sozialen Netzwerken ist der Propagandakrieg längst außer Kontrolle geraten. "Zunehmend entstehen ideologisch gefärbte Teilöffentlichkeiten, die gewissen Kandidaten zugeordnet werden und eine enorme Breite haben“, sagt Grünen-Nationalrat Dieter Brosz, der seine Master-Arbeit zum Thema Negative Campaigning verfasste.
Prognose für 2017: Es wird schmutzig.