voestalpine-Chef Eder: "Integration ist nicht das Problem"
INTERVIEW: EDITH MEINHART
profil: Die voestalpine gehört zu den größten und wohl auch attraktivsten Lehrlingsausbildnern des Landes. Wie viel spüren Sie von dem Gezerre um Arbeitskräfte? Eder: Derzeit haben wir bei Lehrlingen noch Wahlmöglichkeiten, auch weil es nach der Ausbildung die Chance auf einen attraktiven Arbeitsplatz im Konzern gibt. Aber auch wir bleiben von der allgemeinen Entwicklung nicht ganz verschont. Wenn wir in Oberösterreich Lehrlinge aufnehmen, beträgt das Verhältnis zwischen Bewerbungen und Aufnahmen 8:1. In der Steiermark ist die Luft schon dünner, hier beträgt es 3:1. Zum Vergleich: In Deutschland liegen wir teilweise bei 20:1.
profil: Der Facharbeitermangel reicht über Grenzen. Polen verlor nach dem EU-Beitritt ein Zehntel seiner Arbeitskräfte und ließ eine halbe Million Ukrainer ins Land. Autobauer in Ungarn rekrutieren in Rumänien, wo halb Westeuropa nach Pflegekräften sucht. Wo sehen Sie Österreich in diesem Bild? Eder: Wir haben im Vergleich zu anderen, vor allem osteuropäischen Ländern, eine stabile Entwicklung. Es wandern bei uns nicht in nennenswertem Umfang Leute ab. Unser Problem ist aber, dass wir nach der EU-Osterweiterung nicht sofort profitierten. Als wir später als alle anderen Länder den Arbeitsmarkt öffneten, war der größte Teil der jungen, hochqualifizierten Menschen aus dem Osten schon in anderen westeuropäische EU-Ländern.
profil: Allein in Oberösterreich sollen bis 2030 rund 130.000 Fachkräfte fehlen. Was bedeutet das? Eder: Dass wir den größeren Teil des Problems noch vor uns haben, auch weil wir eben nicht aus einem Reservoir von qualifizierten zugewanderten Fachkräften schöpfen können. Schon deswegen ist es wichtig, dass wir in Zukunft für junge ausländische Menschen attraktiv sind.
profil: Wie sinnvoll ist es dann, junge Afghanen abzuschieben, die eine Lehre machen wollen? Eder: Die Ausbildung für noch nicht asylberechtigte Menschen hat in der politischen Sensibilität einen überzogenen Stellenwert. Ich habe dazu eine klare Meinung. Sie deckt sich mit dem, was der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober sagt, der inzwischen auch in Christian Konrad einen großen Unterstützer hat. Sprich: Man sollte sich sowohl aus humanitären Gründen als auch aus wirtschaftlicher Vernunft dazu durchringen, jungen Menschen -die im Übrigen eineinhalb Jahre und länger auf ihren Asylbescheid warten - auch ohne diesen Asylbescheid eine Ausbildung zu ermöglichen. Es geht um 800 bis 1000 Personen, die grundsätzlich integrationswillig und leistungsbereit sind, die mit ihrer Bewerbung um eine Lehre zeigen, dass sie für sich und das Land, das sie aufgenommen hat, etwas tun wollen.
profil: Sind Sie für das deutsche Modell, das Asylwerbern drei Jahre Zeit für eine Lehre einräumt, plus zwei Jahre, um Arbeit zu finden? Eder: Dieses Modell sollte man übernehmen. Klappt es nach diesen fünf Jahren nicht, kann man über eine Abschiebung reden. Aber da wird kaum jemand übrig bleiben, die meisten werden nachgefragt sein.
profil: Braucht es überhaupt so viele Facharbeiter, wenn Roboter künftig die Arbeit erledigen? Und wird es dann noch eine Karriere mit Lehre geben? Eder: Dieser Terminus ist nicht mehr nur im klassischen Sinn zu verstehen. Die Facharbeiter, die früher im Blaumann die Werkshallen füllten, werden zunehmend durch Leute ersetzt, die in Labors und an Computern digitale Systeme warten und weiterentwickeln. Wir bilden in rund 30 Berufen aus, Digitalisierung ist dabei überall Thema. Wir bewegen uns längst in Richtung künstliche Intelligenz. Im neuen Donawitzer Drahtwalzwerk, dem derzeit vielleicht prominentesten Beispiel einer volldigitalisierten Industrieanlage, sitzen fünf Leute im Steuerstand. Einer von ihnen war ursprünglich Fleischhauer, der dann eine Lehre in Donawitz machte, dort im alten Steuerstand arbeitete und heute mit drei, vier anderen Kollegen die neue Drahtstraße fährt. Das sind die künftigen Karrieren mit Lehre. Ich bin überzeugt davon, dass die Digitalisierung keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vernichtet, wenn man rechtzeitig mit Ausbildung und Umschulung beginnt. Wir haben uns fünf Jahre lang auf die Herausforderungen vorbereitet. Das ist extrem mühsam und sehr kostenintensiv, aber der Effekt war, dass wir beim Wechsel vom alten auf das neue Drahtwerk keinen Mitarbeiter verloren haben.
profil: Wenn der ehemalige Fleischhauer den Sprung in die Industrie 4.0 schafft, könnte das auch ein Flüchtling? Eder: Ja, wenn er eine Grundschulbildung auf österreichischem Niveau hat. Das zu beurteilen, ist allerdings schwierig. Wir haben vor drei Jahren 33 Lehrlinge vom Arbeitsmarkt übernommen. Davon bekam die Hälfte einen Fachkurs, die andere Hälfte -16 waren es genau - nahmen wir in Linz, Donawitz, Kapfenberg und Zeltweg zusätzlich zu unseren bestehenden Lehrlingen auf. Nach zweieinhalb Jahren sind davon nach wie vor zwölf bei uns beschäftigt. Vier aber haben wir verloren, zum Teil, weil das mitgebrachte Rüstzeug nicht reichte. Doch ich sage auch klar: Die eigentliche Integration ist nicht das Problem. In unseren Linzer Restaurant- und Kantinenbetrieben beispielsweise arbeiten 300 Menschen aus 26 Nationen zusammen. Das klappt genauso problemlos wie unter Österreichern.
profil: Eine Tischlerin aus Oberösterreich sagt, sie habe in vielen Jahren keine einzige Bewerbung um eine Lehrstelle und sei über jeden Afghanen froh, der sich melde. Eder: Wir sind als bekannter Arbeitgeber in einer günstigeren Position, aber ich verstehe, dass Gewerbebetriebe und Handwerker Probleme haben, weil wir, aber auch Magna, KTM oder Miba, den Markt der gut Ausgebildeten gleichsam absaugen. Dass kleinere Betriebe da froh sind, überhaupt jemanden zu finden, ist für mich sehr nachvollziehbar.