Vizekanzler Jabloner: "Die Justiz kann man nicht inszenieren"
INTERVIEW: EDITH MEINHART, CHRISTA ZÖCHLING
profil: Sie gelten als Paradejurist und haben bereits zwei Ausflüge gemacht: in die Historikerkommission, also in die geschichtliche Aufarbeitung, jetzt in die Politik. Was ist herausfordernder? Jabloner: Das sind unterschiedliche Herausforderungen. In der Historikerkommission waren die historische Arbeit und ihre Koordination schwierig. Auch der Stress als Richter oder Wissenschafter kann erheblich sein, wenn ein schwieriges Problem zu lösen ist. Das ist eine andere Art Stress als in der Politik mit vielen persönlichen Kontakten, Terminen und der typischen Zeitknappheit.
profil: Sie sagten einmal, Sie sähen sich als Josephinist. Was verstehen Sie darunter? Jabloner: Als Berufsbeamter, der ich ja immer war, fühle ich mich dem Gemeinwohl verpflichtet. Ich sehe darin einen Wert, der über der Parteipolitik steht. Aus dieser Haltung heraus habe ich, als mich der Bundespräsident gefragt hat, ob ich dieses Amt übernehmen würde, ja gesagt. Als ich vor mehr als 20 Jahren die Historikerkommission leiten sollte, war es ähnlich. Ich habe mich nicht darum gerissen, aber es getan.
profil: Jetzt schlagen Sie Alarm, dass die Justiz ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen kann – wegen fehlender Kanzleikräfte? Jabloner: Meine Chance liegt darin, dass ich auf strukturelle Probleme aufmerksam machen kann. Ich habe Bereiche identifiziert, die problematisch sind. Bei den Kanzleikräften zu sparen, ist sehr schlimm. Sie nehmen Schriftsätze entgegen, schreiben Protokolle, fertigen Urteile aus. Ohne sie nützen die besten Richter nichts. Kanzleikräfte sind das Rückgrat der Justiz. Wir haben in den letzten Jahren 400 Planstellen verloren. Zur Budgetlage des laufenden Jahres habe ich bereits ein konstruktives Gespräch mit dem Finanzminister geführt, in das die Vorsitzende des Justizausschusses eingebunden war. Wir gehen davon aus, dass es im Bereich der Justiz heuer nicht zu Zahlungsschwierigkeiten kommen wird. Weiters haben wir vereinbart, dass mein Ministerium begonnene Arbeiten zur Effizienzsteigerung fortführen wird. Für die Zukunft sehe ich meine Aufgabe darin, die Öffentlichkeit für das Funktionieren der Justiz zu sensibilisieren.
Es gibt Probleme, das ist nicht zu leugnen.
profil: Tut sich die Justiz schwerer als die Polizei, die neue Waffen, schusssichere Westen und mehr Personal bekommt, ihren Bedarf zu argumentieren? Jabloner: Die Justiz ereignet sich im Alltag der Recht suchenden Bevölkerung. Sie ist eine staatliche Infrastruktur, die den Menschen zu ihrem Recht verhelfen soll. Ihre Leistungen fallen erst auf, wenn sie nicht mehr funktioniert. Die Justiz kann man nicht inszenieren, ich würde sie auch nicht inszenieren wollen.
profil: In Ihrem Haus gibt es tiefe Gräben zwischen Sektionschef Christian Pilnacek und der Oberstaatsanwaltschaft auf der einen und der Korruptionsstaatsanwaltschaft auf der anderen Seite. Jetzt soll Pilnacek mithilfe von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt entmachtet werden. Finden Sie das richtig? Jabloner: Es gibt Probleme, das ist nicht zu leugnen. Man muss aber mehrere Facetten unterscheiden: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) führt viele heikle Verfahren gegen potente Personen. Im Sinne von Public Ligitation gibt es ein nicht zu übersehendes Interesse, die WKStA schlechtzumachen. Freilich hat die WKStA in der BVT-Geschichte suboptimal agiert und sich damit eine Blöße gegeben. Allgemein gesprochen ist die WKStA stark belastet. Deshalb bemühe ich mich, sie zu unterstützen. So gibt es etwa eine zusätzliche Arbeitskapazität für das Eurofighter-Verfahren. Gleichzeitig bilden sich in der Bekämpfung meines Sektionschefs Pilnacek merkwürdige Konstellationen. Vage Vorwürfe stehen im Raum, die auf seinen Kommunikationsstil fokussieren. Ich habe im Dialog zwischen den Beteiligten eine gewisse Informalität festgestellt, die ich für ungünstig halte. Denn sie schwächt die Transparenz der Weisungserteilung und damit auch die Möglichkeit der nachgeordneten Organe, vermeintlich rechtswidrige Weisungen zu bekämpfen. Meine erste Reaktion bestand daher darin, eine Weisung zu erteilen, in der ich die Formalitäten in Erinnerung gerufen habe.
profil: Es gibt also keinen Bösen und keinen Guten? Jabloner: Es ist ein wenig wie in einer Familie. Alles hat seine Vorgeschichte. Es ist sinnlos, nach Schuldigen zu suchen. Ich könnte mich auch nicht innerhalb von ein paar Wochen in die gesamte Eurofighter-Problematik einlesen. All diese Verfahren sind schwierig. Sie haben einen Auslandsbezug, brauchen Rechtshilfeverfahren, die Leute nützen alle Rechtsmittel. Das ist ihr gutes Recht, macht aber die Verfahren nicht einfacher. Für die Medien ist es natürlich fantastisch, wenn Staatsanwaltschaften, die den normativen Anspruch des Staates repräsentieren, miteinander streiten und Parteien sich draufsetzen und ihr Spiel spielen. Ich versuche daher, die Situation zu beruhigen, appelliere aber gleichzeitig an die politische Ebene, die Staatsanwaltschaften nicht zu instrumentalisieren.
profil: In der Bevölkerung hört man oft, Reiche und Prominente wie Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser würden es sich „richten“. Jabloner: Und andere sagen, da wird einer gequält mit endloser Prozessführung. Das Verfahren ist in guten Händen und wird effizient geführt.
Demokratie ist die Mitwirkung der Normunterworfenen an der Normerzeugung. Wenn so viele Menschen nicht mitwirken können, weil dies über die Staatsbürgerschaft geleitet wird, entsteht ein demokratie-politisches Defizit.
profil: Sie waren Geschäftsführer des Hans-Kelsen-Instituts, des Architekten unserer „eleganten“ Verfassung. Was können wir von ihm lernen? Jabloner: Er war ein moderner, unabhängiger, rationaler Denker, der streng unterschieden hat, wie die Dinge sind und wie sie sein sollen. Die von ihm kreierte Verfassungsgerichtsbarkeit war weltweit bahnbrechend. Er war kein postmoderner, sondern ein moderner Mensch, schnörkellos und funktionell. Nach Kelsens Idee kommt unsere Verfassung ohne übertriebene Deklarationen aus. Davon wurde in den vergangenen Jahren zunehmend abgegangen, man überfrachtet die Verfassung mit Zielvorstellungen wie zuletzt mit dem Schutz des Wassers. Die Politik bedenkt dabei nicht, dass dies den Spielraum der Gerichte erweitert. Je mehr verfassungsrechtliche Wertungsgesichtspunkte es gibt, desto größer ist die Möglichkeit, sie in ein Gesetz hineinzulesen. Man kann sich nicht auf der einen Seite beklagen, dass die Gerichte zu eigenständig judizieren, und auf der anderen Seite ständig den Wertekorb anfüllen, aus dem die Gerichte schöpfen. Die Verfassung soll der Maßstab für die Gesetze sein, nicht unmittelbarer Gesetzesinhalt.
profil: Kelsen sah im Staat nicht eine Einheit von Volk, Territorium und Staatsgewalt, sondern vor allem ein rechtliches Gebilde. Was würde er zu der Tatsache sagen, dass ein Drittel der Wiener Bevölkerung im wahlfähigen Alter bei der kommenden Nationalratswahl nicht abstimmen darf? Jabloner: Das wäre ihm ein Problem. Demokratie ist die Mitwirkung der Normunterworfenen an der Normerzeugung. Wenn so viele Menschen nicht mitwirken können, weil dies über die Staatsbürgerschaft geleitet wird, entsteht ein demokratie- politisches Defizit.
profil: Wären Sie für ein Ausländer-Wahlrecht? Jabloner: Diese Problematik muss man auf die österreichischen Verhältnisse projizieren. Man kann darüber nachdenken, ob die Staatsbürgerschaft das geeignete Instrument ist, um die Mitwirkung auf den verschiedenen Ebenen zu steuern. Man kann aber auch darüber nachdenken, den – in Österreich sehr restriktiven – Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Aber da sind viele Aspekte zu beachten. Demokratiepolitisch ist die Nicht-repräsentiertheit jedenfalls ein Problem.
profil: Sie saßen vergangene Woche einsam auf der Regierungsbank im Parlament, wo sehr aggressiv debattiert wurde. Die SPÖ weigert sich, den Rechnungshof in die Geschäftsgebarung der Partei hineinschauen zu lassen. Sie sieht die Autonomie der Partei in Gefahr. Wie sehen Sie das? Jabloner: Ich teile diesen Standpunkt nicht. Ich finde auch, man sollte den Rechnungshof als Pfeiler des Rechtsstaates nicht in Zweifel ziehen. Ich möchte mich aber ansonsten dazu nicht äußern, das Thema fällt in den Aufgabenbereich des Bundeskanzleramtes.
profil: Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie das Ibiza-Video gesehen haben? Jabloner: Das war ein bizarrer Moment. Es erschien mir wie die Entladung eines Spannungszustandes nach einer Beschleunigung der politischen Landschaft in den Wochen davor.
profil: Österreich ist kein Land mit Transparenzkultur. Stichwort: Message Control, Amtsgeheimnis, fehlendes Informationsfreiheitsgesetz. Jabloner: Was den Komplex Amtsverschwiegenheit betrifft, halte ich mehr proaktives Informationsverhalten von staatlichen Einrichtungen für notwendig. Diese Informationspflicht sollte auch gerichtlich durchsetzbar werden. Man muss aber berücksichtigen, dass es gegenläufige Interessen gibt, nämlich grundrechtlich geschützte Verschwiegenheitspositionen. Zudem muss der Staat – wie jede Organisation – eine Innenhaut haben. Man darf sich von der Transparenz auch nicht zu viel erhoffen: Wenn ich alles durchleuchte, ziehen sich Willensbildungsprozesse zurück und sind dann nicht mehr aktenkundig und öffentlich. Dazu kommt, dass der Verwaltungsgerichtshof das Auskunftsrecht stark an der Europäischen Menschenrechtskonvention orientiert, was Druck aus der Sache nimmt.
Wir haben uns in der Bundesregierung darauf verständigt, uns hochfliegender rechtspolitischer Änderungen zu enthalten.
profil: Unterliegen Gehaltsfortzahlungen an Ex-Minister der türkis-blauen Regierung dem Amtsgeheimnis, wie das Bundeskanzleramt meint? Jabloner: Ja, das sehe ich auch so. Diese persönlichen Daten betreffen die private Sphäre von Arbeitnehmern, die zu schützen ist.
profil: Als vor Jahren eine Instanz im Asylverfahren gekappt wurde, haben Sie sich kritisch geäußert. Fühlen Sie sich in Ihren Befürchtungen bestätigt? Jabloner: Natürlich. Die Folgen der Einrichtung des Asylgerichtshofs, nämlich eine gravierende Überlastung des Verfassungsgerichtshofs, konnte man vorhersehen. Dieses Problem ist in die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeflossen. Man hat den Asylgerichtshof im Bundesverwaltungsgericht aufgehen lassen und den Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof wieder grundsätzlich zugelassen. Das hat zu einer Entlastung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geführt, allerdings ist die Belastung beim Bundesverwaltungsgericht stark angestiegen. Wir haben zwischen 30.000 und 40.000 unerledigte Vefahren. Da muss uns etwas einfallen.
profil: Was können Sie in Ihrer kurzen Regierungszeit überhaupt bewirken? Jabloner: Ich kann auf Probleme aufmerksam machen. Zum einen müsste die Ausstattung des Bundesverwaltungsgerichts in der nächsten Budgetverhandlung eine Rolle spielen, zum anderen könnte die Personalrekrutierung und die Ausbildung verbessert werden.
profil: Bevor Sie Minister wurden, haben Sie in einer Petition dagegen protestiert, dass die Rechtsberatung für Asylwerber de facto verstaatlicht wird. Jabloner: Ich habe es rechtspolitisch für nicht sinnvoll erachtet. Das kann mich aber nicht daran hindern, das Gesetz zu vollziehen und die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen.
profil: Sie könnten eine Regierungsvorlage dagegen einbringen. Jabloner: Wir haben uns in der Bundesregierung darauf verständigt, uns hochfliegender rechtspolitischer Änderungen zu enthalten.
profil: Obwohl Ihnen das so wichtig ist? Jabloner: Als Bundesminister habe ich das Gesetz zu vollziehen. Meine private Meinung ist nicht entscheidend.
profil: Sie haben zu einer Zeit studiert, als es eine SPÖ-Alleinregierung gab, liberale Justizreformen in Gang gesetzt wurden und die Burschenschaft Olympia verboten wurde. Was hat Sie geprägt? Jabloner: Ich möchte meine Person nicht in den Vordergrund stellen und daher nicht über mich reden.
profil: Seit geraumer Zeit spielt in der politischen Debatte der Begriff „Unser Volk, unsere Leut’“ eine wichtige Rolle. Sorgen Sie sich über die Zunahme von Rechtspopulisten in Europa? Jabloner: Sicher. Nationalismus und Chauvinismus sollten im politischen Diskurs keine größere Rolle spielen. Das Bundesvolk ist aus der Sicht der österreichischen Bundesverfassung ein Organ der Staatswillensbildung. Das ist viel, weil vom Volk laut Artikel eins das Recht ausgeht, aber es ist ein staatliches Organ und nicht eine Substanz, auf welcher der Staat aufbaut.
profil: Der alte Slogan der FPÖ, „Unser Geld für unsere Leut’“, hat also einen wahren Kern, ist aber gleichzeitig brandgefährlich? Jabloner: Von Wahrheit kann man in dem Bereich überhaupt nicht reden. Ein solcher Satz drückt eine reine Wertung aus. Er spricht eine empirisch beobachtbare soziale Konstante an, mit der man Politik machen kann. Und das finde ich nicht gut.