Vier Gründe, warum die FPÖ die EU-Wahl gewann
In Umfragen war die FPÖ in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf Platz eins gelegen, bei einer bundesweiten Parteienwahl hat sie dieses Ergebnis aber noch nie ins Ziel gebracht. Bis zur gestrigen EU-Wahl. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Schwäche der anderen bis zu einigen glücklichen Fügungen.
1. Die regionale Zentrumspartei
Bei der Analyse des blauen Erfolgs sticht eine Schwachstelle der Freiheitlichen sofort ins Auge: Die Landeshauptstädte. Trotz ihres bundesweiten Erfolgs war die FPÖ mit der Ausnahme von Klagenfurt in den acht anderen Metropolen des Landes teils weit von Platz eins entfernt.
Gewonnen haben die Blauen die EU-Wahl nicht in Wien oder Innsbruck, sondern in den vielen kleinen und mittelgroßen Städten des Landes. In ehemals roten Hochburgen wie Schwechat, Leoben oder Liezen und in türkisen wie Kufstein oder Schladming – die FPÖ zog dort mit Leichtigkeit an ÖVP und SPÖ vorbei und ist für den Moment die Partei der regionalen Zentren.
Warum ist das so?
Einen Erklärungsansatz liefern die soziodemografischen Daten der Wahlbefragung, die vom Institut für Strategieanalysen und von Foresight (vormals SORA) ausgewertet wurden: In Universitätsstädten wie Graz liegt der Akademikeranteil deutlich über dem Landesschnitt – und die Bevölkerung ist jünger. Hätten nur Menschen mit Matura und Uniabschlüssen gewählt, wären die Freiheitlichen unter 20 Prozent gekommen, weit unter ihrem tatsächlichen Ergebnis. Ähnlich bei den unter 30-jährigen.
Besonders stark schnitt die FPÖ dagegen bei Menschen mit Lehrausbildung (34 Prozent) und bei Arbeitern (42 Prozent) ab, holte aber auch 20 Prozent bei den Selbstständigen. Bei den Angestellten lagen ÖVP, SPÖ und FPÖ Kopf an Kopf. Zählt man alle Erwerbstätigen zusammen, liegt die FPÖ mit 26 Prozent vorn. Schwacher Trost für ÖVP und SPÖ: Immerhin die Pensionisten schenken ihnen noch mehr Vertrauen als den Freiheitlichen.
In einem Punkt unterschieden sich die freiheitlichen Wähler jedenfalls von früheren Wahlgängen: Bisher galten sie als „late decider“, also als Menschen, die sich erst in den letzten Tagen vor der Wahl entscheiden. Dieses Mal war es anders: Die große Mehrheit der FPÖ-Wähler hatte ihre Entscheidung bereits vor Wochen getroffen. Die meisten von ihnen dürften sich weniger für die EU interessiert haben, sie wollten ein „innenpolitisches Zeichen setzen“, wie aus der Wahlbefragung für den ORF hervorgeht.
Das ist ihnen gelungen.
2. EU-Skepsis ist weit verbreitet
Mit ihrer Kritik an der EU traf die FPÖ laut Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik die Stimmungslage der Österreicherinnen und Österreicher. Praprotnik verweist auf die Wahlbefragung des ORF: Die relative Mehrheit von 46 Prozent der Wähler findet, dass sich die EU in den vergangenen Jahren negativ entwickelt habe. Nur 24 Prozent sind der Meinung, dass die EU in die richtige Richtung steuert. Dennoch ist eine klare Mehrheit in Österreich gegen einen EU-Austritt.
Die Freiheitlichen hatten vor der Wahl offenbar ähnliche Umfragen. Entgegen früherer Aussagen sprach sich FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky im Wahlkampf gegen einen „Öxit“ aus, forderte aber dennoch, das Europaparlament zu halbieren und die EU-Kommission abszupecken. Das komme bei jenen gut an, die der EU gegenüber kritisch eingestellt sind, resümiert Praprotnik.
„Bei der Wahl ist eine große Unzufriedenheit artikuliert worden“, sagt Paul Schmidt von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Die FPÖ überzeugte laut Wählerstromanalyse 100.000 Nichtwähler:innen – bei weitem mehr als alle anderen Parteien. Dazu kommt ein weiterer Bonus: „Die FPÖ ist lauter aus der Opposition heraus“, so die Politikforscherin. Bei der EU-Wahl 2004 waren die Blauen noch in der Regierung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) – und weitaus schwächer. Damals kamen sie auf 6,31 der Stimmen und holten nur ein Mandat.
3. Migration
Die EU-Wahl war keine Klimawahl. Im Gegenteil: Zuwanderung und Asyl dominierten den Diskurs. Das sind bekanntlich die Lieblingsthemen der FPÖ. Das könnte sich laut Politikberater Thomas Hofer bis zur Nationalratswahl durchziehen. „Die Freiheitlichen sind sicher weiter Favorit aufgrund der Themenlage.“ Hinter Zuwanderung folgten bei der EU-Wahl Sicherheit und Krieg sowie Umwelt- bzw. Klimaschutz in der Prioritätenliste. Die Teuerung spielte zur Überraschung vieler Beobachter eine untergeordnete Rolle bei den Wahlmotiven.
Nach dem historisch schlechtesten Ergebnis bei einer Europa-Wahl gab SPÖ-Chef Andreas Babler in einer Pressekonferenz bekannt, dass er das Migrationspapier seiner Partei „refreshen“ will. Zuvor hatten Landesparteichefs wie der Tiroler Georg Dornauer eine schärfere Linie bei Asyl und Sicherheit gefordert. In welche Richtung Babler das Papier überarbeiten will, ließ er allerdings offen.
4. Grüne Hilfe
Ohne Patzer ist der freiheitliche EU-Wahlkampf wahrlich nicht verlaufen. Im Vergleich zu 2019 musste man sich zwar mit keinem Video aus einer spanischen Villa herumschlagen, aber doch mit einem Haufen Chats. Im Mai wurde bekannt, dass die WKStA wegen Untreue gegen Herbert Kickl ermittelt, die mutmaßlichen Delikte betreffen seine Zeit als Innenminister. In der Zeit der türkis-blauen Regierung sollen FPÖ-Minister versucht haben, die Berichterstattung von Rechtsaußen-Medien mit Steuergeld zu beeinflussen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Außerdem machte Ende Mai ein Sager aus dem Jahr 2010 die Runde. „Da werden wir uns nicht darauf verständigen können, dass ein Verein als solcher oder eine Einheit wie die Waffen-SS kollektiv schuldig zu sprechen ist“, sagte der Kickl damals in der ATV-Diskussionssendung „Am Punkt“. Für eine ähnliche Aussage wurden dem AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah alle öffentlichen Auftritte verboten und die AfD aus der rechten Fraktion im EU-Parlament, der „Fraktion Identität und Demokratie“ (ID), geschmissen. Neben der „Estnischen Konservativen Volkspartei“ stimmte nur die FPÖ für einen Verbleib der AfD. Mittlerweile ist klar, dass Krah kein Teil der AfD-Delegation im Europaparlament sein wird. Für Kickl hatte der alte Sager keine Konsequenzen.
Wirklich weh getan haben diese Affären der FPÖ nicht. In den Medien konnte man sich recht gut hinter der Diskussion rund um die Grünen-Spitzenkandidatin verstecken. Laut Auswertungen der „APA-Comm“, sie analysierte 13 Tageszeitungen aus ganz Österreich, war Lena Schilling mit 645 veröffentlichten Beiträgen die medial präsenteste Spitzenkandidatin. FPÖ-Mann Harald Vilimsky kam mit 199 Artikeln am zweithäufigsten vor.