Regierungsbildung

Van der Bellen und Kickl: Wird das Brutalität?

Der Bundespräsident und der mögliche Kanzler müssen kooperieren. Kann das gut gehen?

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Am 27. Februar müssen Alexander Van der Bellen und Herbert Kickl zu einer Veranstaltung, der beide lieber fernbleiben würden: dem Wiener Opernball, dem offiziellen Staatsball der Republik, bei dessen Eröffnung Bundespräsident und Bundeskanzler traditionell in der Ehrenloge befrackt Seite an Seite stehen. Alexander Van der Bellen ist ein Tanzmuffel. Den Opernball besucht er aus Staatsräson. Herbert Kickl – Einzelgänger, der er ist – meidet gesellschaftliche Veranstaltungen prinzipiell. Als Innenminister war es seine Pflicht, am Polizeiball im Wiener Rathaus anzutanzen. Und ebenso pflichtbewusst wird Kickl, der aller Wahrscheinlichkeit nach erste FPÖ-Bundeskanzler, am 27. Februar den Opernball besuchen.

Auf zwei Dinge darf man dabei gespannt sein: Wird ein Bundeskanzler Kickl beim Anstimmen der Bundeshymne in der Staatsoper den gesetzlich festgelegten, aber von ihm abgelehnten Text mit den „großen Töchtern“ singen wie der neben ihm stehende Bundespräsident? Und wie wird der Umgang der beiden miteinander sein: höflich distanziert oder kühl ignorierend?

Vertrauensmangel

Ein Bundespräsident und ein Bundeskanzler müssen einander nicht verstehen, aber es sollte „ein gewisses Maß an Vertrauen herrschen“, wie es Van der Bellen nach der Wahl am 29. September formulierte. Dieses ist aus heutiger Sicht nicht gegeben. Seit der Wahl ließ Kickl keine Gelegenheit ungenutzt, Van der Bellen zu attackieren, nachdem ihm dieser den Regierungsbildungsauftrag vorenthalten hatte. Ironischerweise müsste Kickl dem Bundespräsidenten sogar dankbar dafür sein, zunächst übergangen geworden zu sein. Um die ÖVP in eine blau-schwarze Koalition zu bringen, hätte Kickl ihr im Herbst wesentliche Zugeständnisse machen müssen. Nach dem Platzen der Verhandlungen mit SPÖ und Neos ist die Volkspartei angeschlagen und wird es billiger geben.

Schafft Kickl die Koalitionsbildung mit der ÖVP, wird Van der Bellen demnächst einen Politiker zum Bundeskanzler ernennen, den er bei dessen Angelobung zum Innenminister am 18. Dezember 2017 nicht für ministrabel hielt. Als ihm der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die blaue Ministerliste mit Kickls Namen darauf vorlegte, war Van der Bellen einigermaßen konsterniert. In einem persönlichen Gespräch ermahnte er den damaligen FPÖ-Generalsekretär, als Innenminister für alle Bürger verantwortlich zu sein. Nur 17 Monate später, am 22. Mai 2019, entließ Van der Bellen auf Vorschlag von Kanzler Sebastian Kurz Kickl als ersten Minister der Zweiten Republik. Seitdem grollt der FPÖ-Obmann.

In seiner Rede am politischen Aschermittwoch in Ried im Innkreis im Februar 2023 bezeichnete Kickl Van der Bellen als „senil“, „Mumie“ und „größten Demokratie- und Staatsgefährder“. Die Staatsanwaltschaft Ried leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Ehrenbeleidigung ein. Zur weiteren Strafverfolgung wäre allerdings Van der Bellens Zustimmung notwendig gewesen, die dieser nicht erteilte.

So oft Van der Bellen in den vergangenen Jahren signalisierte, Kickl im Falle eines Wahlsieges eher nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen, so oft schlug Kickl zurück: „Der Bundespräsident hat gar nichts zu beauftragen. Die Frage ist, ob sich eine parlamentarische Mehrheit findet. Es braucht überhaupt keinen Regierungsbildungsauftrag.“

Nun muss zusammenfinden, was nicht zusammen will.

Drei-Tages-Bärte

Außer dem Drei-Tages-Bart und der Lust am Bergsteigen vereint Van der Bellen und Kickl nichts: der eine Universitätsprofessor, der andere Studienabbrecher; der eine im Stil verbindlich und offen in der Kommunikation, der andere voller Provokation und misstrauisch; hier ein aufgeklärter Linksliberaler, da ein Rechtspopulist mit Neigung zum politischen Obskurantismus. Van der Bellen fordert regelmäßig „Respekt vor den Prinzipien der liberalen Demokratie wie Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und EU-Mitgliedschaft“. Kickl schätzt Ungarns Premier Viktor Orbán und dessen Konzept der „illiberalen Demokratie“, in der der Rechtsstaat gezielt aufgeweicht wird.

Bei einem seiner Besuche in der Hofburg nach der Wahl brachte Kickl dem Bundespräsidenten eine Eule aus Kristallglas als Geschenk mit. Als „Zeichen der Weisheit“, wie Kickl sagte. Versteckte Bosheiten sind so ganz nach dem Geschmack des FPÖ-Obmanns, offene Brüskierungen ebenso: Der traditionelle Empfang des Bundespräsidenten für die Nationalratsabgeordneten am Tag der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober wurde von den FPÖ-Mandataren – mit Ausnahme des neuen Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz – geschlossen boykottiert

Alexander Van der Bellen ist noch bis Jänner 2029 Bundespräsident. Die kommenden vier Jahre könnten die anstrengendsten seiner gesamten Amtszeit werden.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.