Wahlplakat aus dem Jahr 1927: Steuern auf Luxusgüter wie Sekt.
Österreich

Vermögenssteuern: Das Geld der anderen

Kaum eine Debatte verläuft in Österreich so bizarr wie jene über Vermögenssteuern. Seit Jahrzehnten gibt es darüber Ideologiescharmützel – Nebengleise wie Schaumweinsteuern sind die Folge. Dabei wären sich alle Experten über die praktikable Lösung einig: Erbschaften besteuern.

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Die Diskussion eskalierte schnell. In Gruselvideos schleicht ein grimmig blickender Detektiv durch einen Park, stellt hinterlistig eine Dame und inspiziert mit seiner Lupe ihren Ring. Mit derart drastischen Videoclips warnt die Industriellenvereinigung vor der „Schnüffelsteuer“, wie sie die Vermögenssteuer nennt – so überzeichnet, dass knochentrockene Wissenschafter wie der Ökonom Christoph Badelt nur über die „polemische Debatte“ seufzen konnten.

Seit die SPÖ vom neuen Vorsitzenden Andreas Babler abwärts klassenkämpferische Töne anschlägt und Millionärssteuern zur Bedingung für eine mögliche künftige Koalition erklärt hat, gehen die Wogen hoch, wieder einmal: ÖVP und FPÖ toben gegen die „Neiddebatte“ – während SPÖ und Grüne ebenso holzschnittartig gegen „die Reichen“ in „fetten Villen“ agitieren. Auf beiden Seiten kommen die Argumente pro und contra Vermögenssteuern reichlich flugs und routiniert, kein Wunder: Es ist bereits die x-te Auflage dieses Streits. Seit drei Jahrzehnten schwappt die Auseinandersetzung, ob, wie und in welchem Ausmaß Vermögende besteuert werden sollen, zwischen den Lagern hin und her. Sie wird stets erbittert geführt. Und endete bisher stets in Ideologie-scharmützeln und ergebnislos.

Im Spitzenfeld bei Arbeitssteuern

Dabei könnte alles relativ einfach sein. Die nüchternen Fakten: Österreich ist ein Hochsteuerland, die Abgabenquote aus Steuern und Versicherungsbeiträgen liegt hierzulande mit 43,5 Prozent deutlich über dem Schnitt der Eurozone (42,1 Prozent). Besonders kräftig langt der Staat bei Arbeit zu: 46,8 Prozent von den Bruttoarbeitskosten gehen an den Staat, die Steuerbelastung von Arbeit ist am vierthöchsten von allen OECD-Staaten. Während Österreich bei den Arbeitskosten im Spitzenfeld liegt, hinken die Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern deutlich hinterher: Im Schnitt nehmen Industriestaaten 1,8 Prozent aus derartigen Steuern ein – Österreich aber mit 0,6 Prozent nicht einmal halb so viel und dümpelt damit am unteren Ende dieser Skala.

Der Schluss daraus ist logisch, zumindest für Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die EU-Kommission oder die OECD, allesamt nicht unter Marxismusverdacht und keine Horte der Kapitalismuskritik, sondern zutiefst der Marktwirtschaft verpflichtet: Sie empfehlen Österreich so einhellig wie dringlich seit Jahren, die Steuerschieflage zu beseitigen, weil sie weder ökonomisch noch sozial vernünftig ist, und endlich die Steuern auf Arbeit zu senken – und im Gegenzug vermögensbezogene Steuern zu erhöhen.

Am leichtesten umzusetzen und daher am besten geeignet dafür wäre eine Erbschaftssteuer, die in Staaten wie Deutschland, Italien oder Frankreich zu den Selbstverständlichkeiten gehört. Die konsequent marktliberalen Chefs der beiden größten österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute, Gabriel Felbermayr vom WIFO und Holger Bonin, plädieren dafür, im Chor der Experten von EU-Kommission und Co. Ihre Argumente: Erbschaftssteuern würgen weder Wachstum noch Konsum ab, sind ohne großen Verwaltungsaufwand einzuheben – und volkswirtschaftlich vernünftig, weil sie zu Leistung animieren. Denn, salopp zugespitzt: Wo Arbeit, wie in Österreich, mit hohen Steuern bestraft wird, sinkt die Bereitschaft, sich anzustrengen. Warum sich verausgaben, wenn es so viel bequemer und lukrativer ist, auf den Herzinfarkt des Erbonkels zu warten?

Der Ertrag einer Erbschaftssteuer hängt naturgemäß vom konkreten Modell ab, wäre aber jedenfalls erheblich: Wilfried Altzinger von der Wirtschaftsuniversität Wien kann seit Jahren vorrechnen, dass in den kommenden Jahrzehnten ein Volumen von rund 25 Milliarden Euro vererbt wird. Pro Jahr, wohlgemerkt.

Unter der strikten Voraussetzung, dass mit der Einführung einer Erbschaftssteuer die Steuern auf Arbeit gesenkt würden, findet sich auch politische Unterstützung abseits von SPÖ und Grünen: NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger kann unter dieser Bedingung Erbschaftssteuern etwas abgewinnen, Wirtschaftsminister Martin Kocher – vorsichtig – ebenso, etwa im profil-Interview 2021 kurz nach seinem Wechsel von der Wissenschaft in die Politik: „Für eine Erbschaftssteuer nur für Millionäre gibt es keine gute wissenschaftliche Begründung. Wenn, dann muss der Steuersatz niedrig sein – aber die Besteuerung über einer niedrigen Bagatellgrenze beginnen. Da wäre die politische Diskussion aber eine andere.“ Geseufzter Zusatz ein Jahr später, als der grüne Koalitionspartner wieder einmal vehement auf Vermögenssteuern drängte: „Eine sachliche Debatte ist unmöglich. Vermögens- und Erbschaftssteuern scheinen immer Projektionsflächen für ideologische Haltungen zu sein. Es wird selten sachlich über mögliche Varianten gesprochen.“

Die „Reichen und Lustigen“

Wie recht Kocher damit hat, zeigt sich im Njet der ÖVP, darüber zu diskutieren. Dennoch scheinen wenn, dann Erbschaftssteuern praktikabler – die SPÖ macht aber nicht sie, sondern ausgerechnet Vermögenssteuern zur Koalitionsbedingung. Das hat wohl eher psychologische als faktische Gründe: Bei Vermögen denkt die Mehrheit zuerst an „die Millionäre“ oder „die Reichen“ – bei Erbschaften aber an die eigenen Eltern und deren Eckzinssparbuch. Frei nach dem Motto: Gerne das Geld der anderen besteuern, aber bitte Hände weg von meinem eigenen.

Ausgerechnet unter SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer war die Erbschaftssteuer im Jahr 2007 in der Großen Koalition abgeschafft worden – und die Bevölkerung hatte nachgerade euphorisch reagiert: Über 70 Prozent der Bevölkerung waren in Umfragen dafür. Derart hohe Zustimmungswerte erzielt man sonst nur, wenn man die Akzeptanz von Freibier oder von weißen Weihnachten abfragt. Getreu dieser Grundeinstellung lobte Gusenbauer sich danach in der deutschen „Bild“-Zeitung: „Steuern runter macht Österreich munter.“

Eine Finanz- und Wirtschaftskrise und einen Kanzlerwechsel zu Werner Faymann später entdeckte die SPÖ, dass Vermögen, Reichtum und Erbschaften in Österreich sehr ungleich verteilt sind – laut Schätzungen besitzt die kleine Schicht des obersten einen Prozent satte 40 Prozent des Vermögens. Und begann, ab dem Jahr 2010 für „Millionärssteuern“ zu kampagnisieren. Derartige Steuern würden, je nach Schätzung, zwischen einer und fünf Milliarden Euro ins Budget spülen. Betonung auf würden: Das Geld ist zwar gefühlt schon mehrmals ausgegeben, für Pflege, Kinderbetreuung oder Steuersenkung – wurde aber nie beschlossen.

„Krone“-Eigentümer und Faymann-Fan Hans Dichand war stets gegen höhere Vermögenssteuern – was Faymann irgendwie den Spaß verdarb. In den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP 2013 ließ die SPÖ die Forderung nach Vermögenssteuern fallen und gab sich mit einer Einschränkung des Gewinnbetrags für Selbstständige zufrieden. Als kleines klassenkämpferisches Zuckerl wurde damals 2013 eine „Schaumweinsteuer“ von 0,75 Cent pro Flasche Sekt beschlossen, im Volksmund immerhin „Millionärssprudel“ genannt.

Das hat in der SPÖ lange Tradition: Das rote Wien finanzierte ab 1922 sein Gemeindebauwohnprogramm mit Steuern für „die Reichen und Lustigen“, wie es Finanzstadtrat Hugo Breitner formulierte. Er besteuerte Bälle, Autobesitz, Großwohnungen, Pferderennen, Nachtlokale und Luxusgüter wie Sekt – selbstredend unter propagandistischer Verwertung: Die rote Faust aus dem Jahr 1927, die eine Sektflasche umklammert, gilt bis heute als Klassiker unter den Klassenkampf-Wahlplakaten. Mit dem Ständestaat waren 1934 das „Rote Wien“ und seine Luxussteuern Geschichte. Faymanns Schaumweinsteuer wurde schließlich von Türkis-Blau im Zuge der Steuerreform 2019 abgeschafft. Nun ist eine neuerliche Debatte über Vermögenssteuern eröffnet. Bizarre Wendungen sind garantiert.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin