Vergewaltigungen in Wien – eine Spurensuche
In Wien geht der Prozess gegen drei junge Afghanen in die Endphase. Sie müssen sich wegen Vergewaltigung mit Todesfolge und schweren sexuellen Missbrauchs am Wiener Landesgericht verantworten. Das Opfer: die erst 13-jährige Leonie. Der Fall im Juni 2021 hat das Land erschüttert. Drei Afghanen sollen dem Mädchen in einer Wohnung in Wien-Donaustadt Drogen eingeflößt und sie dann schwer missbraucht haben. Das Mädchen starb an dem Martyrium.
Der Missbrauch einer 11- und 14-Jährigen, der sich heuer am 10. November in einer Wohnung in Wien-Meidling zugetragen haben soll, weist Parallelen zum Fall Leonie auf. Die mutmaßlichen Täter: ein 18-jähriger Iraker und ein Österreicher mit arabischem Vornamen. Kurz davor, Ende Oktober, wurden innerhalb einer Woche eine 18-Jährige in einer Toilette am Wiener Praterstern, eine 18-jährige in einem Wiener Park sowie eine 22-jährige in einem weiteren Park vergewaltigt. Auch hier hatten die jungen, mutmaßlichen Täter (ein Afghane und mehrere Syrer) Fluchthintergrund.
Welche Muster stecken hinter diesen Taten? Häufen sich die Fälle? Und wie reagierten die Behörden auf den Fall Leonie?
Bei den meisten der insgesamt 943 Vergewaltigungen, die 2021 in Österreich angezeigt wurden, waren Opfer und Täter bekannt, und die Frauen wurden überredet, in eine Wohnung mitzukommen. Der öffentliche Raum ist eher selten ein Tatort, schildert ein Sprecher des Innenministeriums. So gesehen sind die beiden Fälle in den Parks und jener auf der Bahnhofstoilette Ausreißer. Der mutmaßliche Missbrauch der 11- und 14-Jährigen scheint hingegen typisch; die Mädchen kannten die mutmaßlichen Täter, gingen freiwillig an den späteren Tatort. Und doch steckt – wie auch im Fall Leonie – ein spezifisches Muster dahinter. Der Kontakt zu den jungen Männern entstand über Drogen. Die Mädchen aus teils prekären Verhältnissen konsumierten sie in Parks und den Wohnungen der Burschen. Auch der Migrationshintergrund der Dealer spielt eine Rolle.
Der Afghanistan-Experte Sarajuddin Rasuly war über 25 Jahre Sachverständiger bei Gericht. Er kennt die Lebensgeschichten krimineller Asylwerber und Flüchtlinge. Zum Fall Leonie sagt er: „In der Heimat ist der Kontakt zwischen Buben und Mädchen vor der Ehe tabu. In Österreich sehen die jungen Männer überall junge Frauen herumlaufen und suchen Kontakt. Das klappt selten, wenn man kaum Deutsch kann oder das Verhalten nicht der Norm entspricht. Bleibt der Weg über Drogen. Durchs Dealen kommt man an Frauen heran. Die meisten Mädchen, die mit den Burschen abhängen oder sich sogar anfassen lassen, gehen von Freundschaft aus. Sie rechnen nicht damit, angegriffen, misshandelt oder gar ermordet zu werden.“ Auch Fluchtgeschichten können eine Rolle spielen: „Auf der Flucht beginnt die Beschaffungskriminalität für die Schlepper – durch Drogenhandel, Raub, aber auch männliche Prostitution. Dafür gibt es in Griechenland, Serbien, Mazedonien einen Markt. Man rutscht tiefer rein, will Geld auch für sich und ‚vercheckt‘ deswegen noch mehr Drogen. Gewalt wird zum Alltag, der Charakter verändert sich.“ Es klingt sehr hart, wenn Sarajuddin daraus den Schluss zieht: „So kommen manche Asylwerber bereits süchtig und kriminell nach Österreich.“ Und doch kann dieser Blickwinkel helfen, problematische Asylwerber früher zu erkennen, sie engmaschiger zu betreuen oder – wenn nötig – strafrechtlich zu verfolgen, bevor sie mit jungen Mädchen in engen Kontakt kommen.
Wie viele Vergewaltigungen nach diesen Mustern gab es seit der großen Migrationswelle 2015? Bei Vergewaltigungen ist die Dunkelziffer hoch. Sofern sie angezeigt werden, finden sie in der Statistik des Innenministeriums Niederschlag. Im Jahr 2021 waren von 943 Tatverdächtigen 43 Prozent Ausländer, darunter 42 Türken, 38 Afghanen, 37 Syrer, 31 Rumänen, 31 Serben (stärkste Nationen). Gemessen am jeweiligen Bevölkerungsanteil zeigt sich ein deutlicher Überhang afghanischer und syrischer Tatverdächtiger. Das Institut für Höhere Studien führte in einer Studie über kriminelle Afghanen aus dem Jahr 2020 mehrere Gründe dafür an. Diese reichen von der „Sozialisierung in einem patriarchalen und gewaltbereiten Umfeld“ über „traumatisierende Kriegs- und Fluchterlebnisse“ bis hin zu einer „Übersexualisierung als Folge des Tabuthemas Sex“. Abseits von kulturellen Effekten verweist die Studie darauf, dass Burschen und junge Männer überall auf der Welt das höchste Kriminalitätsrisiko haben und diese Gruppe bei Afghanen und Syrern in Österreich eindeutig dominiert.
Nehmen Vergewaltigungen in diesem Milieu zu, wie es die jüngsten Vorfälle in Wien vermuten lassen? In den vergangenen Jahren war das nicht der Fall. Im Gegenteil. Laut Polizeistatistik sank die Zahl afghanischer Tatverdächtiger – von durchschnittlich 60 pro Jahr auf 47 im Jahr 2020 und 38 im vergangenen Jahr. Auch die Zahl rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger sank markant auf vier Afghanen, vier Syrer, zwei Iraker im Jahr 2021. Wegen strafbarer Handlungen gegenüber „sexueller Integrität und Selbstbestimmung“ wurden insgesamt 25 Afghanen, 22 Syrer und elf Iraker verurteilt, dazu zählt neben Vergewaltigung auch sexuelle Belästigung oder der Besitz von Kinderpornos.
Praktisch jeder dieser Fälle wird berichtet. Denn junge Männer, die von weit her als Schutzsuchende ins Land kommen und Mädchen vergewaltigen, lassen den Volkszorn hochkochen – bis hin zur Frauen- und Integrationsministerin: „Diese unfassbar grausamen Vergewaltigungen durch Asylwerber und Asylberechtigte an vorwiegend sehr jungen Mädchen erschüttern mich zutiefst und machen mich wütend“, sagt Susanne Raab (ÖVP). Und: „Ich will für diese Täter Höchststrafen und die Abschiebung.“ Das ist Theaterdonner. Kein einziges EU-Land schiebt nach Syrien, Afghanistan oder in den Irak ab.
Was hat die Regierung getan, um Mädchen besser zu schützen? Raab verweist auf verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings und eine SOS-App des Innenministeriums, mit der die Polizei in heiklen Situationen geheim gerufen werden kann. Sie selbst habe das Budget der 200 Frauen- und Mädchenberatungsstellen für 2023 um eine Million Euro aufgestockt, mit Fokus auf Einrichtungen zu sexueller Gewalt.
Handlungsbedarf hat auch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11). Einer der Hauptbeschuldigten im Fall Leonie lebte in einer von der MA 11 betreuten Gemeindewohnung, wo auch die Tat geschah. Der 18-jährige Afghane hatte bereits vor dem Mord eine kriminelle Karriere als Drogenhändler und Schläger vorzuweisen. Deswegen war die Verwunderung groß, wie scheinbar unbehelligt junge Mädchen in seiner Wohnung ein und aus gehen konnten. Eine Sprecherin der MA 11 meint, seit dem Fall seien Kontakte in den Wohnungen der Jugendlichen alle zwei Wochen verpflichtend. Der Austausch mit Bewährungshelfern von Klienten wurde intensiviert.
Auch die 11- und die 14-Jährige, die in Meidling mutmaßlich missbraucht wurden, lebten in einer Wohngemeinschaft der MA 11. Insgesamt sind 4000 Kinder und Jugendliche in der Obsorge der Stadt Wien. Das ist ein Prozent aller Minderjährigen in der Stadt – ein hoher Wert im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Sie leben bei Pflegeeltern oder in einer von 200 Wohngemeinschaften. Der zuständige NEOS-Stadtrat Christoph Wiederkehr hat die Zahl der Wohnungsplätze für besonders betreuungsintensive Kinder um 100 erhöht, das Budget für Psychotherapie stieg um eine Million Euro.
Kinder- und Jugendliche in städtischer Obsorge kommen aus desolaten Elternhäusern und sind dadurch anfällig, an die Falschen zu geraten. Der Missbrauchsfall in Meidling ereignete sich an einem Nachmittag. Die Sprecherin der MA 11 verweist darauf, dass sich die Mädchen innerhalb der Ausgehzeiten frei bewegen konnten. Geschlossene Wohngemeinschaften seien weder pädagogisch sinnvoll noch rechtlich erlaubt.
Die Leiterin der unabhängigen Kinder- und Jugendanwaltschaft, Dunja Gharwal, kritisiert, dass es bei der MA 11 an „nachgehender Arbeit“ fehle. Was meint sie damit? „Das, was Mama und Papa machen, wenn Kinder strawanzen gehen, damit sie wissen, wo die Kinder sind.“ Auch dafür brauche es mehr Ressourcen.
Afghanistan-Experte Rasuly wiederum plädiert für einen massiven Ausbau der verpflichtenden Wertekurse. Es müsste den jungen Flüchtlingen eingetrichtert werden, dass es kein Freibrief zu irgendetwas ist, wenn Mädchen in Wohnungen mitgehen – auch wenn sie dieses Verhalten aus ihrer Kultur nicht kennen.