70 Jahre Staatsvertrag

Vier Tage im April 1955

April 1955: Hinter den Kulissen der entscheidenden Verhandlungen zum Staatsvertrag gibt es Zoff um die Neutralität und etwas zu viel Wodka.

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Fast hätten sie einander verpasst. Bei der Spinnerin am Kreuz wollten sich die vier Politiker am frühen Morgen des 11. April 1955 treffen, um dann gemeinsam zum Flughafen in Bad Vöslau zu fahren. Aber als Vizekanzler Adolf Schärf (SPÖ) beim Denkmal am Scheitelpunkt des Wienerbergs eintraf, war niemand da. Man habe den Treffpunkt auf Bitten von Außenminister Leopold Figl (ÖVP) einen Kilometer weiter, nach Inzersdorf, verlegt, wurde ihm mitgeteilt. Figl hatte argumentiert, die Spinnerin habe der Sage nach jahrzehntelang auf ihren auf einem Kreuzzug vermissten Gatten gewartet – und das sei schließlich ein schlechtes Omen für Staatsvertragsverhandlungen in Moskau.

So skurril diese legendärste Auslandsmission österreichischer Politiker in der Geschichte der Zweiten Republik begann, so absurd verlief sie manchmal auch in den folgenden Tagen. Dennoch: Als die vierköpfige Delegation am 15. April 1955 wieder in Bad Vöslau landete, war ein gutes Stück Geschichte geschrieben: Nach elf Jahren der Diktatur und weiteren zehn Jahren der Besatzung war Österreich wieder auf dem Weg, ein unabhängiger, demokratischer Staat zu werden.

Dass ausgerechnet diese vier Männer – Julius Raab und Leopold Figl von der ÖVP; Adolf Schärf und Bruno Kreisky von der SPÖ – zu den Vollendern dieses Vertragswerks werden sollten, ist grotesk.

Herbert Lackner

war von 1998 bis zum Februar 2015 Chefredakteur von profil. Heute schreibt der Autor mehrer Bücher als freier Autor für verschiedene Medien, darunter profil.