Das lange Warten auf Hilfsgelder
Marion Kaufmann hat gerade viel zu tun. Das mag auf den ersten Blick nicht so aussehen. Seit dem Wochenende läuft die 63-Jährige aus Hollabrunn nur in ihrem Badeanzug herum. Mit dem Wetter hat das aber nichts zu tun. Obwohl, genau genommen schon. Das Wetter ist der Grund, warum Kaufmann keine Waschmaschine mehr hat, die ganze Waschküche ist hinüber. Deswegen trägt sie den Badeanzug: „Ich kann ja nichts waschen.“ Sie hat auch keinen Strom, weil der Stromkasten völlig unter Wasser stand. Alles, was Marion Kaufmann in ihrem Keller aufbewahrt hatte, die Schränke mit ihren selbstgemachten Dekoschalen, die Winterkleidung, die Familienfotos – alles ist aufgequollen, nass, verschmutzt oder zerstört.
Vergangenes Wochenende zogen verheerende Unwetter durchs ganze Land. Besonders betroffen waren die niederösterreichische Gemeinde Hollabrunn, die bis Dienstag noch den Katastrophenstatus hatte, sowie Teile der westlichen Bundesländer. Aufgrund der starken Regenfälle und Murenabgänge wurde eine Fahrspur der Arlbergstraße bei St. Anton zwischen Tirol und Vorarlberg unterspült und 60 Meter in die Tiefe gerissen, auch einzelne Ortsteile sind stark betroffen. Die Dauer der Aufräumarbeiten ist nicht absehbar, genauso wenig die Höhe des Schadens.
Johannes Resch und Marion Kaufmann aus Hollabrunn
Das heftige Unwetter hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Betroffen sind auch Johannes Resch und Marion Kaufmann aus Hollabrunn. Der gesamte Keller des Paares stand unter Wasser, an beiden Autos entstand Totalschaden. Sie hoffen, dass der Schaden erstattet wird.
Bei Marion Kaufmann und ihrem Lebensgefährten Johannes Resch aus Hollabrunn rechnen die Sachverständigen mit einem Schadensausmaß bis zu 200.000 Euro. Das betrifft den gesamten Hausrat in Keller und Garage, das Motorrad des 61-Jährigen und die beiden Autos des Paares. Eines wurde von der Flut mitgerissen, auf das andere ist ein Baum gekracht. Totalschaden. Der Runzenbach, der sich innerhalb weniger Stunden in eine reißende Flut verwandelt hatte, hat den beiden beinahe alles genommen. „Wir haben erst vergangenes Jahr den Keller saniert. Ich weiß nicht, wie ich das stemmen soll“, sagt die 63-Jährige. Von der Versicherung haben sie 10.000 Euro erhalten. Auf die Hilfe vom Katastrophenfonds müssen sie noch warten.
Auch die Einsatzkräfte kommen aufgrund von Extremwetterereignissen, die aufgrund der Erderhitzung zunehmen, immer näher an ihre Grenzen. Deshalb sah sich die Bundesregierung Anfang Juni zu einer Gesetzesänderung des Katastrophenfondsgesetzes gezwungen. Feuerwehren sollen demnach künftig statt 90 Millionen pro Jahr 140 Millionen Euro bekommen. Auch bei den Versicherungen sind die Kosten von Extremwetterereignissen längst angekommen: „Allein die Schäden in der Landwirtschaft bewegen sich auch heuer wieder in einem dreistelligen Millionenbereich und das heurige Jahr ist ja kein Ausreißer“, sagt Mario Winkler von der österreichischen Hagelversicherung.
Veröffentlicht wurde diese vorläufige Bilanz am Freitag, noch vor den Unwettern, die es von Wien über Hollabrunn bis zum Arlberg in vielen Teilen Österreichs gegeben hat. Allein für diese drei Tage rechnet die Wiener Städtische Versicherung aber „mit Schäden in der Höhe von rund fünf Millionen Euro“, sagt Sonja Brandtmayer, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen.
Hollabrunn ist aber nicht die einzige Gemeinde, in der das Unwetter eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat. In St. Anton am Arlberg beseitigen seit dem Wochenende zahlreiche Freiwillige die Spuren der Verwüstung. Seit Mittwoch sind zudem 50 Soldatinnen und Soldaten im Ort, die bei den Aufräumarbeiten helfen. Schäden wie jene vom Wochenende, kannte man im Wintersportort bis dato nicht: „Wir leben in den Bergen, wir leben im Hochgebirge. Muren und Lawinen hat es hier immer gegeben. Aber, dass sich so ein Ereignis in so kurzer Zeit aufbauen kann und Geschiebe in so einer Dimension zusammenkommt, das sind Ausmaße, die es früher nicht gegeben hat“, sagt Bürgermeister Helmut Mall zu profil.
Warten auf Hilfsgelder
An diesem Punkt war Hubert Semlitsch bereits. Der Steirer hat das alles schon einmal erlebt. Vor etwas mehr als einem Jahr. Damals zogen heftige Unwetter über die Steiermark und Kärnten. Die starken Niederschläge führten zu Überschwemmungen und Murenabgängen. In den drei Bezirken Deutschlandsberg, Leibnitz und der Südoststeiermark, dort wo auch Hubert Semlitsch mit seiner Familie lebt, wurde eine Zivilschutzwarnung ausgesprochen. Das Haus des 45-Jährigen wurde überflutet und bis zur Gänze zerstört. Alles musste raus, zuerst die Möbel, dann die Böden, zum Schluss die Türen und Türstöcke. Wasserstand im Wohnzimmer: 65 Zentimeter. Der Schaden: 130.000 Euro. Durch Spenden und die Versicherung kamen bis zu 15.000 Euro zusammen, die sofort ausbezahlt wurden. Für alles andere musste die Familie das Geld vorstrecken. „Hätten wir nichts auf der Seite gehabt, wäre das unmöglich gewesen“, sagt Semlitsch.
Bis das Geld vom Katastrophenfonds auf dem Konto war, verging ein halbes Jahr. Erst am 28. Jänner dieses Jahres wurden 60.000 Euro ausbezahlt. „In der Bürokratie sind ein paar Monate keine lange Zeit. Für eine Familie, die laufende Kosten zu decken hat, allerdings sehr wohl.“ 3000 Euro sollte Hubert Semlitsch noch im Laufe des Jahres bekommen. Dabei geht es um die Reparatur- und Sanierungskosten, die man steuerlich absetzen konnte. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hatte nach den Unwettern im Vorjahr Steuererleichterungen für Betroffene angekündigt. Was mit den übrigen 50.000 Euro ist, weiß der 45-Jährige nicht. Er rechnet jedenfalls damit, dass die Familie auf den restlichen Kosten sitzen bleibt.
Angst genau davor haben auch Marion Kaufmann und Johannes Resch. „Ich habe Zahlungen am laufenden Band. Ich kann das Geld nicht vorstrecken und wenn mir der Schaden nicht erstattet wird, stehe ich an der Wand“, sagt Kaufmann.
Wie lange es dauert, bis die angesuchten Hilfsgelder auf dem eigenen Konto landen, lässt sich laut dem Bundesministerium für Finanzen (BMF) nicht pauschal sagen. Denn: Ansuchen stellen die Betroffenen bei der Heimatgemeinde, anschließend erfolgt eine Meldung an die zuständige Bezirkshauptmannschaft, die wiederum Gutachter zur Feststellung des Schadens beauftragt. Und das kann dauern. Wie viel Geld maximal an die Geschädigten ausbezahlt wird, regeln wiederum die Bundesländer.
Auch in St. Anton schwebt diese Ungewissheit wie eine dunkle Wolke über den Köpfen der Betroffenen. Wie hoch der Schaden sein wird, kann derzeit noch niemand abschätzen. „Ob das hunderttausende oder Millionen Euro sein werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch überhaupt nicht sagen”, sagt Bürgermeister Mall. Die Tiroler Landesregierung hat nach den Unwetterschäden bereits finanzielle Hilfe für die Gemeinde angekündigt. Und auch Marion Kaufmann und Johannes Resch aus Hollabrunn hoffen auf Gelder aus dem Katastrophenfonds. Wann das Geld da sein wird, wissen sie nicht. Das wird noch eine Weile dauern. Für einen Badeanzug wird es dann wahrscheinlich schon zu kalt sein.