Wendeorte Teil 5

Treffen: Vom Zusammenhalt nach dem Unglück

Treffen in Kärnten hat durch ein fatales Unwetter große Zerstörung erfahren – und ebenso große Solidarität. Geblieben sind zwei Wiederentdeckungen: ein erstarktes Wir und Respekt vor der Natur.

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Das Grollen des Donners ist in dieser Nacht eins geworden mit dem dumpfen Mahlen und Reiben des Gerölls und dem schaurigen Knarren der bebenden Hausmauern. Anfangs wird es nur laut an den Bachläufen im Kärntner Gegendtal. Wie immer, wenn es stark regnet.

Doch die sonst rauschenden Bäche schwellen in der Nacht zum 29. Juni 2022 zu gewaltigen Strömen aus Schlamm und Gestein an, bahnen sich beharrlich ihren Weg ins Tal, unterspülen in Treffen Häuser und Straßen, reißen Autos und Brücken mit, überziehen Ortsteile und Felder mit einer meterhohen Schicht aus Schlamm und Geröll. 250.000 Kubikmeter Material werden vom Berg zum Talboden befördert. Ein 81-Jähriger kommt in einer Mure ums Leben.

Die ermutigende Nachricht aus Kärnten zwei Jahre nach dem Unglück: Die Hilfsketten funktionieren, Menschen stehen in unverhoffter Solidarität zusammen. Das verloren geglaubte große Wir, das gibt es noch. Euphorische Technikgläubigkeit ist angesichts der Katastrophe einem demütig respektvollen Umgang mit der Natur gewichen. Kluge Rückbesinnung hat blinde Innovationslust abgelöst. Was an den Geschehnissen betrübt: dass offenbar immer erst etwas passieren muss, damit etwas passiert.

Treffen im Gegendtal ist ein Ort wie aus einem österreichischen Ortsbaukasten. Das Ensemble im Zentrum besteht aus Gemeindeamt und Freiwilliger Feuerwehr sowie einer Raiffeisen-Filiale und dem Dorfwirt. Selbstredend gibt es Kirche und Friedhof. Mit Kindergarten, Volks- und Mittelschule sowie einem Pflegeheim sind alle Generationen versorgt. Der Gemeindevorstand hat eine Männerquote von 100 Prozent. An den Fleischhauer am Platz erinnert nur das Namensschild. Den Marktplatz mit seinen stattlichen Linden ziert ein Denkmal, das mehrfach erweitert und umfunktioniert wurde – vom Kaiserjubel 1908 zum Gedenken 1918 und nach 1945. Die Kaiserbüste darauf blickt als stumme Zeugin auf ein Jahrhundert europäischer Geschichte.

Judith Belfkih

Judith Belfkih

war zwischen Juli und November vertretende Digitalchefin. Davor in der Chefredaktion der „Wiener Zeitung“.