Verwirrung um Kanzler-Posting: „Innerrussischer Konflikt in Österreich”?
„Wir lassen nicht zu, dass eine innerrussische Angelegenheit auf österreichischem Boden ausgetragen wird”, postete der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gestern auf Instagram. Ein Statement, das selbst die erfahrensten Russland-Experten in den sozialen Medien verwirrte. „Kann mir jemand erklären, was damit gemeint ist?”, postete der russische ORF-Auslandskorrespondent Paul Krisai auf Twitter.
Verwirrung um „innerrussischen Konflikt”
Der Auslöser für Nehammers Posting war die Söldnertruppe Wagner, angeführt von Jewgenij Prigoschin, die zu Tausenden Richtung Moskau marschierte. Viele Beobachter sahen darin einen Putschversuch. Samstagabend legte Prigoschin allerdings eine Kehrtwende ein: Prigoschin brach 200 Kilometer vor der Hauptstadt den Marsch ab. Im Gegenzug verkündete der Kreml, dass Prigoschin und seine gesamte Truppe trotz des gewaltsamen Aufstands straffrei ausgehen sollten.
Ein Ereignis, das auch die österreichische Politiklandschaft in Besorgnis versetzte: Tags darauf wurde in Österreich ein Krisenkabinett mit Regierungsmitgliedern einberufen. Der Kanzler kündigte in der Pressekonferenz nach der Sitzung „Schutzmaßnahmen in Österreich” an. Danach teilte Nehammer den vieldiskutierten Beitrag auf Instagram. Die Verwirrung rund um einen vermeintlichen „innerrussischen Konflikt in Österreich” nahm seinen Lauf.
„Lage völlig fehlinterpretiert”
Nicht nur in den sozialen Medien wurde über das Posting des Bundeskanzlers spekuliert, auch in Fachkreisen werde aktuell darüber gerätselt, was Nehammer gemeint haben könnte, erzählt der Wiener Historiker Wolfgang Mueller gegenüber profil. Müller selbst könne nur spekulieren: „Die gegenwärtigen Konflikte oder eben auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben natürlich auch immer eine Bedeutung für die entsprechenden Auslandsgemeinden.” Nehammer habe möglicherweise verhindern wollen, dass es zu Verwerfungen zwischen Russen innerhalb Österreichs komme.
Auch Gerhard Mangott, Russland-Experte und Politologe an der Universität Innsbruck, vermutet, dass Nehammer in seinem Posting auf die verschiedenen Lager in der russischen Community in Österreich anspielen wollte. Es gebe jene, die mehr und jene, die weniger mit Putin sympathisieren würden. Trotz dieser Differenzen im russischen Meinungsbild gebe es aber überhaupt keine Anzeichen, dass es zu Demonstrationen oder Gegendemonstrationen kommen könne. „Nehammer hat diese Lage völlig fehlinterpretiert und aus der Spaltung, die es tatsächlich gibt, etwas abgeleitet, was völlig unwahrscheinlich ist, eigentlich völlig ausgeschlossen ist”, so Mangott. Der Kanzler habe sich gegenüber den Österreichern so dargestellt, als würde er alles tun, um ihre Sicherheit vor angeblichen russischen „Aufrührern” zu schützen,die gegeneinander losgehen könnten. Dass ein Nachrichtendienst den Bundeskanzler vor einem Szenario dieser Art gewarnt hat, bezweifelt Mangott. Der Politologe vermutet, der Kanzler wolle mit seinen Aussagen schlichtweg „innenpolitisch punkten”.
Botschaftsgebäude schützen
Weniger kritisch sieht das Posting Doris Wydra, Politikwissenschaftlerin und Russland-Expertin an der Universität Salzburg. Aus ihrer Sicht gehe es darum, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, falls es zum Konflikt zwischen rivalisierenden russischen Gruppen in Österreich komme. „Ich denke, worum es in erster Linie geht, ist, russische und wahrscheinlich auch ukrainische Einrichtungen besser zu schützen”, so Doris Wydra. Botschaftsgebäude seien durchaus schon Angriffsziele gewesen. Die Sicherheitsvorkehrungen an solchen Orten zu schärfen, sei nie ein Fehler. Aktuelle Übergriffe oder Proteste in Österreich sind der Salzburger Politologin allerdings nicht bekannt.
Kanzleramt bleibt vage
Das Kanzleramt verwies mittlerweile auf KURIER-Nachfrage auf den Zusammenhang, in dem der Satz von Nehammer gefallen ist. In der Pressekonferenz nach dem Krisenkabinett wurde über die partielle Reisewarnung des Außenministeriums informiert, aber auch angesprochen, dass „das Innenministerium in enger Abstimmung mit der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst Schutzmaßnahmen getroffen” habe. Darunter seien „Personen- und Objektschutzmaßnahmen" zu verstehen und „Schutzmaßnahmen von neuralgischen Punkten, die der inneren Sicherheit dienen". Gemeint seien damit unter anderem Botschaften, wie auch Doris Wydra vermutete.
Diese Maßnahmen seien nicht neu, so das Bundeskanzleramt auf KURIER-Anfrage. In der Vergangenheit habe es sowohl bei innerstaatlichen Konflikten in der Türkei mit Kurden oder zu Beginn des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2022 derartige sicherheitspolizeiliche Vorkehrungen gegeben.